Blogroll: Theorieblog

Aus der Selbstbeschreibung des Theorieblog: „Das Theorieblog wurde Anfang 2010 als Forum für politische Theorie, Philosophie und Ideengeschichte ins Leben gerufen. Es soll der deutschsprachigen Theorie-Community einen Ort bieten, der Information, Austausch und Diskussion ermöglicht. Wissenschaftliche Ideen können hier genauso diskutiert werden wie tagespolitische Ereignisse oder die Befindlichkeiten der Disziplinen.“ Auf unsere Fragen antworteten Eva Hausteiner, Daniel Jacob und Thorsten Thiel. (Mehr zu ihnen hier.)

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Sie haben unlängst im Blog auf einen von Ihnen verfassten Text von 2010 verlinkt, der einen Überblick über die Blogszene auf dem Gebiet der politischen Theorie gibt. Man sieht da, was man eigentlich immer sieht: In den USA passiert viel und viel Spannendes, sowohl im Rahmen von Institutionen wie aus privater Initiative. In Deutschland sieht es da im Vergleich deutlich schlechter aus. Haben Sie dafür eine Erklärung? (Oder mehrere Erklärungen?)

Daniel Jacob: Das Bewusstsein um die technischen Möglichkeiten des Internets als Ergänzung der klassischen Formen wissenschaftlichen Austausches ist in den USA anscheinend weiter verbreitet. Hinzu kommt, dass es in den USA auch für vermeintliche Nischenthemen – wie die politische Theorie und Philosophie – einfach einen größeren “Markt” gibt.

Eva Hausteiner: Möglicherweise sind diese “klassischen” Formen wissenschaftlichen Austausches im deutschsprachigen Raum auch weiterhin mit besonders großem, traditionsbedingten Prestige verbunden (auch die Zeitschriftenlandschaft ist hier ja noch sehr traditionell geprägt). Obwohl die technischen Möglichkeiten mittlerweile hinreichend bekannt sind, zögern viele WissenschaftlerInnen vielleicht noch, ihre Arbeitszeit in Öffentlichkeiten und Medien zu investieren, die ihrer Einschätzung nach nicht automatisch beruflich nützlich sind: Blogzurückhaltung aus Nutzenkalkül also. Dabei unterschätzen viele aber, dass der wissenschaftliche Austausch übers Internet sehr spannend sein kann – auch, wenn vielleicht nicht so viel Renommé mit ihm einhergeht. Darüber hinaus darf man auch nicht unterschätzen, dass viele Fachleute längst Blogs lesen – selbst wenn die aktive Autorschaft sich noch in Grenzen halten mag.

Thorsten Thiel: Ein letzter Grund schließlich scheint mir zu sein, dass es den vorhandenen Blogs noch nicht recht gelingt, auch Öffentlichkeiten jenseits der Akademie anzusprechen. Eine mögliche Ursache hierfür könnte sein, dass es deutschen Blogs oft an Leichtigkeit und Humor fehlt – die Mischung aus wissenschaftlichem Ernst und unterhaltsamer Publikumsansprache gelingt bisher zu selten.

Da der Theorieblog ja die positive Ausnahme ist, gleich die Gegenfrage: Wie kam es zu dieser Initiative? Gab es alternativ zum Beispiel die Idee, eine eigene Zeitschrift zu gründen?

DJ: Die Idee für einen Blog war tatsächlich inspiriert durch die Eindrücke aus dem angloamerikanischen Kontext und den Eindruck, dass es in Deutschland etwas Vergleichbares noch nicht gibt. Und anders als bei einer Zeitschrift haben wir uns dieses Vorhaben auch als NachwuchswissenschaftlerInnen mit äußerst begrenzten Ressourcen zugetraut.

TT: Zudem haben wir sehr deutlich Bedarf an Vernetzung gesehen. Die Theorielandschaft in Deutschland ist stark fragmentiert, die vorhandenen Foren (Zeitschriften und disziplinäre Organisation) sind kostenintensiv und man muss auch erst mal wissen, dass sie existieren. Zu anderen Disziplinen mit ihren Mailinglisten und anderen Koordinationsinstrumenten herüberschielend wussten wir, dass für eine solche Initiative eine Chance besteht – und so erklärt sich der bis heute bestehende Doppelcharakter des Blogs als Schwarzes Brett und als Forum.

