Heft 866, Juli 2021

Auf die Melodie von »A House Is Not a Home« zu singen

von Hanna Engelmeier

Mit meinen Möbeln habe der Raum aber größer ausgesehen, sagte die Nachmieterin bei der Schlüsselübergabe und lächelte über mein Schlafzimmer wie jemand, dem ein Kleinkind gerade eine Zeichnung überreicht hat, deren Krikelakrak angeblich den Ausflug in den Zoo am letzten Sonntag darstellt. Ich hatte das Bedürfnis, das Zimmer zu verteidigen, das eigentlich nie wirklich meines gewesen war. Es war ja nur gemietet, und für seinen Zuschnitt zu rechtfertigen hätte sich höchstens die Person, die irgendwann entschieden hatte, aus den größeren Räumen eines Altbaus viele kleinere Zimmer zu machen. Mein nunmehr ehemaliges Schlafzimmer sah tatsächlich mickrig und nackt aus. Aber es war besenrein, wie auch die anderen Zimmer, durch die ich eine letzte Runde drehte, bevor ich nach sechzehn Jahren zum letzten Mal die 83 Stufen nach unten in den Innenhof ging.

Die Wand, die das Schlaf- vom Wohnzimmer trennt, ist nur eine einfache Trockenbauwand, und beim Aufhängen eines Spiegels im Wohnzimmer hatte ich sie durch überengagiertes Dübeln durchbrochen. Die Ausbuchtungen des zu tief in die Wand eingeführten Bohrers waren noch sichtbar wie Mückenstiche. An der gegenüberliegenden Wand fehlte ein Stück Tapete, das bei einem Wasserschaden im Bad fünf Jahre zuvor abgerissen worden war, um zu sehen, ob sich eventuell auch im Schlafzimmer Schimmel gebildet hatte. Zwei Jahre später schob ich einen Kleiderschrank vor die Stelle, die nun entblößt zu sehen war, ohne dass ich ihre Versehrung überdecken konnte.

Bevor die Nachmieterin kam, hatte ich mit auf einen Topfreiniger aufgetragenem Klarspüler den hartnäckigsten Schmulk an den Stellen der Dielen in der Küche abgeschrubbt, die zuvor vom Herd verdeckt worden waren. Sein Gewicht hatte etliche Dellen im weichen Kiefernholz hinterlassen. Heller war es am Boden auch dort, wo ein Küchenbuffet gestanden hatte, das ich im Februar 2005 einer deutsch-italienischen Familie abgekauft hatte, die mich an einem Samstagmorgen in ihrer Schöneberger Wohnung gleich hinter dem Gasometer empfing. In meiner Erinnerung tragen alle Familienmitglieder gestärkte weiße Hemden und sind überirdisch schön, auch das Buffet schien mir überirdisch schön, wer weiß, vielleicht würde etwas vom Glanz dieser Menschen bei mir einziehen, wenn ich meine Auflaufformen in einem Möbel lagerte, das loszuwerden sie mehr als froh waren. Ich ließ es dieser Tage eher mittelmäßig überzeugt an seinen neuen Ort einziehen.

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