Heft 878, Juli 2022

Über Vandalismus

von Hanna Engelmeier

An einem Aprilabend verließ ich im Dunkeln das Haus, um mir etwas zu essen zu holen. Ich überholte eine Gruppe von drei Männern, die ohne Eile auf dem Bürgersteig vor mir gingen. Sie lachten und knufften sich gegenseitig auf eine Art und Weise, die mir nicht ausschließlich freundlich vorkam. Sie waren laut, ich glaubte: betrunken. Die Sprache, in der sie miteinander redeten, klang für mich nach Russisch. Aber vielleicht war es auch Ukrainisch. Oder noch eine andere Sprache? Ich beherrsche weder die eine noch die andere und kann sie nicht unterscheiden. Ich schämte mich dafür. Einer trat auf ein Fahrrad am Rand des Bürgersteigs ein, und ich meinte, das Wort (also: Vandalismus) zu verstehen. Aber wer weiß?

Die Sprache machte keinen Unterschied: Andere Abende allein auf der Straße hatten mich gelehrt, dass es mich beruhigen würde, einen Moment in einem Hauseingang zu warten, bis sie vorüber gegangen wären, im Mantel nach meinem Schlüssel und meinem Handy zu tasten und eventuell ein Telefonat zu führen, bis sich unsere Wege trennten. Als einer der Männer mich an der Seite darauf warten sah, dass er und seine Begleiter vorbeigingen, sagte er auf Deutsch zu mir: »Keine Angst«. An der nächsten Straßenecke gingen die weiterhin grölenden Männer geradeaus weiter, und ich bog ab.

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