Andere Leben als meines
von Hanna EngelmeierNeulich hat sich Franziska von Hardenberg einen Thermomix gekauft. Der Thermomix ist eine Küchenmaschine mit den Funktionen Reiskochen, Andicken, Dampfgaren, Emulgieren, Kneten, Kochen, Mahlen, kontrolliertes Erhitzen, Mixen, Rühren, Schlagen, Vermischen, Wiegen und Zerkleinern zum Startpreis von 1359 Euro. Franziska von Hardenberg ist eine Unternehmerin, die zunächst einen Blumenversand gründete, diesen jedoch 2017 an Fleurop verkaufte. Seit einiger Zeit betreibt sie einen Schmuckversand, der ihren Aussagen nach Frauen dazu ermutigen soll, den daheim ja doch nur herumliegenden Goldschmuck aus der Familienerbmasse nach Entwürfen der Unternehmerin zu neuen Schmuckstücken umarbeiten zu lassen. Für den Preis des günstigsten Rings im Angebot der Seite »The Siss Bliss« erhält man etwas mehr als einen halben Thermomix.
In ihrem Thermomix hat Franziska von Hardenberg bereits Milchreis und – auf vielfache Hinweise ihrer großen Anhängerschaft auf Instagram (im Februar über 35 700 Follower) – einen Brokkoli-Salat zubereitet, der jedoch hinter ihren Erwartungen zurückblieb. Ich kenne die Vor- und Kosenamen der Kinder Hardenbergs und den ihres Mannes, in der Regel informiert sie mehrfach täglich via Instagram-Storys über ihre beruflichen Termine, familiäre Aktivitäten und Sonderangebote ihres Schmuckversands. Großes Hallo ruft derzeit auch der Erwerb eines sanierungsbedürftigen Eigenheims in einem nicht näher identifizierten, aber dreißig Minuten Autofahrt von Mitte entfernten Stadtteil Berlins hervor. In Sachen Immobilienkauf riet Hardenberg in einer ihrer Storys dazu, dass man sich immer die Immobilie kaufen solle, die man sich auch leisten könne. Das sei ihr learning auch aus der Sache mit dem zuletzt aufwändig renovierten Landhaus, das sie und ihr Mann zwecks Finanzierung des Stadthauses dann doch verkauft hatten.
Ich schaue jeden Tag etwa zehn Instagram-Storys von allen möglichen Userinnen und Usern an. Das Durchklicken der sich ständig erneuernden Abfolge von Bildern oder gestückelten Videos mit Kommentarfunktion hat dabei das Zappen durchs Fernsehprogramm ersetzt, das ich früher nach der Schule als Umweg zu den Hausaufgaben betrieb. Ich folge den Links politischer Aktivisten oder betrachte Autorinnen im Marketing-Einsatz, ich sehe absichtsvoll herbeigeführte Text-Bild-Scheren oder beobachte eine weit entfernte Freundin dabei, Kalendersprüche und Kalauer zum Thema Elternschaft aneinanderzureihen, mich freut das, ich glaube, es geht ihr gut.
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