Erschleichung des Gefühls der Unendlichkeit
von Robin DetjeJetzt ist der Sommer bestimmt da. Wie er wohl aussehen wird? Alles könnte inzwischen passiert sein. Ich schreibe dies im Mai. Lebe ich im Juli noch, oder bin ich tot? Wäre meine Todesursache ein Virus oder die Dummheit der anderen? Oder kommt eine der Krähen, die ich füttere, und hackt mir überraschend doch ein Auge aus? Das wäre dann ein sogenannter Freizeitunfall.
Wobei ich im Juli 2019 natürlich genauso hätte tot sein und mir im Mai 2019 genau die gleichen Gedanken darüber hätte machen können; irgendwo um die Ecke wartet immer der Müllwagen, unter dessen Räder man kommen kann. »Lasst der Natur ihren Lauf!« war eine Marktplatzparole auf einer der jüngsten Marktplatzdemonstrationen gegen die Versuche »der da oben«, Menschenleben zu retten. Aber die Natur nimmt sowieso immer ihren Lauf und wartet nicht darauf, dass wir sie lassen.
In der Anfangszeit unserer Jahre mit Corona war meine große Hoffnung, noch ein Aquarium aufsetzen zu können, noch eine Arena, in der ich das Spiel zwischen Kultur und Natur ausreizen kann, das Spiel mit dem richtigen Zeitpunkt, um einzugreifen und meine kleine Welt zu beschneiden oder zu düngen, sie auszudünnen oder zu verdichten, wobei die Natur mir aus dem Becken jedes Mal zurufen würde, dass es ihr ohne mich viel besser geht.
Das erste bestellte Becken, Fassungsvermögen 60 Liter, abgerundete Ecken, wurde als Scherbenhaufen geliefert, das zweite kam nie an und wurde storniert, das dritte ebenso. Ein Viertes tauchte plötzlich in den eBay-Kleinanzeigen auf, war aber sofort weg, und auf das fünfte warte ich immer noch. Wochen sind ins Land gegangen. Dreihundert Pakete müsse er jetzt an einem Tag ausliefern, sagt Mario, unser DHL-Bote, das gehe an die Substanz.
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