Über Vandalismus
von Hanna EngelmeierAn einem Aprilabend verließ ich im Dunkeln das Haus, um mir etwas zu essen zu holen. Ich überholte eine Gruppe von drei Männern, die ohne Eile auf dem Bürgersteig vor mir gingen. Sie lachten und knufften sich gegenseitig auf eine Art und Weise, die mir nicht ausschließlich freundlich vorkam. Sie waren laut, ich glaubte: betrunken. Die Sprache, in der sie miteinander redeten, klang für mich nach Russisch. Aber vielleicht war es auch Ukrainisch. Oder noch eine andere Sprache? Ich beherrsche weder die eine noch die andere und kann sie nicht unterscheiden. Ich schämte mich dafür. Einer trat auf ein Fahrrad am Rand des Bürgersteigs ein, und ich meinte, das Wort (also: Vandalismus) zu verstehen. Aber wer weiß?
Die Sprache machte keinen Unterschied: Andere Abende allein auf der Straße hatten mich gelehrt, dass es mich beruhigen würde, einen Moment in einem Hauseingang zu warten, bis sie vorüber gegangen wären, im Mantel nach meinem Schlüssel und meinem Handy zu tasten und eventuell ein Telefonat zu führen, bis sich unsere Wege trennten. Als einer der Männer mich an der Seite darauf warten sah, dass er und seine Begleiter vorbeigingen, sagte er auf Deutsch zu mir: »Keine Angst«. An der nächsten Straßenecke gingen die weiterhin grölenden Männer geradeaus weiter, und ich bog ab.
Ich fühlte mich schlecht, hatte ich doch offenbar deutlich signalisiert, dass ich die Männer für bedrohlich hielt, und vielleicht waren sie es gar nicht. Vielleicht passierte ihnen das ja insbesondere derzeit häufiger, weil sie eine Sprache sprechen, die von in dieser Hinsicht minderbemittelten Passantinnen für Russisch gehalten wird. Vielleicht dachten diese Passantinnen so wenig wie ich als Erstes an diejenigen Russen, die nach dem 24. Februar dieses Jahres fast unmittelbar ins Exil gegangen waren, mit dem Wissen, lange nicht in ein Land zurückkehren zu können, das sie ebenfalls bedrohte, zum Verzweifeln brachte und doch ihres war.
Nachts allein auf der Straße ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Bedrohungsgefühle auf die Probe zu stellen, um herauszufinden, ob einen Bauchgefühl oder Intuition trügen. Es ist mehr als in Ordnung, an einer dunklen Straßenecke die Beine in die Hand zu nehmen; es ist unter Umständen schlicht angezeigt (nicht rennen zu müssen: ein alter Traum eines Teils der Menschheit). Es ist ja nur so, hätte ich gern gesagt, dass es besser wäre, wenn angetrunkene Männergruppen prinzipiell nicht hinter allein spazierenden Frauen hergingen. Es ist nichts Prinzipielles in Bezug auf das Russische, hätte ich noch lieber ergänzt, es liegt nicht an euch, solange ihr mir nichts tut! Ihr seid nicht meine Feinde, meine Vorsicht ist nur Ergebnis einer Rationalisierung, in der meine Intuition meinem Wunsch, euch nicht durch mein Ausweichen auszugrenzen, übergeordnet wird! Aber so redet ja niemand, zumindest nicht an einem Donnerstagabend gegen 21:30 Uhr, Fulda- /Ecke Ossastraße.
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