Palästina-Solidarität. Bruchstelle einer globalen Linken

In wenigen Monaten jährt sich der versuchte Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in West-Berlin zum fünfzigsten Mal. Am 9. November 1969, dem Jahrestag der Novemberpogrome, deponierte eine Gruppe um Dieter Kunzelmann eine Brandbombe in dem Gebäude an der Fasanenstraße. Da die Bombe nicht funktionsfähig war, kam es nicht zum Anschlag. Spätestens seit Wolfgang Kraushaars einflussreicher Studie steht die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus stellvertretend für eine verstörende Geschichte der Palästina-Solidarität in der Bundesrepublik.[1. Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus. Hamburger Edition 2005.] Wenige Wochen vor dem versuchten Anschlag war Kunzelmann aus einem Lager der Fatah in Jordanien zurückgekehrt. In antisemitischen Texten rief er zum gewaltsamen Kampf gegen Israel auf; der gescheiterte Brandbombenanschlag kann als Teil dieser Strategie gelesen werden.

(Der Essay ist im Aprilheft 2019, Merkur # 839, erschienen.)

Die Palästina-Solidarität in der Bundesrepublik setzte mit dem Sechstagekrieg ein. Bis 1967 hatte sich besonders die politische Linke für gute Beziehungen zu Israel engagiert. Um Helmut Gollwitzer, den in Berlin lehrenden Theologen und Wegbegleiter Rudi Dutschkes, gründete sich beispielsweise 1957 eine Deutsch-Israelische Studiengruppe, die inoffizielle Begegnungen zwischen Deutschen und Israelis sowie Informationskampagnen zu Israel organisierte. Zehn Jahre später jedoch tauchten innerhalb der westdeutschen Linken immer mehr Stimmen auf, die Israel kritisierten. Während eine jüngere Generation begann, den Zionismus infrage zu stellen, stemmten sich ältere Linke, unter ihnen Gollwitzer, gegen diese Tendenz. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die westdeutsche Linke bei vielen Themen eine einheitliche Linie vertreten, beispielsweise beim Vietnamkrieg. Mit der unterschiedlichen Haltung zum israelisch-palästinensischen Konflikt taten sich zunehmend Risse auf.[2. Martin W. Kloke, Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses. Frankfurt: Haag + Herchen 1990.]

Zur gleichen Zeit entstanden auch in Italien, Frankreich, Dänemark, Großbritannien und den Vereinigten Staaten propalästinensische Solidaritätsbewegungen. Staaten wie Kuba, Nordvietnam oder die DDR erhoben nach 1967 Solidarität mit den Palästinensern sogar zur Staatsräson. Diese Entwicklungen speisten sich einerseits aus einer gezielten Internationalisierung des Konflikts durch palästinensische Gruppen wie die Fatah oder die Volksfront zur Befreiung Palästinas. Andererseits spiegeln sie den Internationalismus der Dritte-Welt-Solidarität wider, der auf internationalen Kongressen, studentischer Mobilität und der weltweiten Zirkulation von Texten und Bildern aufbaute.[3. Christoph Kalter, Die Entdeckung der Dritten Welt. Dekolonisierung und neue radikale Linke in Frankreich. Frankfurt: Campus 2011.] Doch wie verlief diese weltweite Solidarität mit Palästina? Kam es auch in anderen Ländern zu Zerwürfnissen? Neue Studien bieten Einblick in die Bruchstelle einer globalen Linken.

Afroamerikanische Politik zwischen Israel und Palästina

Ein vor kurzem erschienenes Buch des Historikers Michael R. Fischbach zeigt, wie die Haltung zum palästinensisch-israelischen Konflikt zu Auseinandersetzungen innerhalb einer linken Koalition in den Vereinigten Staaten beitrug.[4. Michael R. Fischbach, Black Power and Palestine. Transnational Countries of Color. Stanford University Press 2018.] Fischbachs Studie setzt sich erstmals mit der Palästina-Solidarität als Teil afroamerikanischer Politik in den 1960er und 1970er Jahren auseinander. Seit Beginn der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten bestanden enge Verbindungen zwischen jüdischen und afroamerikanischen Gruppen.

