David Gugerli im Merkur
Digitalkolumne
Supercomputer – an der Grenze der Berechenbarkeit Als Texas Instruments 1972 für die Universität Princeton einen neuen Rechner baute, kam die New York Times nicht mehr aus dem Staunen heraus. Dieser Computer werde zehnmal so stark sein wie der bis dahin stärkste Computer. Er brauche beim Rechnen eine Größenordnung weniger Zeit als jeder andere Computer. Umfangreiche Wetterprognosen ließen sich mit dieser Maschine fertig rechnen, bevor das Wetter eintraf. Und da man in Princeton so viel Wetter im Voraus
(...lesen)Digitalkolumne
Das pandemische Ende der Digitalisierung Erinnern Sie sich noch an die lange Digitalisierungsdebatte des letzten Jahrzehnts? Damals gab es keine Reden ohne die ernstgemeinten Hinweise auf »Daten als das Erdöl der Zukunft«, keine Kolumnen ohne ein bewegendes Zeugnis von raffinierter und deshalb auswegloser »(Selbst)Überwachung« auf dem Handy, keine Strategiepapiere und keine Podiumsdiskussionen, die sich nicht mit frisch aufgetauter »Künstlicher Intelligenz« oder gründlich reanimierten »Vernetzungsgefahren«
(...lesen)Spiegelerlebnis mit Zeugen
Walter Cronkite war bei CBS über Jahrzehnte hinweg der Moderator, der aus besonders aufregenden oder heillos verwickelten Lagen eine verständliche Geschichte machen konnte. Virtuos reduzierte er die Komplexität großer Ereignisse auf ein handliches und allgemein anschlussfähiges Deutungsangebot. Das war auch am 27. Dezember 1968 der Fall. Soeben hatten drei Menschen die Rückseite des Mondes mit eigenen Augen gesehen. Frank Borman, William Anders und James Lovell konnten sogar vom Sonnenaufgang auf dem
(...lesen)Abfall am Himmel
Eine Saturn-V-Rakete, mit der amerikanische Astronauten Ende der 1960er Jahre zum Mond fliegen konnten, wog beim Start 2900 Tonnen. Was die Hubschrauber und Rettungstaucher der Navy wenige Tage danach aus dem Meer fischten, brachte keine zwei Promille davon auf die Waage. Einzig das malträtierte Command Module kehrte zur Erde zurück, mit drei übermüdeten Astronauten, ein paar Kisten Mondgestein und einem großen Haufen belichteter Filme. Alles andere war verbrannt, im Meer versunken, in der Atmosphäre
(...lesen)Zirkulation des Publikums
Verschwundene Dinge hinterlassen Spuren ihrer vergangenen Präsenz. Dafür braucht es nicht viel. Ein heller Fleck an der Wand, ein Kaufbeleg in einer leeren Plastiktüte, Schwermetalle im Schrebergarten, vielleicht ein flüchtiger Geruch oder eine merkwürdige Redewendung zeigen bereits an, dass da etwas gewesen sein muss. Es gehört zu den Schlitzohrigkeiten der Zeichen gegenwärtiger Absenz, dass nicht nur die verschwundenen Dinge selber, sondern auch die Spuren ihres Verschwindens sehr unterschiedliche
(...lesen)Eisen zu Eisen, PET zu PET?
