Nicht einmal Kapitalismus
von Robin DetjeIch stehe unter bestmöglicher Einhaltung der Abstandsregeln in der S-Bahn nach Berlin-Frohnau. Schräg rechts unter mir sitzt ein Mann, etwas älter als ich, Anfang sechzig vielleicht. Akkurate Kurzhaarfrisur. Auf dem Schoß ein neues schwarzes Daypack, gelecktes Mittelmaß. Überhaupt alles mittleres Preissegment, auch das strammsitzende schwarz-weiß-blau karierte Kurzarmhemd – ein Mensch, der sich fest in Ordnung wickelt. Fleischgewordene deutsche Leitkultur.
Ein warmer Tag, ein heißer S-Bahn-Waggon, kein Schweißtropfen. Deodorant aus Flüssigbeton. Offensive Makellosigkeit. Der Mann prüft ab und zu den Sitz seiner Gesichtsmaske und liest Nietzsche. Der Wille zur Macht.