Horst Meiers Antwort auf den Leserbrief von Stefan Schnöckel

Unser Autor Horst Meier antwortet auf den Leserbrief von Stefan Schnöckel, in dem dieser Meiers im Februarheft erschienenem Plädoyer zur Abschaffung des Verfassungsschutzes widersprach.

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Sehr geehrter Herr Schnöckel, es freut, dass mein Text Ihre Aufmerksamkeit findet! Seien Sie bitte nicht allzu „schwer enttäuscht“, im Merkur auf ein derartiges Pamphlet zu stoßen: Die Zeitschrift setzt auf Leser, deren Neugier größer ist als das Bedürfnis nach Bestätigung ihrer Ansichten.

Sie haben recht, in „jeder größeren Organisation“ geht mal was schief. „Aus der Auflistung von Einzelfällen das Versagen einer ganzen Institution abzuleiten“, ist nicht meine Sache. Ganz im Gegenteil: Ich habe einige Stichworte angetippt, aber auf das Aufblättern der Skandalchronik ausdrücklich verzichtet. Und mir alle Mühe gegeben, mit dem Verfassungs­schutz analytisch abzurechnen. In der Hoffnung, vielleicht einen Denkanstoß zu geben.

Dass sich der Verfassungsschutz „in besonderem Maße ehemaliger Mitarbeiter des NS-Sicherheitsapparats bedient hat“, habe ich nicht behauptet. „Mit tatkräftiger Hilfe“, habe ich gesagt. Und in Fußnote 5 den Forschungsauftrag des Bundes­innen­ministeriums zitiert: „Welche Ursachen und Folgen hatte es, dass der Aufbau einer Organisation zur Sicherung der Demokratie zum Teil unter Heranziehung von Personal durchgeführt wurde, das durch biographische NS-Bezüge selbst einen dezidiert antidemokratischen Hintergrund aufwies?“ Bislang gibt es dazu erst ein Zwischenergebnis. Es deutet darauf hin, dass jedenfalls die der Fragestellung zugrunde­liegende Annahme zutrifft. In welchem Umfang, werden wir sehen.

Man kann die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ als unbestimmten Rechtsbegriff einordnen, meinetwegen. Aber das geht am Kern der Sache vorbei. „FdGO“ bezeichnet eine in die Legalität eingelassene Legitimitätsebene, die „bloß“ legaler Politik bei Bedarf entgegengehalten werden kann. Anders wäre ein „Missbrauch“ legaler Grundrechte ja gar nicht denkbar. Ich habe versucht, das als eine Eigenart des Grundgesetzes, als eine illiberale Denkfigur, als Rückfall hinter Standards des bürgerliche  Verfassungsstaats zu beschreiben. Das Präventions­bedürfnis einer sich selbst nicht trauenden Demokratie verstehe ich, doch es ist mit deren Erfolg obsolet geworden. Falls Sie die vertrackte Doppelbödigkeit von Legalität und Legitimität näher interessiert, vgl. meine Kritik des Grundgesetzes (Merkur 607, November 1999).

Ihren Hinweis, die Polizei habe mit der Generalklausel „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ ja auch nur unbestimmte Rechtsbegriffe, finde ich abwegig, ja irreführend. Nicht­juristen muss man sagen, dass man unter „Sicherheit“ die Gesamtheit der geschriebenen Gesetze versteht – also z.B. das Strafrecht. Daran kann man sich in einem Rechtsstaat halten. Es ist klar festzustellen, ob ein Parteimitglied eine Straftat wie z.B. Körperverletzung begangen hat; das gilt selbst, wenn auch mit Abstrichen, für ein fragwürdiges Propagandadelikt wie „Volksverhetzung“. Wie aber soll man einigermaßen präzise bestimmen, ob Parteipolitik inhaltlich einer (wie auch immer definierten) „fdGO“ widerspricht und folglich „verfassungs­widrig“ ist?

Es ist kein Zufall, dass zwischen den Bundesländern – je nach politischer Zusammensetzung der Landesregierung und entspre­chendem Innenminister –, ein heilloser Streit darüber schwelte, wie denn nun die Stammtisch-„Republikaner“ eines Herrn Schönhuber oder die PDS/Linkspartei einzustufen seien: gerade noch verfassungstreu oder schon irgendwie extre­mistisch? Hier zeigt sich bis heute, dass nicht die Polizei, sondern der Verfassungsschutz im Trüben fischt.

