Heft 897, Februar 2024

Hingabe und Verzückung

von Susanne Neuffer

Der Leser wird bald sehen, dass das Heilige und das Profane zwei Arten des In-der-Welt-Seins bilden […]

Mircea Eliade

Irgendwann passiert es im realen Leben, mit derselben Zuverlässigkeit, mit der das in diesen Romanen auftaucht, die wir angeblich nicht lesen, nur ab und zu. Einer, eine von früher erscheint auf der Bildfläche, nach Jahren, Jahrzehnten, gibt ein Cello-Konzert in der Stadt, nimmt an einem IT-Kongress, einer Trauerfeier teil und bringt alles durcheinander. Verunsicherung, Aufflackern von Zweifeln, eine Art Freude, alles in der Geschmacksnote bittersüß. Man kann das gut verfilmen. Diese Erzählung wird ständig verfilmt und begleitet unsere leeren Abende.

In Sophias Fall handelt es sich um eine sehr schräge Variante des Plots: einen Missionskongress, bei dem Roland als Redner auftreten wird.

Sie starrt auf die Ankündigung. Etwas Geistbewegtes, Aufbruch und spirituelle Erfrischung werden nachdrücklich versprochen.

Soll sie hingehen?

Seit fast zwanzig Jahren ist Ruhe.

Sie erinnert sich an vergangene Gefühle, analysiert sie. Das Heilige war attraktiv, sexy. Dornenvögel!

Er hatte ihr einmal ein Buch geschenkt, ohne es selbst gelesen zu haben. Sie dachte: Du bist der Heilige. Willst du mir das sagen? Und was bin ich dann?

Sie ist heute wie damals eine zufriedene Agnostikerin, vielleicht war deswegen seine Wirkung auf sie so stark gewesen. Dazu seine dunkle Schönheit, er sah aus wie der vierte Jünger von links auf einem Altarbild in der Dorfkirche. Sie hatte sich hineinziehen lassen in seine Welt, in der es Antworten gab, den hellen, rhythmischen Sound der Gewissheit.

Geht sie hin? Wird er sie erkennen?

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