Susanne Neuffer im Merkur

6 Artikel von Susanne Neuffer

Flugstunde

Eine Geschichte aus dem April 2020 Alle müssen sich umstellen, heißt es. Das ist für keinen leicht, sagt die Nachbarin und verabschiedet sich in ihre Wohnung. Die Kanzlerin sagt es auch, sie ist schon in ihrer Wohnung, aber man kann nicht viel erkennen. Es wäre zu schön, mal zu sehen, ob sie auch so eine Schrankwand und eine Sitzecke mit Stehlampe hat wie andere Leute. Ingelore, sie nannte sich früher manchmal selber Ilo, was aber einen gewissen Beigeschmack hat (nach Hühnchen oder Fluglinie, sagte mal eine

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Aller Seelen

Almut lag halb auf ihrer rechten Seite, was wieder dazu geführt hatte, dass die rechte Seite sich verkrampfte, verklemmte, teilweise abstarb. Davon wachte sie häufig auf, aufgewühlt von der Frage, ob es sein konnte, dass im Schlaf tatsächlich etwas unwiderruflich abstarb: eine Hand, ein ganzer Arm, ein Fuß. Es begann stets mit einem alarmistischen Kribbeln, ja alarmistisch, dachte sie. Das Wort war in den letzten beiden Tagen dauernd herumgeschwirrt, es war wohl eine Art Schimpfwort, das man in jede Richtung

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Perseverance

It’s only a matter of time Teil einer Studie sein. Wie fühlt sich das an? Sol wird es bald wissen. Es geht nicht um Krankheiten, da würde sie nie mitmachen, viel zu gefährlich, wer weiß, was sie da mit einem machen. Für ein paar Euro mehr versaut dir die Pharmaindustrie die Gesundheit. Es geht um Technik, Fortschritt. Unser Verhältnis dazu. Etwas Gesellschaftliches, Kulturelles. »Ach, ist das abgedroschen«, sagt Ina, die Freundin. »Das Mensch-Maschine-Problem. Langweilig.« »Aber das ist unsere Realität«,

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Die Sache mit den Postkarten

Eine moralische Geschichte Sie hat es mir erzählt, als schon nichts mehr zu reparieren war, in dem Eiscafé, das wegen der Hygiene dauernd durchgelüftet wurde, der Wind fuhr vom Hinterhof zur Straßenseite und zurück, man fragte sich, wieso man in dieser Jahreszeit noch Eis essen sollte. Ich nenne sie Smeralda, so heißt sie nicht, aber es ist ein Vorname mit acht Buchstaben, und darauf kommt es an. Sie war mit Urban im Urlaub gewesen und hatte ihm am siebzehnten Tag ebenso fasziniert wie gelangweilt zugesehen,

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Kunst, du Holde

Ein Kulturtrip Wie war dein Kultursommer? Die Frage verblüffte mich, obwohl niemand sie mir persönlich stellte, sie stand herausfordernd auf einem Plakat am hinteren Bahnsteig, wo es doch meistens um Reiseschokolade geht. Die Frage kam mir sinnlos vor, denn was sollte das Präteritum in einer Werbebotschaft, die nach vorne gerichtet sein sollte. Ein Zug fuhr ein und verdeckte eine mögliche Auflösung durch kleiner Gedrucktes – ein Versprechen auf herbstliche Fortsetzung oder Großartiges im Winter. Aber die

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