Heft 870, November 2021

Perseverance

It’s only a matter of time von Susanne Neuffer

It’s only a matter of time

Teil einer Studie sein. Wie fühlt sich das an? Sol wird es bald wissen. Es geht nicht um Krankheiten, da würde sie nie mitmachen, viel zu gefährlich, wer weiß, was sie da mit einem machen. Für ein paar Euro mehr versaut dir die Pharmaindustrie die Gesundheit.

Es geht um Technik, Fortschritt. Unser Verhältnis dazu. Etwas Gesellschaftliches, Kulturelles.

»Ach, ist das abgedroschen«, sagt Ina, die Freundin. »Das Mensch-Maschine-Problem. Langweilig.«

»Aber das ist unsere Realität«, meint Sol, und sie klingt überzeugt. Sie möchte überzeugt klingen. Immerhin haben zwei Freunde schon so ein Ding für den Rasen, und Frau Kellermann, zwei Häuser weiter, hat einen selbständigen Staubsauger fürs Haus.

All diese Geräte fahren leise schnurrend umher, die Besitzer umsorgen sie, haben ihnen nette Namen gegeben, die auf I enden, reden auf sie ein, folgen ihren Wegen, um sie zu kontrollieren. Udos Robi zum Beispiel fährt unregelmäßig, lässt komische Grashäufchen liegen, die der Besitzer wegkehren muss, und braucht einen Leitstrahl unter dem Rasen, damit er seine Station wiederfindet. Außerdem fährt er auch sonntags, und das gehört sich eigentlich nicht, kein anständiger Mensch mäht sonntags den Rasen, auch nicht im 21. Jahrhundert.

Manchmal steht Sol am Zaun und beobachtet ihn, registriert ihre eigenen widersprüchlichen Gefühle: dass sie sich freut, wenn Robi sich in den Dreck wühlt und nicht weiterfahren kann, dass sie aber hinübergehen und ihm über den Kunststoffdeckel streichen möchte wie einem einsamen Hund, den keiner ausführt.

Dasti, der Staubsauger von Frau Kellermann, rumst angeblich noch immer an die Möbel und versucht verzweifelt, die Treppe in den ersten Stock hochzusteigen. Wahrscheinlich hat ihm der Sohn das einprogrammiert. Zu faul, um den Dasti hochzutragen.

Sol hat ein Angebot bekommen, das einfach nicht zu glauben ist, allerdings hat sie sich durchaus eine Weile darum beworben. Es geht um Akzeptanz.

Etwas wurde geliefert, kein bisschen menschenähnlich, metallisch glänzend, Typ eckige Schneiderpuppe, eine Blechschachtel mit sechs Armen. Sol erinnerte sich beim Auspacken an ein Kinderbuch, an eine Konservendose, die ein Kind enthielt, lange her.

Das aktuelle Ding, Kiki 11 heißt es ebenso albern wie konsequent, macht keine niedrige Haus- oder Gartenarbeit. Es ist auf einer technologischen Zwischenstufe angesiedelt und kann Differenziertes: Tisch decken, Tisch abräumen. Es kocht nicht, dafür gibt es inzwischen in jedem Haushalt (auch in Sols) andere Geräte, die aus mehreren mühsam vorbereiteten Zutaten eine Pampe mit einer von unendlich vielen Würzvarianten anrühren.

Kiki dagegen übernimmt Funktionen einer Gouvernante, einer Gesellschaftsdame in alten englischen Romanen. Sie soll und sie kann freundlich und unauffällig kleine, lästige Dinge erledigen: Gläser nachfüllen, wenn Besuch da ist, in der Küche die Kaffeemaschine anschmeißen, Flaschen öffnen, die Spielkarten suchen, durchzählen und mischen, Aschenbecher leeren ja (aber das ist ja kaum noch nötig), Müll raustragen nein. Aufgrund ihrer Funktionen ist schnell klar, dass sie im traditionellen Sinn als weiblich gesehen wird.

Sols Aufgabe ist es, zu beobachten, wie sie selbst auf Kiki reagiert. Der Aufwand (Protokoll führen und dafür sorgen, dass Kiki eine ruhige staubfreie Ecke zum Aufladen hat) ist minimal und wird ganz gut bezahlt, sie hat Kiki dafür kostenlos übereignet bekommen.

Einmal in der Woche telefoniert sie mit Kikis Betreuer, einem klugen, fernöstlich aussehenden jungen Mann mit einer großen Brille (das Foto steht im Handbuch vorne).

»Überschätzen und überfordern Sie Kiki nicht«, sagt Jonas Greifer, »wir erweitern Kikis Fähigkeiten langsam, Schritt für Schritt. Was fehlt Ihnen denn?«

Kiki soll nicht nur Karten suchen und mischen, sie soll Karten spielen, sagt Sol. Jonas meint, Rommé oder Canasta ließe sich machen, Doppelkopf und Skat, also Spiele mit wechselnden Partnern seien noch ein gewisses Problem, außerdem sei Kiki kein ausgesprochener Spielroboter. »Ein Butler spielt ja auch nicht mit«, sagt er.

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