Der vage Begriff der „öffentlichen Ordnung“, den Sie anführen, taugt dagegen zu überhaupt nichts Gutem: Denn diese „Ordnung“ umfasst, so eine Formel der älteren Rechtsprechung, jene ungeschriebenen Regeln, deren Beachtung nach den herrschenden Anschauungen als „unerläss­lich“ für ein geordnetes Zusammen­leben angesehen wird. Anders gesagt: Sie ist ein Relikt des Obrigkeitsstaats, das zur Moralisierung der Rechtsordnung einlädt. Eine solche „Ordnung“ ist mit äußerster Vorsicht zu genießen (vgl. nur das Handbuch des Polizeirechts von Denninger/Lisken et al). In Holocaustgedenken und Staats­räson (Merkur 680, Dezember 2005) habe ich angedeutet, was der Zeitgeist darunter alles versteht: mal ein Demonstra­tions­verbot gegen Rechts­radikale am Holocaust­gedenktag (so das Verfas­sungs­gericht), mal das Verbot von „Damenboxkämpfen“ (vom Preußischen Oberverwaltungs­gericht vor der Machtüber­tragung an die Nazis aufgehoben und danach bestätigt).

Zusammenfassend zu den allgemeinen Geschäftsgrundlagen von Polizei und Verfassungsschutz: Eine Gefährdung der „öffent­lichen Sicherheit“, ein Bruch der geschriebenen Gesetze – solches ist in Raum und Zeit klar zu bestimmen. Nicht aber die Konstruktion eines verbalradikalen Angriffs auf die fdGO. Das eine betrifft äußerlich legales Verhalten und poli­tisch neutralen Rechtsgüterschutz, das andere anstößige Politik und „verfassungsfeindliche“ Gesinnungen.

Dass Gesetze zunächst vom Parlament beschlossen werden und damit Legalität überhaupt erst definieren, wer wollte das bestreiten? Diese Setzung heißt aber zugleich, dass damit der politische Streit  – vorläufig – beigelegt ist. Ob jemand gegen ein geltendes Gesetz verstoßen hat, ist mithin keine politische und auch keine „logische“, sondern eine juristische Frage. Daran ändert der Interpretations- und Anwendungs­spielraum allen Rechts, auf den Sie sich berufen, nicht das geringste.

Zur Frage der Vorfeldüberwachung: Dass diese ein maßvolles Stück weit auch den Bereich legalen Verhaltens betreffen muss, bestreite ich ja gar nicht, sage aber: Eben das sollte alleinige Sache des polizei­lichen Staatsschutzes sein. Der entscheidende Unterschied ist – bitte sehen Sie mir nach, dass ich mich einmal mehr wiederhole! –, dass sich Polizei immer auf das Vorfeld von Straftaten und Rechtsbrüchen (siehe oben) beziehen muss, während der Verfassungs­schutz nur „tatsächliche Anhaltspunkte“ für gegen die fdGO gerichtete politische „Bestrebungen“ braucht (die regelmäßig legal sind und unter dem Schutz der Grundrechte stehen).
Und was heißt denn „nach außen gesetzestreu“? Juristisch lässt sich legales von illegalem Verhalten unterscheiden, ein Drittes gibt es nicht.

Zum Kurzschluss von Wort und Totschlag: Ihr Hinweis auf den „Nährboden für spätere Gewaltbereitschaft“ ist nicht gerade originell. Das Problem der Zurechnung führt zu komplizierten Fragen der Kausalität. Anstiftung zu bestimmten Taten ist strafbar, das Schüren von Vorurteilen nicht. Da Sie meine Argumentation „abenteuerlich“ finden, können Sie, fürchte ich, mit dem Abenteuer der Freiheit nichts anfangen. Indes besagt das Betriebsrisiko der Demokratie, nüchtern betrach­tet, dass freie Kommunikation ein Stück weit gefährlich ist: das heißt eine Gefahr entbindet, die wir uns im demokratischen Verfassungs­staat wechselseitig zumuten müssen.
Beispiel „Haßprediger“: selbst wenn sie sich nicht der Volksverhetzung strafbar machen, können ihre Lektionen künftige Terroristen inspirieren. Die schwierige Aufgabe der Politischen Polizei habe ich versucht zu skizzieren: als die Herausforderung, gewalthervorbringende Milieus zu überwachen und dabei zugleich die Grundrechte der politischen Kommunikation zu respektieren.
Es geht, altmodisch gesprochen, um eine vernünftige Mischung aus Ordnungssinn und Freiheitsliebe. Mein stiller Held der Weimarer Republik (den ich im Aufsatz gern noch untergebracht hätte) heißt Bernhard Weiß. Anfang der zwanziger Jahre baute er in Berlin die Politische Polizei auf (zu dieser Ausnahme­gestalt vgl. Dietz Bering, Der Kampf um Namen. Bernhard Weiß gegen Joseph Goebbels. Stuttgart: Klett-Cotta 1991).

