Heft 903, August 2024

Überlaufende Beichte

von Susanne Neuffer

Er muss etwas an sich haben, das die Leute zum Reden bringt.

Mein Reisegefährte ist kein Therapeut und auch kein Moderator nächtlicher Ratgebersendungen. Er ist Leitender Wassermeister, zuständig für frisches und schmutziges Wasser in einem riesigen Einzugsgebiet. Eine Aufgabe, die ruhiges Handeln und sachbezogenes Reden verlangt. In seiner Arbeitsplatzbeschreibung dürfte etwas von Kommunikationsfähigkeit stehen wie in jeder anderen Arbeitsplatzbeschreibung auch. Ich denke jedoch nicht, dass die Kollegen im Betrieb und an den Havariestellen ihm ständig das Herz ausschütten.

Der Erste war ein kleiner Dicker aus dem Rheinland, der auf dem Campingplatz sein Wohnmobil stehen hatte und uns beim Auspacken vor unserer Hütte sah.

Er kam eilig herübergelaufen, sagte etwas Nettes über den Platz, das Tal, über Ein- und Auspacken und begann sofort, alles über die Ländergruppe zu erzählen, die wir so schüchtern wie entschlossen bereisten. Alles hatte er schon gesehen, war überall gewesen, natürlich an den Extrempunkten im Norden und Osten, wusste, wo es die besten Pilze und Fährverbindungen gab. Ausführlich legte er seine Pläne für den nächsten Tag und die nächsten Wochen dar und glitt unversehens in seine Lebensgeschichte, etwas Schwermütiges, Katholisches, das wohl nur im einzigen Benediktinerkloster der Finnmark aufzulösen war. Eine Frau hatte er offenbar auch, sie hatte sich in das Wohnmobil – es war eines von der Sorte mittelgroßes Reihenhaus auf Rädern – zurückgezogen und lugte zwischen den Scheibengardinchen durch.

Ich trug die Sachen in die Hütte und bemühte mich, nicht hinzusehen, wie mein Wassermeister Max von einem Bein aufs andere trat. Es war schon ziemlich kühl und wurde langsam dunkel. Endlich kam er, seufzte und wunderte sich halblaut, warum ihm ein fremder Mensch so schnell so viel Vertrauliches erzählte. Es war wohl auch um nicht heilende Ekzeme auf dem Rücken und Probleme in der Beziehung gegangen.

Na ja, sagte ich, du darfst nicht von mir ausgehen. Er lachte, es war eine Art Running Gag zwischen uns, dass ich in unserer ersten Zeit fast nichts von mir erzählt, sondern ihn nur über das Wasserwerk ausgefragt hatte.

Möchten Sie weiterlesen?

Mit dem Digital-Abo erhalten Sie freien Zugang zum gesamten MERKUR, mit allen Texten von 1947 bis heute. Testen Sie 3 Monate Digital-Abo zum Sonderpreis von nur 9,90 Euro.

Jetzt Probelesen

Weitere Artikel des Autors