Der Ziz
Der Kampf ist aus von Moritz RudolphWir sind es gewohnt, die Geschichte der Herrschaft als Kampf zwischen Leviathan und Behemoth zu erzählen, zwischen Staat und Unstaat, Ordnung und Revolution, Verfestigung und Verflüssigung, Einheit und Zerfall. Daran hat sich seit Thomas Hobbes kaum etwas geändert. Carl Schmitt vertauschte lediglich die Symbole und behauptete, das Seeungeheuer Leviathan (damit zielte er auf Großbritannien und die Vereinigten Staaten) sei aufgrund seiner meerisch-fließenden Existenzweise überhaupt nicht in der Lage, eine feste Ordnung zu errichten, und ergriff Partei für den Behemoth vom Land, den er mit dem nationalsozialistischen Deutschland identifizierte und später mit dem tellurischen Partisanen, der gegen die Einheit der Welt vorgeht.
Franz L. Neumann drehte Schmitts Urteil um und fand den nationalsozialistischen Behemoth ein schreckliches Tier – oder genauer: Er war noch nicht schrecklich genug, so dass seine vermeintliche Zwangseinheit in konkurrierende Gruppen zerfiel. Wehrmacht, Partei, Bürokratie und Kapital lösten den Staat auf, aber nicht die Herrschaft, und bildeten einen »Unstaat«, der den Rest der Welt gleich mit in ein Schlachtfeld zu verwandeln drohte.
Lange Zeit sah es so aus, als sei der Leviathan aus dieser letzten großen Schlacht als Sieger hervorgegangen, als nämlich die leviathanische Seemacht USA zuerst den nationalsozialistischen Voll- und anschließend den sowjetischen Halb-Behemoth (der immerhin auf die Revolution verzichtete und die Weltordnung garantierte) niedergerungen hatte und seither die Globalisierung, eine meerisch-leviathanische Angelegenheit, nach Kräften unterstützte (in ihr ziehen Warenströme, und es fließt Kapital).
Doch im Schatten der Geschichte sammelte der Behemoth neue Kräfte. War schon Schmitts Partisanen-Buch eine (geheime) Schrift für den Behemoth, die von Achtundsechzigern eifrig gelesen wurde, gelangte der wenig später an die Oberfläche des antikolonialen Befreiungskampfs und der politischen Symbolik, wo er bald seinen Schrecken verlieren sollte. Der Behemoth war nun etwas Emanzipatorisches und Demokratisches, das die Abschüttelung aller Herrschaft versprach – so verkündete etwa eine italienische Theoriezeitschrift, die 1986 in seinem Namen gegründet wurde: »Im ewigen Kampf der beiden Bestien, ist es heute der Behemoth, der überwiegt«.1 Und das war hoffnungsvoll gemeint.
Den Schrecken bekam er zurück, als der große, müde Behemoth aus Sowjetrussland unterging und in viele kleinere zerfiel, was der behemothischen Struktur »diffuser barbarischer Vielheit«2 ohnehin viel besser entsprach als die einheitliche Blockgestalt: Ethnische Kriege, Drogenkriege, Zoff in den Favelas, islamistischer und rechter Terror bildeten eine behemothische Front gegen das ordentlich-leviathanische Ende der Geschichte, das allerdings nicht nur deshalb auf sich warten ließ. Auch Globalisierung und Souveränitätstransfer nach oben und unten und in alle Richtungen hatten die feste Gestalt des Leviathan bereits schleichend ausgehöhlt. Gerade sein Erfolg, die Durchsetzung der meerisch-globalisierten Existenzweise, schien seine Gefährdung zu beinhalten, weil ihm seine Interaktionen über den Kopf wuchsen.
So kam ihm noch etwas anderes abhanden: seine Identität. Hatte schon Schmitt an ihr gesägt, als er die Ordnungsfrage umkehrte und den Behemoth für das eigentlich staatsgründende Tier hielt, folgte ihm die Leipziger Zeitschrift Behemoth, indem sie den Leviathan von seinen behemothischen Anteilen her bestimmte, die das Chaos als Ordnungstechnik benutzen, so dass der Friedensstifter Leviathan in Wahrheit den Krieg bringt.3 Drehte das nicht die politische Theorie Jürgen Habermas’ um, die (unausgesprochen) behauptete, der zivilgesellschaftlich-pluralistische Behemoth sei der bessere Leviathan und man könne beide Monstren bändigen, indem man sie auf den »zwanglosen Zwang des besseren Arguments« verpflichte?
So waren die Ungeheuer stets anwesend, aber ihre Konturen verschwammen zusehends, so dass sie auch abwesend waren, weshalb immer mal wieder ihr Ende und ihre Rückkehr verkündet wurden, und beides stimmte. Sie waren einander sehr ähnlich geworden.
Der Newsletter der Kulturzeitschrift MERKUR erscheint einmal im Monat mit Informationen rund um das Heft, Gratis-Texten und Veranstaltungshinweisen.