Im geschlossenen System
von Sibylle SeverusAm Sonntagmorgen sind die Straßen der Stadt ausgestorben.
Als einziger Fahrgast steige ich aus dem Bus und gehe die eintönige, von Häusern gesäumte, von nass glänzenden Tramschienen geteilte Straße hinunter wie jeden Sonntag, wenn ich meinen Besuch mache. Meistens bringe ich ein Bündel frischgewaschener Wäsche.
Die Umhängetasche rutscht von der Schulter. Ich hänge sie quer über die Brust. Es hat geregnet. Das diffuse Stadtlicht verrät nichts über die Tages- oder Jahreszeit. Es kann Sommer, Herbst oder Winter sein, Morgen oder Nachmittag; es könnte diese oder jene Stadt sein, mit den immer gleichen Geschäften und den Kunststeingefäßen auf dem Trottoir, in denen Blumen stehen. Ich fasse sie an, die leuchtenden Primeln, sie sind echt.
Die Blumen und ich sind die einzigen Lebewesen.
Ein alter Mann tritt in mein Blickfeld. Er kommt die Straße herauf und geht wie viele alte Leute: langsam, den Kopf geneigt, die Augen in den Boden gebohrt.