Heft 899, April 2024

Eine monumentale Misere?

Über den Krieg im Denkmal von Wolfgang Fach

»Ein Monument zu errichten«, meint William Wordsworth, »hat etwas Nüchternes und Nachdenkliches an sich. Seine Inschrift soll immer und überall gelten. Die Widmung unterstellt daher auch, dass ihre Gedanken und Gefühle von zeitloser Natur sind.« Mit anderen Worten: Das funktionierende Denkmal steckt seinen Betrachter auf Dauer in ein intellektuelles und emotionales Korsett: Gedanken einerseits, Gefühle andererseits.

Diese verdrehte Konstellation – das Objekt als Subjekt – kann sich unterschiedlich materialisieren. Grimms Wörterbuch nennt »Bauwerke, Säulen, Statuen, Gemälde, Grabhügel«, allesamt dazu bestimmt, »das Andenken an eine Person oder eine Sache zu erhalten, an ein großes Ereignis, z.B. an eine gewonnene Schlacht«.

Von einer monumentalen Misere kann man sprechen, wenn Denkmäler diese Dominanz verlieren. Gerade am Grimm’schen Paradefall, dem militärischen Triumph, lässt sich allerdings zeigen, dass dieser Verlust ein Allerweltsschicksal ist. Hierzulande stehen, vergessen und verkommen, wohl an die hunderttausend einschlägige Objekte herum, von denen kein Mensch noch Kenntnis nimmt, weil sie schon lange nicht mehr »würdig« sind, überhaupt »gesehen« zu werden.

Mit anderen Worten: Nur ganz wenige Exempel – die monumentale Elite gewissermaßen – können für sich den Anspruch erheben, das rettende Ufer erreicht und ihrem Namen Ehre gemacht zu haben. Soll heißen: Sie erinnern bis heute an gewonnene Schlachten aus besseren Zeiten. Drei prominente Beispiele stehen hier zur Debatte: Siegessäulen in Berlin, Paris und London.

Dabei wird sich auch zeigen, ob diese Exemplare nicht nur heil überleben, sondern auch, wie Wordsworth meint, ihren Zauber zeitlos ausstrahlen – ein wahrhaft heroisches Unterfangen. Goethe etwa hat bezweifelt, dass es so viel Resistenz geben kann. Seiner Ansicht nach »lässt sich die Zeit« auch »über Denkmäler ihr Recht nicht nehmen«. Irgendwann, heißt das, geht es mit allen Exemplaren bergab. Was im konkreten Fall bedeuten würde, dass selbst arrivierte Siegessäulen früher oder später als simple Sehenswürdigkeiten, als »Touristenattraktionen«, weiterleben müssten.

Andere Erfahrungen hat der amerikanische Monument Park gemacht. Weniger was seine Attraktionen angeht, wohl aber im Hinblick auf die breite Masse des Angebots. Davon später.

Die Siegessäule

Mit ihresgleichen teilt die Berliner Siegessäule das Schicksal, unter Wert verkauft zu werden. Ein exorbitanter Besucherstrom wird, verpackt in doppelstöckigen Touristenbussen, von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit gekarrt, darunter eben auch und unvermeidlich die illustre Säule. Berlins »offizielles Hauptstadtportal« hebt besonders hervor, dass sie mit ihren 69 Höhenmetern »einen tollen Blick über den Tiergarten und das nahe Schloss Bellevue verspricht«. So gesehen hat dieses Objekt keinen nennenswerten Selbstwert, sondern findet seine Bestimmung darin, andere Objekte gehörig ins Blickfeld zu rücken.

Selbstredend wollten die Säulen-Bauer mehr als nur einen Aussichtspunkt schaffen; dafür hätte es jenen horrenden Aufwand nicht gebraucht, den sie getrieben haben, um Mit- und Nachwelt davon zu überzeugen, dass etwas Großes geschehen ist. Vor allem der Materialeinsatz platziert das Berliner Exempel in einer eigenen Liga: »Für die Siegessäule wurden ausschließlich wertvolle und symbolbehaftete Materialien verwendet, die Stärke und Unvergänglichkeit signalisieren sollten.«

In diesem Material-Mix findet sich zu Ehren des Kaisers nur das Allerbeste: Sandstein, der aus dem dreihundert Kilometer entfernten Obernkirchen herangeschafft werden musste, dann schwedischer Granit, dazu Carrara-Marmor sowie eine Feuervergoldung für die Siegesgöttin Viktoria, deren Figur in lichter Höhe den krönenden Abschluss bildet. Nicht zu vergessen schließlich: sündhaft teures Mosaikglas aus Venedig, um einen gigantischen Entwurf des Historienmalers Anton von Werner in seine endgültige Fassung zu bringen. Dieses Werk schmückt die Rundhalle am Fuß der Säule und soll dem Betrachter ein Bild davon vermitteln, welches Personal 1870/71 den französischen Erzfeind besiegt hat.

Allerdings: Statt Seine Majestät zu feiern, erinnert Berlins Säule vorwiegend an die verantwortlichen Militärs. Allen voran, auf dem Schlachtfeld und hoch zu Ross, präsentiert man Prinz Friedrich Carl, den preußischen Vorzeigekrieger. In seinem Schlepptau treten auf: Preußens Kronprinz, der Großherzog von Mecklenburg sowie Ludwig von der Tann-Rathsamhausen, ein verdienstvoller General aus Bayern. Dann wechselt die Bühne – das Schauspiel endet in Versailles und öffnet sich für zusätzliche Prominenz: vorneweg Fürst Bismarck, dann Generalfeldmarschall von Moltke, dazu, mit demselben Titel geschmückt, Albrecht von Roon. Alles in allem und Bismarck vielleicht ausgenommen findet sich wohl kein Name dabei, der Schaulustigen ein Licht aufgehen lässt. Von den vielen Chargen ganz zu schweigen.

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