Heft 856, September 2020

Das deutsche Volk

von Robin Detje

Ich bin in der sogenannten Heimat, aus der ich mit achtzehn so schnell und so weit geflohen bin, wie es ging (teuflische 8888 Kilometer weit, hat mir ein Online-Entfernungsrechner ausgerechnet). Es ist heiterer geworden dort: Auf dem Feldweg grüßt man einander, anstatt starr zur Seite zu blicken, in den Knick. Die Feld- und Waldlandschaft, in die die Einfamilienhaussiedlung sich drückt, ist kein Ort mehr, an dem man sich vor dem letzten Krieg versteckt, vor dem nächsten Krieg, kein Bunker mehr, in dem man nicht gefunden werden darf, zum Beispiel vom nächsten Diktator und seinen Verführungskünsten. Protect me from what I want.

Als ich Kind war, waren die Panzer für den nächsten Krieg gleich hinter dem Flughafen stationiert, direkt am Eisernen Vorhang, allzeit bereit. Auf Hausdächern standen Sirenenpilze, wöchentlich gab es Sirenenjaulen zur Probe. Das Vergehen der Zeit macht heiter. Die Bäume am Wegrand haben lange keinen Panzer mehr gesehen. Es gibt auch keinen Probealarm mehr. Die Eichen überspannen jetzt den ganzen Weg, darunter wuchern unbeschwert die Brennnesseln, die Kriegstraumata sind kompostiert. Östliches Hügelland.

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