Das Leben der Drohnen
von Moritz RudolphRevolutionen treten plötzlich auf und machen große Versprechungen, brauchen dann aber eine ganze Weile, um sie einzulösen – was meist nur auf verschobene Weise gelingt. Das ist in der Politik nicht anders als bei Technologien. Als im 19. Jahrhundert die Luftfahrt begann, ahnten viele, dass dies etwas Großes sein würde. Victor Hugo schrieb 1864: »Erlösen wir den Menschen. Wovon? Von seinem Tyrannen.« Welchem Tyrannen? Der »Schwerkraft«, mit der Krieg, Ausbeutung, Hass und Knechtung »jeden Existenzgrund verlieren«. Auch der Astronom Camille Flammarion erwartete eine neue Ära und einen neuen Menschen, der fortan alle Grenzen mühelos überspringt und nebenbei den ewigen Frieden durchsetzt: »Wenn die Eroberung der Lüfte einmal gelungen ist, kehrt Brüderlichkeit auf der ganzen Erde ein, wahrer Friede senkt sich vom Himmel, die letzten Reste des Kastenwesens werden verschwinden.«1 Dazu ist es bis heute nicht gekommen.
Doch im Windschatten der großen Flugzeuge entwickelten sich über Jahrzehnte hinweg winzig kleine, die von allein fliegen, sogenannte Drohnen. Sie schicken sich an, die Verheißungen der Luftfahrt tatsächlich zu erfüllen und unsere Seinsweise umzukrempeln, wenn auch nicht immer auf angenehme Weise. Sie töten und zerstören, retten Leben und bauen auf, schützen die Natur und stellen Produkte her, transportieren Menschen, Waren und Raketen, löschen Feuer, überwachen, strafen, disziplinieren und erreichen jeden Winkel der erdnahen Atmosphäre, so dass man sie ohne Übertreibung als die neuen Lufthoheiten dieser Welt bezeichnen kann.
Herren am Himmel
Wie jede Technologie verdanken Drohnen ihren Durchbruch dem Krieg. Anfangs eine technische Spielerei, hatte man im Ersten Weltkrieg damit begonnen, unbemannte Flugobjekte für militärische Zwecke zu nutzen – zunächst für Aufklärungsarbeiten. Im Vietnamkrieg durchleuchteten sie den Dschungel auf der Suche nach dem Vietcong. Im Kampf gegen den nahöstlichen Terror waren sie schon mit Raketen bestückt, verschoben die Grenzen zwischen Krieg und Nichtkrieg und machten Jagd auf Terroristen, die allerdings nicht auf gleiche Weise antworten konnten. Der Drohnenkrieg blieb asymmetrisch. Er war Guerillakampf von oben, der die Strategie des Gegners kopiert hatte.
Nun, in der Ukraine, im ersten zwischenstaatlichen Drohnenkrieg der Geschichte, werden Drohnen von beiden Seiten im großen Stil eingesetzt und könnten die Entscheidung herbeiführen. Russland verwendet eigene Fabrikate, die ihm aber auszugehen drohen, weshalb es sich hilfesuchend an Teheran und Peking wendet. Die Ukraine bekommt sie vom Westen, aber auch aus der Türkei, deren Kampfdrohne »Bayraktar« hymnisch gefeiert wird. Nach Einschätzung von Experten hat sie entscheidend zum Überraschungserfolg der Ukraine in den ersten Kriegswochen beigetragen. In der Schlacht um Kiew konnte sie so manchen russischen Panzer zerstören. Inzwischen hat Russland jedoch seine Luftabwehr verbessert und einen Umgang mit der Wunderwaffe gefunden, so dass die Ukraine nach neuen Typen Ausschau halten muss. Derzeit nutzt sie vor allem »Kamikaze«-Flugroboter, die die russische Elektromauer durchbrechen können und, nachdem sie ihr Ziel erfasst haben, explodieren (wodurch zugleich der suizidale Terrorist ins Wesen der Drohne aufgenommen wurde). So geht es hin und her, und die Modelle verbessern sich rasch. Die ganze Welt weiß um die Rolle der automatischen Luftkrieger und treibt die Drohnentechnologie voran; denn klar ist: Ohne gute Drohnen gewinnt man heute keinen Krieg mehr.