Heft 853, Juni 2020

Dünger werden

von Robin Detje

Wir sind vorübergehend am Ende.

Weltuntergang? Wahrscheinlich ja. Zu meinen Lebzeiten? Wahrscheinlich ja.

Tröstlich: Es ist nur der Untergang unserer Welt.

Ich gehe nur noch auf die Straße, wenn es wirklich sein muss. Ich möchte lieber nicht. Das Freizeitverhalten der anderen macht mich zu traurig. »Abstandsregeln einzuhalten ist sehr wichtig, aber wenn wir gerade gemütlich zu zweit nebeneinander gehen und man nicht mehr an uns vorbeikommt, ist das doch sicher nicht so schlimm, was regen die anderen sich so auf!«

Man wird sich doch noch durchdrängeln dürfen. Man wird doch noch textend und schnaufend in eine Menge joggen dürfen. Freiheit ist, nicht an andere denken zu müssen.

Wir sollen uns plötzlich als Gesellschaft begreifen, das wird als Zumutung begriffen. Wir sind gewöhnt, einander als Konkurrenten zu sehen, und setzen unsere Gewohnheiten weiter durch. Auch im Park muss man durchsetzungsfähig sein. Von anderen Gehorsam fordern, selbst Gehorsam nur spielen und sich dabei stolz und verschlagen alle Rechte herausnehmen, das ist das Spiel. Ich mag das nicht mehr mit ansehen. Ich mag ihm aber auch nicht ausweichen.

Meiner Mutter geht es gut. Sie wird bald 94. Sie hat den Krieg überlebt, den Hunger danach und findet die ganze Aufregung etwas übertrieben. Sie klingt vitaler. Vielleicht ist ihr ganzes Nervensystem durch die erlittenen Traumata auf Krise gepolt. In der Krise blüht sie auf, ohne Krise finden ihre Ängste in der Realität keine Entsprechung. Die Welt ist ihren Ängsten endlich wieder gewachsen.

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