Abschied vom Feuer?
von Jens SoentgenDie Waldbrände in Brandenburg, an den Mittelmeerküsten, in Kalifornien, Australien und an anderen Orten weltweit haben das Feuer in die Medien gebracht. Und zugleich ist das wohl wichtigste langfristige Leitbild der europäischen Politik »zero emissions«, eine emissionsfreie Gesellschaft, die sozial gerecht und fair bis 2050 realisiert sein soll. Dieses Ziel bedeutet im Kern einen Abschied vom Feuer und damit ein Projekt von menschheitsgeschichtlicher Dimension, weil ein seit rund einer Million Jahre bestehender Pakt aufgelöst werden soll.
Feuer und Zivilisation
Der niederländische Soziologe Johan Goudsblom präsentierte 1992 in seinem Buch Fire and Civilization ein mehrdimensionales und anspruchsvolles Feuer-Denken, das feuerökologische, ethnologische und umwelthistorische Forschungsergebnisse gleichermaßen berücksichtigte und in einer Theorie des Zivilisationsprozesses zusammenführte, mit der er an Norbert Elias anschloss.
Wie es bei Elias um die Erlangung von Kontrolle über die unwillkürlichen Regungen, über Zorn, Wut, Angst oder Scham ging, um den Zusammenhang von Soziogenese und Psychogenese, geht es bei Goudsblom um die allmähliche kollektive Kontrolle über ein bedrohliches Naturphänomen. Die Grundthese lautet: »Weil Menschen das Feuer gezähmt und es zu einem Teil ihrer eigenen Gesellschaften gemacht haben, sind diese Gesellschaften komplexer und die Menschen selbst zivilisierter geworden.« Entscheidend ist, dass es sich bei der Zähmung des Feuers um einen sehr langfristigen Prozess handelt; sie hat sich also nicht ein für allemal in ferner Vergangenheit vollzogen.
Goudsblom zeigt, dass dieser Prozess nicht nur eine Grundvoraussetzung der Industrialisierung darstellt. Bereits der Übergang zur Landwirtschaft, der in Europa im Zuge der neolithischen Revolution stattfand, setzte die Kontrolle des Feuers voraus. Denn diese Landwirtschaft beruhte auf Brandwirtschaft, also auf der Fähigkeit, durch das Feuer bestimmte Gelände von ihrer Vegetation zu befreien und für den Ackerbau tauglich, nämlich urbar zu machen. Von dem Moment an, in dem menschliche Gruppen das Feuer nutzten, bemühten sie sich zugleich darum, das spontane Feuer, das etwa durch Blitzschlag entsteht, und das übergriffige Feuer, das vom Herd aus die Hütte entflammt, unter Kontrolle zu bringen. All das erfordert Disziplin und Arbeitsteilung.
So richtig und wertvoll diese Einsichten auch sind, Goudsbloms Feuersoziologie kann nicht einfach fortgeschrieben werden. Das liegt zum einen daran, dass er zwar die Technik- und Umweltgeschichte, nicht aber die Wissenschaftsgeschichte auswertet, wodurch die kognitive Bedeutung des Feuergebrauchs aus dem Blick gerät. Hinzu kommen konzeptionelle Schwächen. Goudsblom setzt einen rein materialistischen Feuerbegriff voraus, der aber für sein Projekt wenig zweckmäßig ist (dazu gleich noch ausführlicher). Schließlich impliziert sein Zähmungskonzept, dass die Kontrolle über das Feuer in der gegenwärtigen Gesellschaft ihren relativen oder absoluten Höhepunkt erreicht habe. Diese Annahme ist jedoch alles andere als plausibel. Das Feuer ist nicht gezähmt. Die gemeinsame Zukunft von Mensch und Feuer ist heute nicht nur offen, sie ist problematischer als je zuvor.
Mir scheint es daher sinnvoller, offener von einem Pakt oder einem Bund zu sprechen, den die Menschen mit dem Feuer geschlossen haben. Denn anders als der Begriff der Zähmung bezeichnet der des Pakts eine Beziehung auf Augenhöhe. Gleichwohl hat auch ein Pakt eine Entwicklungsperspektive, lässt er sich doch ausgestalten und vertiefen. Und schließlich wissen wir, dass Pakte mitunter auch einen Haken haben können.
Feuer als Verwandler, als Feind und als Freund
Goudsblom hält sich mit dem Bemühen, einen Begriff des Feuers zu entwickeln, nicht allzu lange auf, ihm reicht die aus naturwissenschaftlichen Lexika entnommene Bestimmung, dass das Feuer ein chemischer Prozess ist, der Wärme und Licht freisetzt und dabei komplexe organische (das heißt kohlenstoffhaltige) Strukturen auflöst und in Asche und Rauch verwandelt. Doch diese materialistische Definition des Feuers, die in ihren wichtigsten Grundzügen im späten 18. Jahrhundert entwickelt wurde, berücksichtigt ausschließlich die Stellung des Feuers im System stofflicher Transformationen. Für eine philosophische und kulturwissenschaftliche Feuerforschung bietet es sich aber eher an, von einem ökologischen Feuerbegriff auszugehen. Dabei wird das Feuer aus seiner Beziehung zu den Lebewesen und ihren Ökosystemen verstanden und anschließend gefragt, was geschieht, wenn Menschen beginnen, das Feuer kulturell zu nutzen.
Feuer ist für die Lebewesen nie eine neutrale Sache, sondern wird als zugleich bedrohlicher und faszinierender Akteur erlebt, durch sein Flackern, sein Rauschen, Knacken und Fauchen, sein Voranschreiten, durch seine Hitze und sein Leuchten hat es etwas Autonomes und übt eine bisweilen gefährlich hypnotisierende Kraft auf Menschen wie auf viele andere Wirbeltiere und Insekten aus. Feuer ist kein Lebewesen, und doch ist es den Lebewesen sehr ähnlich, weil es einen Stoffwechsel hat, mit Rauch und Asche regelrechte Exkremente aufweist, weil es sich bewegt und seiner Nahrung geradezu hinterherläuft.
An Land ist das Feuer der mächtigste Universalfeind aller Organismen, denn es bedroht sie alle, welcher Gattung sie auch angehören, wie groß oder klein sie auch sein mögen. Daher ist auch in allen Tieren die Pyrophobie, das Verhaltensprogramm, vor einem voranschreitenden Feuer zu fliehen, tief verankert. Das Feuer seinerseits hat von den Lebewesen zunächst nichts zu fürchten. Sein einziger Feind ist das Wasser, das ihm in Gestalt von Bächen, Flüssen oder Seen Einhalt gebieten kann und das es als Regen bremst und schließlich löscht.