In Deutschland werden jährlich über drei Millionen Personenwagen abgemeldet, die wenigstens fünfzehn Dienstjahre hinter sich haben. Die bundesamtliche Statistik verdeutlicht den tristen Erwartungshorizont von Kraftfahrzeugen: Irgendwann landen alle auf einem Schrottplatz. Dort werden sie rücksichtslos ausgeweidet, von Reifen, Schmieröl, Batterien und Kunststoffen befreit. Schließlich werden sie in handliche Pakete gepresst, auf große Lastwagen gehievt und zum Schmelzofen gefahren. Die letzte Fahrt braucht
(...lesen)Flache Berge
Den einen sind sie eine Herausforderung, den andern eine Bedrohung. Manche finden sie sogar schön. Die Achtundsechziger aber erinnern sich dabei immer noch an ein Graffito, das von einer besseren Aussicht auf das Meer träumte und deshalb ganz radikal wurde: Rasez les Alpes! Allerlei Klettergerät, Skilifte, Seilbahnen und Helikopter, mutige Passstraßen oder waghalsige Eisenbahnlinien bezwingen diese erdgeschichtlich kuriose Problemzone. Mit Serpentinen, Kehrtunnels, Viadukten und Galerien wird der Verkehr
(...lesen)Geheime Spuren
Dass sich Technikgeschichte vor allem für das Entstehen neuer Technologien interessiert, muss man ihr nicht zum Vorwurf machen – schließlich führt die Frage nach der Technikgenese fast zwangsläufig auch zur viel unbequemeren Frage, was denn vom Neuen verdrängt worden ist. Die Produktion von technischen Einrichtungen ist auf fatale Weise an das mehr oder weniger sanfte Verschwinden von Geräten und vertrauten Verfahren gekoppelt. Ob das auch für Apparaturen des Geheimen gilt? Auskunft über geheime
(...lesen)Beherbergen
In Technikmuseen werden kuriose Geräte und Apparaturen aufbewahrt, die kurz vor ihrem endgültigen Verschwinden gerade noch dingfest gemacht werden konnten. Hier eine nie gebrauchte Kastanienschälmaschine, dort die gut sedierte Spinning Jenny im wohlverdienten Ruhestand. Als tapfere Vertreter aller obsolet gewordenen, realweltlichen Exemplare hinterlassen die Exponate starke Bilder beim Publikum, verfestigen sich in den Erinnerungen und liefern hübsche Sujets auf Kaffeetassen und Schlüsselanhängern. Nichts
(...lesen)Unübersichtlichkeit
In der Welt der IT verschwindet immer gerade etwas, seien es nun Maschinen, Personal, Programme, User, Adressaten oder Daten – mitunter selbst in mächtigen, gut finanzierten und klug aufgebauten Organisationen. Das zeigt eine computerhistorische Wende, deren Urszene gern am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf verortet wird und 1989 stattgefunden haben muss. Wer sich für Vorgänge interessiert, die ganz kurz nach dem Urknall angesiedelt werden, muss wohl von allem, was sonst noch in der Welt
(...lesen)Lebenszyklus
Von Donna Haraway haben wir gelernt, dass die Life Sciences des 20. Jahrhunderts von technoiden Metaphern geprägt sind. Das gab damals viel zu denken. Dass technische Diskurse wiederum seit jeher von Metaphern des Lebens regiert werden, wird hingegen offenbar als selbstverständlich empfunden. Dabei müsste man in der Technikgeschichte eigentlich alles in Anführungszeichen setzen. Die Redeströme, die hier untersucht werden, und die Kommentare, die einem dazu einfallen, sind allesamt biometaphorisch
(...lesen)Obsoletes
Ausgestorbene Technologien überleben am elegantesten in der aufgeräumten Schönheit illustrierter Tablebooks. In Extinct – A Compendium of Obsolete Objects von Barbara Penner und ihren Kolleginnen zum Beispiel. Hier herrscht eine abstrakte editorische Ordnung, die ihre Gegenstände aus Geschichte und Chronologie gelöst hat und sie ganz enzyklopädisch in alphabetischer Reihenfolge präsentiert. Immer ein ganzseitiges Bild, dem drei Textseiten folgen. Das ergibt ein knappes Inventar obsolet gewordener Dinge.
(...lesen)Tabula rasa
Roden und planieren, abfackeln, schleifen und sprengen – auf alle Fälle von vorne beginnen, so radikal, wie es die Philosophie verfügen kann, die Pädagogik es voraussetzt und die moderne Architektur es sich in immer raffinierteren Varianten vorstellt, oft zusammen mit Abrisstrupps, Baufirmen und rücksichtslosen, also weitsichtigen Machthabern. Man denke nur daran, wie der Baron von Haussmann und Napoleon III. aus Paris Paris
(...lesen)Verlustfrei
Verluste werden in Bilanzen festgehalten oder in Anzeigen bekanntgemacht. Sie werden also dank spezialisierter Kanäle gesellschaftlich verfügbar gehalten und lassen sich anschließend rituell, rechtlich oder rhetorisch behandeln. Was jedoch nicht als Verlust taxiert wird, sondern bloß verschwindet, tut das in der Regel sang- und klanglos. Denn zunehmende Bedeutungslosigkeit kann nicht registriert werden und wird deshalb auch nur beiläufig kommentiert. Die Geschichte der MiniDisc bestätigt diesen (soziologischen) Unterschied zwischen Verlust und Verschwinden nur zum
(...lesen)Deus ex machina
Am 26. August 1660 zogen Louis XIV. und Marie-Thérèse von Österreich als frischvermähltes Paar in Paris ein. Ihre Vermählung war sorgfältig ausgehandelt worden und hatte zu den Bestimmungen des Pyrenäenfriedens gehört, den man als das verspätete französisch-spanische Ende des Dreißigjährigen Kriegs bezeichnen könnte. Er kann auf alle Fälle als großer Erfolg der französischen Außenpolitik gelten. Gleichzeitig rubrizierte der Einzug des königlichen Paars in die Hauptstadt den innenpolitischen Sieg der
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