So spielten jüdische Mitglieder in der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) seit ihrer Gründung 1909 eine wichtige Rolle. Auch Martin Luther King fand in prominenten Vertretern der jüdischen Gemeinde wie Joachim Prinz wichtige Verbündete. Prinz war als junger Rabbi in Berlin tätig gewesen, bis er 1937 in die USA emigrierte, wo er von 1958 bis 1966 Präsident des American Jewish Congress war. 1963 sprach er beim Marsch auf Washington kurz vor Kings berühmter Rede I Have a Dream.

Im Sommer 1967 setzte eine kontroverse Debatte um die Haltung afroamerikanischer Gruppen zum israelisch-palästinensischen Konflikt ein. Kurz nach dem Sechstagekrieg veröffentlichte das afroamerikanische Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) einen Artikel, in dem es vehement gegen Israel und den Zionismus Stellung bezog. Antisemitische Karikaturen begleiteten den Beitrag, die in der Bildunterschrift unter anderem eine Parallele zwischen dem Vorgehen der israelischen Armee während der Suez-Krise und dem Konzentrationslager Dachau zogen. Der Text und die Karikaturen riefen laute Proteste insbesondere von jüdischen Gruppen hervor.

Fischbach argumentiert, dass die Reaktionen auf den Artikel die Fronten verhärteten, da sie als weiße, liberale Bevormundung schwarzer Amerikaner aufgefasst wurden, denen nicht erlaubt werden sollte, sich zu außenpolitischen Themen zu äußern. Ebenfalls im Sommer 1967 begann die Black Panther Party sich mit den Palästinensern zu solidarisieren und den Zionismus zu kritisieren. Auch prominente afroamerikanische Schriftsteller und Dichter wie James Baldwin und Askia Muhammad Touré erklärten Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre ihre Solidarität mit dem palästinensischen Volk.

Die Haltung des SNCC und der Black Panther Party spiegelte die Position des Black Power Movement wider, das sich zunehmend im Konflikt mit Vertretern der älteren Bürgerrechtsbewegung befand. Ein typischer Vertreter dieser älteren Generation war Bayard Rustin, einer der Organisatoren des Marschs auf Washington. Rustin verurteilte die propalästinensische Haltung des Black Power Movement und betonte, dass deren Verhalten antisemitische Züge trage. Nicht zuletzt bedrohte dieses Verhalten in seinen Augen die Koalition zwischen Afroamerikanern und Juden, die sich als so wichtig für die Bürgerrechtsbewegung erwiesen hatte. Rustin versuchte sich gegen diese Entwicklung zu stemmen, etwa indem er 1970 eine ganzseitige Anzeige in der New York Times und der Washington Post schaltete. Unterschrieben von vierundsechzig prominenten Afroamerikanern, bekundete der Anzeigentext Solidarität mit Israel und forderte die Lieferung von Kampfflugzeugen an die israelische Regierung durch die Vereinigten Staaten.

Es war kein Zufall, so die zentrale These in Fischbachs Buch, dass sich der Konflikt um die Solidarität mit Palästina zu einer Trennlinie zwischen älteren Vertretern der Bürgerrechtsbewegung und dem Black Power Movement entwickelte. Bei dieser Auseinandersetzung ging es um mehr als nur eine außenpolitische Meinungsverschiedenheit. Viel eher standen sich hier unterschiedliche Zielsetzungen afroamerikanischer Politik gegenüber: Während Zeitgenossen wie Rustin gemeinsam mit weißen Verbündeten die Verbesserung der Lage von Afroamerikanern im bestehenden Staat erreichen wollten, strebten Gruppen wie die Black Panther Party eine globale Revolution durch eine Allianz von nichtweißen Völkern an, die letztlich auf den Sturz des existierenden Staatswesens zielte. Mit dem Bezug zu jüdischen Gruppen in den Vereinigten Staaten und den als nichtweißen Revolutionären konzeptualisierten Palästinensern bot der palästinensisch-israelische Konflikt einen Resonanzraum, in dem eben jene unterschiedlichen Zielsetzungen zutage traten. Dabei verschwammen die Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik.

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