Heft 896, Januar 2024

Die Genazino-Treppe

von Susanne Neuffer

Die Treppe und was man sieht

Ich kann der Treppe nicht widerstehen. Meist vermeide ich Rolltreppen, eile an ihnen vorbei die Stufen hinauf mit möglichst flachem Atem, um die Nutzer durch mein Tempo zu beschämen.

Sie ist keine klassische Rolltreppe, sondern ein Laufband, leicht und langsam ansteigend, wie an Flughäfen. Sie hat nicht diese furchteinflößenden beweglichen Kanten aus Eisenzähnen, denen man schon als Kind zu misstrauen gelernt hat, weil sie Schnürsenkel, Zöpfe, nackte Zehen in ihren Bauch ziehen und ein großes, blutiges Unglück verursachen können.

Die Rolltreppe verkehrt zwischen der Basis des Einkaufszentrums und dem höher gelegenen Supermarkt, den ich nie betrete. Ich könnte auch die Stufen draußen, jenseits der Glaswand, nehmen, oben an dem Stand mit den ausgemusterten Blumen und an der 50-Cent-Toilette abbiegen zu der kleinen Ladenstraße gegenüber den Kassen, wo es die Imitationen einer Post, eines Tabakladens und einer Bäckerei gibt. Der Bäcker, bei dem ich kaufe, ist nur ein vorgeschobener Grund.

Grund für die häufige Benutzung des Laufbands sind die Leute, die mir, der Bergauffahrenden, als Bergabfahrende entgegenkommen. Diese Rolltreppe ist breit genug für die Einkaufswagen, die auf ihr transportiert werden. Eine Hand am Griff genügt, die Karren rollen nicht weg. Die Leute, ihre Blicke, ihre Haltung, ihre Einkaufswagen. Das Band ist so langsam, dass die Zeit reichen würde, um sie genau anzuschauen, den Inhalt der Wagen zu taxieren und sich Gedanken zu machen, was diese Menschen mit dem Inhalt ihrer Wagen verbindet.

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