Heft 897, Februar 2024

Nationalsozialistisch, nicht faschistisch

von Moritz Rudolph

Der Aufstieg der AfD wird begleitet von einer Debatte darüber, ob die Partei faschistisch sei, wogegen diese sich – erfolglos – mit juristischen Mitteln zur Wehr setzt. Abgesehen davon, dass der Faschismusvorwurf schon für weitaus geringere Abweichungen von der üblichen Denk- und Umgangsweise gebraucht wurde – Habermas bezeichnete rebellierende Studenten als »linke Faschisten«, die sich dafür mit dem Label »Sozialfaschismus« revanchierten –, es also seltsam ist, dass sich die AfD so ziert, braucht man ihn hier vielleicht gar nicht, weil alles noch viel schlimmer ist: Die AfD ist nicht faschistisch, sondern nationalsozialistisch.

Bequemes Leben

Der Faschismus ist nach seinem Erfinder Mussolini der »Horror vor dem bequemen Leben«. Entworfen wurde er von Dandys, Poeten und Fantasten wie Gabriele D’Annunzio, denen es im üblichen politischen Spektrum zu langweilig geworden war, weshalb sie es nach rechts erweiterten. AfD-Wähler sind aber in der Regel nicht gelangweilt, sie sind langweilig, ganz normale besorgte Bürger, denen es im rot-grün versifften Milieu, in den Städten und an den Universitäten zu abgehoben zugeht, zu viel »Gender Gaga« und zu wenig von der alten Bundesrepublik (Autos, Fleisch und weiße Menschen), weshalb sie sich hinter dem Slogan »Deutschland, aber normal« versammeln. Einen echten Faschisten dagegen hätten Verwirrspiele um Geschlecht und Identität brennend interessiert, um daraus einen leuchtenden Mix anzurühren, der ins politisch Absurde reicht. Der Faschismus, schrieb Armin Mohler, ist »rapid, funkelnd, großartig«, ein Künstlerprojekt.

Wer sich hingegen im AfD-Milieu umschaut, wird nichts Funkelndes entdecken, nichts Großartiges und schon gar nichts Rapides, sondern eine ordentliche Portion Bräsigkeit. Während das Führungspersonal immerhin noch durch ständiges lautes Gebell von sich reden macht, fallen die meisten Wähler durch Unauffälligkeit auf. Am Rand der Wahlveranstaltungen, in Gebieten, in denen die Partei Erfolg hat, oder in Facebook-Gruppen, in denen es entsprechend zur Sache geht, trifft man auf einen Typus Mensch, der stolz ist auf seine Durchschnittlichkeit, sich durch einen Hass auf alles Herausstechende auszeichnet und am liebsten in Befehlsform kommuniziert.

Der Faschist hingegen hasst Befehle oder grinst sie einfach weg. Er will nicht funktionieren, sondern kämpfen, glänzen, auftreten. Er hat etwas Histrionisches, ist ein Theatermann und Maulheld, bei dem alles nicht so heiß gegessen wie gekocht wird. Der AfD-Wähler mag so etwas gar nicht, hat keinen Sinn für den großen Auftritt, nur fürs Ergebnis und will endlich anpacken, nicht nur meckern, was bedeutet, das Kranke und Verkommene auszusondern.

Während sich der Faschist absondert und ein Individuum sein möchte (indem er zum Beispiel den Waldgang antritt, der eine Schnittmenge mit dem Liberalismus und Anarchismus aufweist), will der AfD-Wähler gar keine besonderen Eigenschaften haben. Darin besteht sein sozialistisches Element, das nicht im Haben, sondern im Ausscheiden des Auffälligen liegt, während man sich selbst mit Vergnügen eintakten lässt. Hier müssten affect studies ansetzen, wenn sie den Kern der Rechtsrevolte freilegen möchten: Nicht nur bei der Begeisterung fürs Krasse, sondern auch bei der Lust an der Gewöhnlichkeit, die die meisten AfD-Wähler auszeichnen dürfte, während das Glühende und Heftige auf die faschistische Avantgarde beschränkt bleibt.

Der Faschist wird sofort auffällig, er ist wirklich ein Rebell und strahlt echte Gewaltbereitschaft aus. Den meisten AfD-Wählern kann man derlei kaum vorwerfen, nie würden sie sich die Hände schmutzig machen oder gegen etwas opponieren. Es muss alles den Anschein des Normalen, Konformen und Gutorganisierten machen, um sie mit ins Boot zu holen.

Möchten Sie weiterlesen?

Mit dem Digital-Abo erhalten Sie freien Zugang zum gesamten MERKUR, mit allen Texten von 1947 bis heute. Testen Sie 3 Monate Digital-Abo zum Sonderpreis von nur 9,90 Euro.

Jetzt Probelesen

Weitere Artikel des Autors