Über Loops

Der folgende Text ist eine kurze Einführung zu Tilman Baumgärtels Buch Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops, das soeben bei Kadmos erschienen ist. Das letzte Kapitel daraus – Im Rhythmus bleiben. Loops und die Homöostase der Moderne – gibt es hier als Leseprobe. Das Buch hat auch eine Website.

1983 kaufte ich von unserem Nachbarn einen Commodore 64, den bis heute meistverkauften Computer der Welt. Der Nachbar wollte sich ein neueres Modell anschaffen, und so kam ich für hundert Mark Gymnasiasten-Taschengeld an meinen ersten Rechner samt einem Handbuch für die Programmiersprache BASIC. Zu dieser Zeit hatten Computer nur rudimentäre graphische Interfaces, und um sie bedienen zu können, musste man eine Programmiersprache beherrschen. So machte ich mich – nach einigen Runden der mitgelieferten Spiele Donkey Kong und Scramble – daran, die ersten BASIC-Befehle in den Rechner ein zu geben.

In dem Handbuch war das erste Programm, das man ausprobieren sollte, das folgende:

100 PRINT „HALLO“
200 GOTO 100
RUN

Der Vorteil von BASIC besteht darin, dass seine Befehle im Gegensatz zu anderen Programmiersprachen eine gewisse Nähe zur Umgangssprache haben. Sie sind in einer durchnummerierten Liste angeordnet, die der Computer nacheinander abarbeitet. Das RUN befahl dem Computer, mit der Ausführung des Programms zu beginnen. Der Befehl PRINT „HALLO“ sagt dem Rechner, dass er das Wort „HALLO“ auf den Monitor zeigen soll. Der zweite, GOTO, ordnet an, dass das Programm wieder zum ersten Befehl in der Liste zurückspringen soll, also zu PRINT „HALLO“. Was das kleine Programm tat, war daher nichts weiter, als immer wieder das Wort „HALLO“ einen Buchstaben nach dem anderen in Versalien auf den Monitor zu schreiben.

HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO HALLO

Ohne damals den Terminus zu kennen, hatte ich auf meinem neuen Computer einen kleinen Loop gebaut – eine Programmschleife, die immer wieder dasselbe tat. Sie schreib wieder und wieder dasselbe Wort auf dem Monitor, und hörte damit nicht wieder auf, bis ich den den Rechner schlicht ausschaltete.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass dieses erste Computerprogramm, das ich geschrieben habe, in technischer Hinsicht einen großen Eindruck bei mir hinterlassen hat. Aber ich weiß noch genau, dass der Effekt des Programms mich damals in seinen Bann gezogen hat: wie hypnotisiert habe ich dabei zugesehen, wie in stockendem Tempo Zeile für Zeile immer wieder das Wort „HALLO“ in der plumpen Basic-Schrift weiß auf blauem Hintergrund auf dem Bildschirm erschien. Das langsam fortschreitende Auftauchen von einem Wort nach dem anderen hatte paradoxerweise eine gleichzeitig beruhigende und anregende Wirkung auf mich.

Wie nach dem Genuss bestimmter Drogen fühlte ich mich vollkommen konzentriert und entspannt in einem. Mein Zeitgefühl war aufgehoben Ich starrte auf die sich selbst schreibende Schrift, auf die unscharfen Buchstaben, die einer nach dem anderen langsam auf dem Monitor erschienen. Wie lange ich auf die Zeilen der Kathodenröhre geblickt habe, weiß ich nicht mehr. Es können Minuten, es kann aber auch eine halbe Stunde gewesen sein, bis ich auf die Aus-Taste gedrückt habe.

Ich habe dieses seltsame Experiment nie wiederholt. Und man kann an dieser Stelle ruhig zugeben, dass ich in meinen BASIC-Studien nach diesem Loop nur noch unwesentlich weiter gekommen bin. Doch die unermüdlichen technischen Wiederholungen, die der Rechner ausführte und die er wohl noch heute ausführen würde, wenn ich ihn nicht ausgeknipst hätte, haben mich dauerhaft beeindruckt.

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Inzwischen sind mehr als 30 Jahre vergangen, und zusammen mit dem Computer haben auch Loops in einem ebenso unvorhersehbaren wie weitgehend unbeachtetem Maß in unserer Alltagskultur Platz gegriffen. Nicht nur in den Computerprogrammen, die wir heute täglich benutzen, laufen ununterbrochen Programmschleifen ab. Nein, die Loops haben sich in den letzten Jahrzehnten an die Oberfläche gedrängt, und sind einem nicht mehr weg zu denkenden Element unseres Lebens geworden.

Die kurzen Klang- oder Bildsequenzen, die aufgezeichnet wurden und beliebig oft wiederholt werden können, spielen nicht nur in der (Pop-)Musik und der bildenden Kunst eine große Rolle. Mein Buch Schleifen. Zur Geschichte und Ästhetik des Loops ist eine interdisziplinäre Studie, die darstellen soll, wie dieses Phänomene die Kultur der Gegenwart geprägt hat. Die Fähigkeit, zu repetieren und zu reproduzieren, ist eine spezifische Eigenschaft von Medienmaschinen. Mein Buch soll zeigen, wie diese technischen Charakteristika in verschiedenen Künsten kulturalisiert worden sind. Es geht mir dabei nicht um Wiederholungen als solche, die in der Kultur selbstverständlich immer eine Rolle gespielt haben, sondern nur um solche, die sich aus dem Einsatz von Medientechnologie ergeben.

