Kollege kommt schon
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2005 schrieb ich zu anderer Gelegenheit:
Rembert Hüser beschäftigt in seinen Texten das Auftreten der Leute, die gerne für eine ganze Institution schreiben: für das Deutsche Haus, die Deutsche Literaturwissenschaft, die Deutsche Geschichte, und noch einige größere Gewölbe. Jemand spricht für das ganze Haus und alle sollen ‚uns‘ sagen. Es geht um eine ganze Reihe von Prominenten. Habermas verteidigt den deutschen Limes gegen den Poststrukturalismus oder was er dafür hält. Lyotard beschwört das Erhabene mit Barnett Newman oder wen er dafür hält. Schirrmacher sucht die deutsche Gegenwartsliteratur und findet sie in der eigenen Gerontokratie. Luhmann besorgt das apokalytisch große Ganze der Systemtheorie und macht dabei komische Bemerkungen zur Frauenforschung. Rainald Goetz reitet für die Pop-Gegenwart von: Disko zu: Disko, und außer Freundetreffen passiert dabei nicht viel. Joschka Fischer möchte, daß sein Farbbeutel-Sakko im Deutschen Museum hängt, aber ihn haben die Flecken so sehr gestört, daß nichts mehr zu sehen ist (selber noch mal schmeißen?). Und auch einige Organe sprechen prinzipiell immer für das Haus: das Jahrbuch der Schillergesellschaft für die Germanistik, die FAZ für Deutschland, der MERKUR für deutsche Leitdifferenzen.
Aber macht das eigentlich Spaß, den Leuten dabei zuzuschauen, wie sie für das Große Ganze reden und schreiben? Hüser zeigt: es macht Spaß, und je mehr Spaß es macht, desto mehr kann man lernen. Aber man muß konsequent am Verfahren arbeiten. Die Prämisse lautet: Wer das Haus mit seiner Rede umfassen will, muß sich mit seinen Imponiergesten auch immer selber imponieren, sonst könnte er gar nicht weiterreden. Blendet man das ganze Drumherum aus – die schönen Kerzen, das andächtige Publikum, den feierlichen Anlaß – und konzentriert sich nur auf die Imponiergesten der Redner, die kleinen Abschätzigkeiten, die versteckten Tritte nach unten, die Lust am Monopol – was sieht man dann? Puren Slapstick. Wer für das ganze Haus sprechen will, steht die ganze Zeit vor dem Spiegel, und durch die Imponiergesten macht er sich vor allem selber klar, wie der Hase läuft. Für diese Seite ist Hüser Spezialist.
In der Mache – d.h. wenn man sie etwas schikaniert – fangen Produkte an, nicht auf den, sondern aus dem Leim zu gehen. Ganz schön an zu schwitzen.
Wenn man die Imponiergesten aus den Rednern herauskitzelt, wird die Welt unerträglich komisch. Und wenn man die ganze versteckte Verbissenheit dokumentiert, wenn sie anfängt, auf der eigenen Seife auszurutschen, herrscht im Haus auf einmal große Ausgelassenheit. Das ist Hüsers großer Beitrag zur Weiterentwicklung der Hermeneutik, seine Arbeit an der Selbstauslegung der Texte. Polemik ist nichts dagegen.
Die sich selber für Sprachrohre halten sind glücklicherweise nicht alleine im Haus. Alle sollen still sein, aber niemand ist still. Jeder von uns ist in seinem Büro ein bißchen alles auf einmal: Pförtner, Installateur, guter Nachbar, schlechter Nachbar, Telefondienst, Putzfrau, Hausmeister, Haustier. Hüser sorgt dafür, daß dieser ständige Rollenwechsel, der das institutionelle Leben – und die Institution der Texte – ausmacht, zu seinem Recht kommt. In jedem Kapitel steckt außer den großen Imponiergesten noch mindestens ein Motiv, das die verteilten Rollen der Hausbewohner durchspielt. In jedem Text ein Tier.