EH: Dass der Blog sich so gut entwickeln würde, hätten wir  nicht vermutet – das tat er aber auf mehreren Ebenen: Seitens der Leserschaft in der Disziplin und darüber hinaus gibt es viel Interesse, und auch für freie und feste Mitarbeit konnten wir eine Reihe von AutorInnen gewinnen. Wie groß der Bedarf  in der Politikwissenschaft wirklich ist, haben wir also selbst erst sukzessive erfahren dürfen

Wie schätzen Sie die Lage in der Politikwissenschaft/politischen Philosophie ein: Werden Formen, die das Internet genuin bietet (Foren zum Gedankenaustausch, Blogs, Rezensionsportale), dort wahrgenommen, genutzt, auf die Beine gestellt – oder ist die Wissenschaft da noch eher zögerlich?

DJ: Wir beobachten schon noch eine starke Zurückhaltung, sich an etwa an Diskussionen im Internet zu beteiligen. Oder aber die Beteiligung ähnelt in Form und Umfang einem klassischen Kommentar in einer Fachzeitschrift. Wahrscheinlich muss sich erst noch ein neuer Stil entwickeln, der dem Medium und seinen Möglichkeiten gerecht wird, ohne – Gott bewahre! – “unwissenschaftlich” zu werden.
EH: In der Tat scheint die Hemmschwelle des Surfens deutlich niedriger zu liegen als die des Schreibens – eigentlich verwunderlich bei einem Fach, für das Diskussionsfreude so konstitutiv ist. Ich denke, das hat wirklich etwas mit der Idee wissenschaftlicher Autorschaft und Seriosität zu tun, die in Deutschland vielleicht tiefer verinnerlicht ist als anderswo: Viele zögern, ihre Meinungen “irgendwo” und in lockerem Stil kundzutun oder öffentlich im Internet zu wirklich politischen Themen Stellung zu beziehen, um ihr Image nicht zu kompromittieren.

Vor ein paar Monaten gab es im englischsprachigen Blog Leiter Reports recht heftige Diskussionen zum Stand der deutschen politischen Philosophie – insbesondere die  Konzentration auf die in Frankfurt massierten Nachfolgeformationen der Kritischen Theorie wurde da kritisiert. Wie schätzen Sie das ein?

DJ: Erst mal war es ja sehr spannend, dass eine solche Diskussion auf einem amerikanischen Blog geführt wird. Was ja auch gezeigt hat, wie die deutsche politische Philosophie dort – zumindest in Teilen – wahrgenommen wird. Dass es eine enorme Konzentration von Ressourcen und Köpfen in Frankfurt gibt, lässt sich nicht bestreiten. Und dadurch, dass der Frankfurter Cluster viele internationale Gäste einlädt, ist er im Ausland natürlich auch besonders sichtbar. So kann möglicherweise von außen der Eindruck einer problematischen Frankfurter Dominanz entstehen. Aus der Binnenperspektive sieht das aber anders aus: Zum einen gibt es ja auch jenseits von Frankfurt noch viel und vielfältige politische Philosophie im deutschsprachigen Raum.

TT: …und zum anderen  und ich kann dies auch aus Frankfurter Sicht nochmal bestätigen  ist der Frankfurter Cluster ja keine homogene Einheit. Weder in der Wahl der Themen noch mit Blick auf Theorieverständnisse oder Methoden hat Frankfurt einen starken Einheitsdrang entwickelt. Anstatt eine dominante Schulbildung  zu fürchten, sollte man – denke ich – eher sehen, dass durch die räumliche Konzentration und den starken Bezug von Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft und Philosophie aufeinander, eine Sogwirkung entstanden ist. Gerade im Feld der Politischen Theorie mit ihrer traditionell starken Fragmentierung und ihrer dementsprechend geringen öffentlichen Sichtbarkeit hatte dies eher positive Wirkungen – zumal hier  indirekt auch Impulse für den Erhalt oder Ausbau der politischen Theorie an anderen Standorten ausgesandt werden, die dann sicher auch auf ihren eigenen Schwerpunkten beharren und sich über diese zu profilieren suchen werden.

EH: Wer dennoch um eine – wie auch immer geartete – geographische Lagerbildung in der deutschen Theorielandschaft besorgt ist, für den sind weniger territorialen Foren, wie eben etwa im Internet, vielleicht ein (wenn auch schwacher) Trost; hier werden zwar gemeinhin keine Ressourcen neu verteilt, aber auch Diskutanten jenseits der Zentren und jenseits der Mainstreamthemen haben eine Stimme.

Die Fragen stellte Ekkehard Knörer.