Aus der Möglichkeit medialer Wiederholungen haben sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganze Musikgenres entwickelt: die musique concrète, die deutsche elektronische Musik à la Stockhausen sowie die Minimal Music – also drei der wichtigsten und bis heute prägenden Entwicklung in der E-Musik der Nachkriegszeit hätte es ohne die Arbeit mit Tonbandschleifen nicht gegeben. In der populären Musik sind Musikstile wie Rap, House und Techno aus der Methode des Loops hervorgegangen. Aber wie ich in dem Buch zeige, habe schon Elvis und die Beatles mit Loops gearbeitet.

Schon in den 50er Jahren schlangen sich in allen Zentren für experimentelle und elektronische Musik und bald auch in vielen Tonstudios, in denen Pop-Musik aufgenommen wurde, lange Tonbandschleifen um Umlenkrollen, Mikrofonständer und sogar um Kugelschreiber, Bierflaschen und Weingläser. In der bildenden Kunst haben Nam June Paik, Klaus vom Bruch, Dara Birnbaum, Paul Pfeiffer und vielen anderen mit Loops gearbeitet und so künstlerisch reflektiert, was in unserer durch Medien geprägten Zeit zur Alltagserfahrung geworden ist: Repetition gehört zu den Basisoperationen einer Mediengesellschaft. Im Bereich der Informatik sind es vor allem Computerspiele, in denen einprogrammierte Loops eine prägende kulturelle Rolle spielen.

Bislang hat die Tatsache, dass die von Wiederholungen geprägte Kultur auch Resultat des Aufkommens von Reproduktionsmedien wie Ton- und Videoband oder Computer, in der ästhetischen Debatte kaum eine Rolle gespielt. Mein Buch ist meines Wissens das erste, das die ästhetische Bedeutung von Loops in verschiedenen Kunstgenres darstellt. In ihm will ich zeigen, was für ein vielseitiges, gestalterisches Mittel der Loop ist. Sie können einen platt machen und nerven wie die chinesische Wasserfolter, aber sie können auch Euphorie und ozeanische Gefühle auslösen. Loops sind das Gegenteil der ur-modernistischen Technik der Collage. Die Collage ist Konfrontation, Konflikt und Divergenz, der Loop macht aus Unzusammenhängendem etwas Kohärentes. Die Collage präsentiert eine disparate Welt, der Loop schafft Balance.

Im Loop ist die Vergangenheit gleichzeitig die Zukunft und die Zukunft schon auf dem Weg in die Vergangenheit, dass sie schon wieder als Zukunft erscheint, bevor man überhaupt ihr Vergehen wirklich gewahr worden ist. Kierkegaards berühmte Formel von der Wiederholung als „Erinnern in die Zukunft“ ist nirgends wahrer als hier.

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In der Moderne sind Wiederholungen jedoch oft – gerade wenn sie mit der Hilfe von Technologie entstanden sind – als verblödend, stumpf und regressiv betrachtet worden – man denke nur an Adornos Tiraden über die seiner Ansicht nach primitiven Rhythmen des Jazz, sein angeekeltes „Gesund ist, was sich wiederholt, der Kreislauf in Natur und Industrie“. Weiter heisst es: „Ewig grinsen die gleichen Babys aus den Magazinen, ewig stampft die Jazzmaschine. Bei allem Fortschritt der Darstellungstechnik, der Regeln und Spezialitäten, bei allem zappelnden Betrieb bleibt das Brot, mit dem Kulturindustrie die Menschen speist, der Stein der Stereotypie.“

Einer Periode, in der der Glauben an den Fortschritt, das Zuschreiten der Geschichte auf eine (bessere) Zukunft eine so wichtige Rolle spielte, musste das motorisch Wiederholende der Loops suspekt bleiben. Denn auf Loops basierende Kunstwerke und Kompositionen erzeugen oft das Gefühl einer „unaufhörlichen Gegenwart“ oder einer „zyklischen Zeit“, die dem modernen Verständnis von Zeit und Geschichte als ewigem „Fortschritt“ diametral entgegenstehen. Ich beschreibe den Loop daher als genuin postmodernes Stilmittel, und es ist sicher kein Zufall, dass sein Siegeszug in der Populärkultur genau zu der Zeit beginnt, als Fukuyama das „Ende der Geschichte“ ausruft und in der europäischen Philosophie – etwa bei Lyotard – von einem „Ende der großen Erzählungen“ und von einem Zeitalter der „Post-Histoire“ die Rede ist.

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Wenn ein Klang oder eine Bildsequenz geloopt wird, lässt diese Schleifen die Zeit still stehen. Der arretierte Klang balsamiert den Moment ein. Als der lebensüberdrüssige Faust seinen Pakt mit dem Teufel schließt, macht er genau das zur Bedingung: Der Teufel kann seine Seele haben, wenn er ihn dazu bringt, zum Augenblick zu sagen: „Verweile doch, Du bist so schön.“

Die Ton-, die Bildschleife erfüllt diesen Wunsch, der gleichzeitig blasphemisch und zutiefst romantisch ist. Loops versprechen, dass der schöne Augenblick nicht vorüber gehen muss, sondern verweilen kann, jetzt und für immer. Dass er wieder-holen werden kann, bis aus der Lust Überdruss wird.

Oder aus Ennui Transzendenz.