Heft 873, Februar 2022

Fukuyama City

Zur Berliner Denkart von Moritz Rudolph

Zur Berliner Denkart

Zunächst dachte man an eine Revolution …

Früher einmal war Berlin die Stadt der Revolution, und zwar der ganz großen. Hier verschmolz der deutsche Idealismus mit seinen materialistischen Vollstreckern, als Schelling im Hörsaal auf Engels traf.1 Hier erwartete Lenin den globalen Durchbruch der Revolution, und Rosa Luxemburg beförderte sie nach Kräften. Alles und überall umwälzen, das waren die Dimensionen, in denen man in Berlin dachte, und das wirkte stets etwas größenwahnsinnig, was viele nervte.2

Aber die Berliner können nichts dafür, der Stadtcharakter weckt diese Erwartung. Schon die Lage ist erstaunlich: Aus der schier endlosen brandenburgischen Weite erhebt sich eine Riesenstadt, die wie ein Blitz in die gemächlich vorbeiziehende Landschaft einschlägt. Genauso ist es mit der Geschichte, die Berlin mehrfach zum Parvenü gemacht hat, der auf einmal da war. Zunächst wurde es als Kolonialstadt im Zuge der deutschen Ostbesiedelung gegründet, nach dem Dreißigjährigen Krieg beinahe aufgegeben, hundert Jahre später zum Zentrum einer neuen Großmacht, von Napoleon erobert und schließlich der Ort der preußischen Synthese aus Ancien Régime und Revolution. Dennoch sah ausgerechnet in Hegels endgeschichtlicher Stadt dieses Ende ständig anders aus. Das meinte Karl Scheffler mit seinem berühmten Satz: »Berlin ist dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein.«3

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