Heft 919, Dezember 2025

Menschen an Endgeräten

Die Reise zu den blauen Bergen von Susanne Neuffer

Leute planen ihre Urlaubsreisen als Spurensuche. Sie folgen einem Autor oder seinen Figuren aufmerksam durch die mörderreiche Bretagne oder ein gefährlich loderndes Schweden.

Ich bin hinter einem Autor her, den in meinem Umfeld keiner liest, der auf einer Landstraße starb, als ich mit anderen Dingen beschäftigt war, und für den ich in den südlichsten Winkel des Landes reisen muss.

Mit Regionalzügen gerät man in die Realität, häufiges Umsteigen führt zu Vermutungen, manchmal zu Erkenntnissen.

Die kleinen Bahnhöfe sind nicht nur vernachlässigt, sondern ganz tot. Es gibt keine Fahrkartenschalter, keine Auskunftspersonen, aber eine verdächtig aussehende Kabine mit einem Videoassistenten. Was würde ein Serviceangestellter die Bahn kosten? Ein einziges Mal entdecke ich eine von einem Menschen bewachte und zu putzende öffentliche Toilette. Was verdient eine Toilettenfrau? (Es war eine Frau.) Wir sind hier nicht in einem Film von Wim Wenders, und das Glück, diese Toilette zu betreuen, ist sicher ein flüchtiges und begrenztes.

The Beautiful South: Irgendwann kommt man doch im äußersten Süden an. Ich genieße die umständliche Anfahrt mit dem Ersatzbus, der uns Fahrgäste durch Täler und um Kurven schleudert, hinter denen kurz richtige Berge als Versprechen auftauchen, doch gleich wieder verschwinden. Vielleicht ist es die Aussicht auf eine Aussicht, die mich hierher getrieben hat, und die Spurensuche ist nur ein Vorwand? Überhaupt wird es kaum möglich sein, sich an eine Wirklichkeit anzunähern, die aus Texten besteht.

Und dann muss ich tatsächlich aussteigen.

Verstummte Gasthöfe, große, ehemals schöne Gasthöfe, in jedem gab es eine Gaststube, einen Festsaal, ein paar Zimmer, vielleicht eine Kegelbahn. Hochzeiten, Besäufnisse, den Geruch nach Schweinebraten um die Mittagszeit.

Es könnte sinnvoll sein, ausreichend Bargeld zu haben.

Die Volksbank hat im Zentrum des Ortes ein großes helles Gebäude. Die traditionelle Malerei, die es an diesem Gebäude gegeben haben soll, ist übermalt worden. Weißelt, ihr Jungfrauen, weißelt. Drinnen in der Bank völlige Stille, Leere hinter Panzerglas. Ein Schild verspricht auch hier persönliche Beratung, wenn man den Videoassistenten aktiviert. Ich brauche keine Beratung, nur Geld. Am Geldautomaten klebt ein Schild: Außer Gebrauch. Wo der nächste Automat im Landkreis steht, erfährt man vom Videoassistenten. Vielleicht weiß der auch, wie man da hinkommt. Ich beschließe, dass mein Bargeld ausreicht.

Es ist Hauptsaison, und die Straßen sind still. Ein paar Häuser sehen frisch renoviert aus, sie sind als Ferienwohnungen zu haben. Die Internetadresse steht gleich unter der Blumenmalerei, die sich um die Fenster zieht.

Ab und zu (selten) ein Auto, ein Fahrrad. Vielleicht sind alle beim Wandern, am Berg, den ganzen Tag auf Tagestour. Oder bei Netto einkaufen, weil man sich ja in der Ferienwohnung selber verpflegen muss?

Eine Frauengruppe, die nach Yoga oder Wellness aussieht, durchquert stramm und schweigend den Ort, verschwindet in Richtung Tobel.

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