Heft 885, Februar 2023

Zirkulation des Publikums

von David Gugerli

Verschwundene Dinge hinterlassen Spuren ihrer vergangenen Präsenz. Dafür braucht es nicht viel. Ein heller Fleck an der Wand, ein Kaufbeleg in einer leeren Plastiktüte, Schwermetalle im Schrebergarten, vielleicht ein flüchtiger Geruch oder eine merkwürdige Redewendung zeigen bereits an, dass da etwas gewesen sein muss. Es gehört zu den Schlitzohrigkeiten der Zeichen gegenwärtiger Absenz, dass nicht nur die verschwundenen Dinge selber, sondern auch die Spuren ihres Verschwindens sehr unterschiedliche Halbwertszeiten haben.

Manchmal tauchen sogar Spuren von Dingen auf, von denen gar niemand gewusst haben konnte, dass sie einmal existiert hatten. So kamen im Winter 1853/54 in der Uferzone des Zürichsees bei Meilen Holzpfähle zum Vorschein. Erwartet hatte sie niemand, vermisst schon gar nicht. Aber jetzt waren sie da, ragten völlig unmotiviert aus dem Boden, nur weil der See einen bemerkenswert tiefen Wasserstand hatte und man gerade damit beschäftigt war, ihm mit baulichen Maßnahmen etwas Land abzutrotzen.

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