Einmal ragte Siegfried Unseld turmhoch hinter mir auf
von Robin DetjeDiese Kolumne beginnt mit einem Gruppenbild von fünf älteren erfolgreichen Jungs, Golden Boys, meist mit Schmerbauch, einer schmaucht eine Pfeife. Danach erleben wir Helmut Kohl nackt in der Sauna, Trigger-Warnung! Anschließend werde ich belegen, dass meine Eltern mich verraten haben. Danach sofort Weltuntergang.
Das Gruppenbild ist in der Germanisten-Bubble von @Johannes42 auf Twitter aufgetaucht. Vierundvierzig mal »Gefällt-mir«. Peinlich: Kaum jemand konnte alle Herren benennen, diese kings of the hill, top of the heap von vorgestern. Sie heißen Peter Weiss, Siegfried Unseld, Max Frisch, Martin Walser und Uwe Johnson. Selbstverständlichen Genuss der eigenen Bedeutung strahlen sie aus, das war Leistungsanreiz und Sonderzulage dieser untergegangenen Männerwelt. Der Schmerbauch war das, was man brauchte, um sich in einen Raum zu schieben, bürgermeisterhaft, landesväterlich, in dem dann alle sofort vom Gewicht des Eintretenden überzeugt waren. Verdrängung, einer der bezifferbaren Werte in meinem Supertanker-Quartett aus der Wachstumsgesellschaft von 1970: Der Supertanker mit der höchsten Verdrängung war der suprigste.
Alte Bundesrepublik mit etwas Schweiz. Nur Peter Weiss ist auf dem Foto ganz schlank. Im Hintergrund ein Hochhaus. Mit fortschreitenden Jahren bei goldenen Jungs dann generell zunehmende Anfälle von Selbstmitleid, auch bei bronzenen oder rostigen Jungs, weil das Verdrängen Arbeit ist, die ganze Männerrolle, und weil die Sonderzulagen nie reichen und man sich mehr versprochen hatte, immer mehr. Auf dem Gesicht von Max Frisch ist das schon sichtbar, die überraschte, leicht weinerliche, fast um Verzeihung bittende Miene eines Siegers, dem plötzlich und unerwartet vom Alter ins Gesicht geschlagen wird und der seinen eigenen unausweichlichen Bedeutungsverlust vorhersieht.
Die Unausweichlichkeit des Untergangs durch Körpermasse und Macht aufhalten, so lange es geht. Dominanzverhalten. Unfähig zu allem anderen.
Einmal ragte Siegfried Unseld turmhoch hinter mir auf und zerquetschte mir dann mit einer gigantischen Pratze die Hand. Die Pratzen von Helmut Kohl, der Legende nach noch gigantischer, sind mir erspart geblieben, aber schon die Berichte jener, die zum Beispiel ein einfaches Essen im Kanzleramt mit ihm absolvieren mussten, klingen stark nach Missbrauchserfahrung.
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