Ich hab’ da so eine Stelle
von Hanna EngelmeierAn der Außenseite meines rechten Handballens ist die Haut aufgerissen. Der Spalt, der am tiefsten ist, entzündet sich manchmal, verschließt sich dann durch das Auftragen von verschiedenen Cremes und der nur leicht missbräuchlichen Anwendung von Cortison wieder, diesen Winter aber bleibt er erneut weitgehend offen. Das viele Händewaschen und Desinfizieren spielt dabei natürlich eine Rolle, tatsächlich jedoch erinnere ich mich an das Auftauchen dieser Problemstelle schon im Jahr 2017. Vielleicht sollte ich damit mal zur Hautärztin gehen. Aber nicht jetzt.
An der Oberseite meines linken Handgelenks findet sich eine knapp eineinhalb Zentimeter lange Narbe, die als Mahnmal dafür fungiert, wie sich abheilende Haut verhält, an der Kinderhände (und Erwachsenenhände, natürlich) immer wieder mit Gusto herumknibbeln. Zugleich erinnert die Narbe an die Runde Jungen-fangen-die-Mädchen in der fünften Klasse, während derer ich als Gefangene im Fahrradkeller eingesperrt war und meine Hand zum Freischlagen durch die rostigen Streben des Fahrradkellergitters streckte. Ich kam raus, aber die Hand blutete.
Mit der Zeit verwandele sich der Körper in ein historisches Dokument, in dem bestimmte dramatische Momente in Narbengewebe festgehalten würden, schreibt David Owen in seinem Essay Scars aus dem Jahr 2012. Der Untertitel lautet A life in injuries, und tatsächlich erzählt der Text eine Biografie, die aus Spuren von Verletzungen auf Owens Körper zusammengesetzt ist. Sie beginnt damit, wie er sich eines Tages beim Herumspielen mit Feuerwerkskörpern beinahe einen Zeh wegballert. Sein Freund Duncan, wie er schon ein Teenager, der es besser wissen müsste, fährt ihn ins Krankenhaus, damit sie einige Zeit später gemeinsam eine mehrtägige Wanderung in den Bergen von Colorado antreten können, in der sie ihre Körper dem Risiko von anderen, durch die Wildnis hervorgerufenen Verletzungen aussetzen. Ein Zelt nehmen sie bei ihrem Trip nicht mit.
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