Zum Trennungsgebot und den vergleichsweise geringen Eingriffs­befugnissen, die Sie dem Verfassungsschutz zu Gute halten: Ein Verfassungsschutz, der zwar legales Verhalten beobachtet (mit recht dürftigem Ertrag, wie die jahrzehntelange Infiltration von DKP oder NPD belegt), der aber nicht eingreifen darf, wenn etwas Ernstes passiert, ein solcher Geheimdienst ist wenig hilfreich. Erfahrene Kriminalbeamte kosten diese Extremisten­spiele ein müdes Lächeln. Die notorische Konkurrenz zwischen Polizei und Verfassungsschutz dürfte Ihnen als Mitarbeiter des Innen­ministeriums bekannt sein.
Sie sprechen vom „‚Witz'“ des Trennungsgebotes. Ich denke, der eigentliche Witz ist, dass dieses Trennungsgebot – gerade auch von aufrechten Linken und Liberalen – wie ein museales Dogma verwaltet wird. Für die Gefahr einer neuen „Gestapo“ sehe ich keine Anhaltspunkte. Ein deutscher Inlandsnach­richten­dienst, der von den hierzulande üblichen Extremisten­spielen befreit ist, kann daher (zurück­genommen auf das Vorfeld von Straftaten, s.o.) gut und gerne von einer Polizeibehörde wahrgenommen werden – mit herkömmlichen Eingriffs­befugnissen.

Zum NPD-Verbot: Sie fordern, man solle unseren Verfassungs­schützerInnen „nicht vorwerfen, sie hätten nichts anderes getan, als ’sattsam bekannte Parolen und Sprüche aus dem Dunstkreis der Partei‘ zusammenzutragen“. Dabei liegt die Betonung auf „nicht vorwerfen“, denn Sie entschuldigen die Tatsache als solche mit dem Hinweis darauf, man habe dieses Mal „bewusst die Entscheidung gefällt, in dem neuen Verfahren allein offen verfügbares Material zu verwerten“. Das stimmt! Nur sollte man nicht vergessen, dass auch die mit V-Leute-Sprüchen kontaminierten Verbotsanträge des Jahres 2001 nur einen Sack voll widerlicher Zitate füllten. Wenn der Verfassungsschutz Belastungsmaterial sammelt, kommt also weder mit noch ohne V-Leute etwas Brauchbares zusammen.

All das hängt mit einem ins Absurde gesteigerten Präventionsdenken zusammen, das im KPD-Verbotsurteil von 1956 einen traurigen Höhepunkt fand: Man glaubt nach wie vor, es genüge, einer Partei „aggressiv-kämpferische“ Ziele und Absichten nachweisen (im einzelnen dazu Endlosschleife NPD-Verbot, Merkur 768, Mai 2013).

Inzwischen ist der Verbotsantrag auf der Seite des Bundesrats ins Netz gestellt und kann als pdf-Dokument heruntergeladen werden. Sie finden da auf 264 Seiten die „sattsam bekannten Parolen und Sprüche“ (garniert mit einer Kriminal­statistik, die sich meist in Propaganda­delikten erschöpft). Das Verzeichnis der 303 „Belege“ spricht Bände: Zitate über Zitate aus Flug­blättern, Plakaten, Rundschreiben, Internetseiten und Schulhof-CDs.

Wir dürfen gespannt darauf sein, ob sich tatsächlich sechs von acht Karlsruher Richtern auf die schiefe Ebene reiner Prävention begeben und abstrakte „Gefahren­vorsorge“ betreiben.

Mit den besten Grüßen
Ihr
Horst Meier