Wer war zuerst, Hund oder Ei? Das Nichtzustandekommende, das ein Ende hat. Sucht/findet. Und das neben dem Topf. Aber erstmal nimmt er weg. Der Hund, der Hundeschaffer. Dichter? Am Anfang war die Tat. Nein, am Anfang war die Küche, das Sterben, die Zubereitung. (Seid Ihr alle da?) Die Küche ist der Platz, der auf dem Grabstein ist. Sie muß so groß sein, daß alle Hunde hineingehen. Dennoch wird einer vorgeschickt. Ein Testdurchlauf. (Erster sichtbarer Textdurchlauf). Er mopst ein Ei.
In allen Texten Hüsers stoßen die unvermeidlichen Prominenten auf ein undefinierbares Gegenwesen, das allen möglichen Schabernack mit ihnen treibt. Aber es handelt sich immer um Haustiere, Gartentiere und Stoffe zum Häuserbau: Hunde, Papageien, Schmetterlinge, Bienen, Ameisen, Gips, Bier und Leichen im Keller. Was steckt dahinter?
Hier muß ich einmal in die Vogelperspektive wechseln, und es wird Ernst. Ein großer Teil der nordatlantischen Theoriearbeit nach 1945 war von dem Versuch geprägt, sich nicht mehr auf die Seite des Herrn zu stellen – des Herrn der Philosophie, der Geschichte, des Abendlandes – , sondern auf die Seite der Knechte. Vincent Descombes hat die Sache einmal für die französische Philosophie durchdekliniert, schließlich war die hegelsche Vorlage mehr als schlüssig (von Marx zu schweigen): Herr/Knecht war das Spiel, und die gelungene Identifikation mit dem Knecht war der Weg der Meisterdenker (vom Proletariat noch zu schweigen). Aber es war abzusehen, daß die verschiedenen Verfahren und Lektüren, um die Knechtsgestalt zum Schreiben zu bringen, einander wechselseitig verkennen mußten. Es bleibt das alte Lied, auch dort, wo es nur darum geht, seine Partitur zu studieren: die Geknechteten sind untereinander ziemlich mißtrauisch, und am Ende vertrauen sie ihren Herren am allermeisten. Herr/Knecht lief auch so. Derrida konnte mit den kalten Gesellschaften von Lévi-Strauss nichts anfangen, Lévi-Strauss reagierte schon nicht mehr. Foucault hatte für Menocchio nichts übrig (so klagte Carlo Ginzburg als Biograph Menocchios) und sein Hermaphrodit sprach Diskurs; Bataille hätte sich in Auerbachs Sermo Humilis nicht erkennen können und Auerbach nicht in Batailles Verworfenem Teil (von Race, Class und Gender noch zu schweigen), – lassen wir die Toten die Toten begraben, denn sie kehren mit den ungeborenen Theoretikern zurück. Wo befindet sich Hüser in diesem Spiel? Seine ganze Bewunderung gilt in Kommissar Lohmann dem Meisterdenker, der das Spiel der Bejahung der Absoluten Schrift auf die Spitze getrieben hat, der lehrte, daß man sich gegen die Ordnung des hegelschen Herrn:
nur verwahren kann, indem man sie anruft, daß man gegen sie nur in ihr protestieren kann, daß sie uns auf ihrem eigenen Feld nur den Rückgriff auf das Stratagem und die Strategie läßt.
Und die Hälfte von Hüsers Text scheint von diesem Weltbild vollkommen überzeugt, fast schon zu überzeugt. Es gibt nur die Ordnung der Herren, die für das ganze Haus sprechen, und es gibt nur die Leine des Haushunds, der ihnen getreulich auf den Spuren folgt. Auch das Haustier schreibt für das ganze Haus. Man steigt doch mittendrin in den Grabstein ein. Aber dann hat man den Eindruck, daß dieser ganze Glaube und die ganze liebevolle Inszenierung der Forschungen eines Hundes nur eine Camouflage ist, mit der sich ein gar nicht so hundeliebes Tier getarnt hat. Weil die einzige Möglichkeit, einen Hund – und seinen Herrn – anzusprechen, darin besteht, so zu tun, als spräche man seine Sprache.
‚Noch eins. Können Hunde entzwei gehen? Wie ein Teigmännchen? Resultieren womöglich alle Hunde aus dem entzweiten einen Hund. Muß man ‚einen Hund‘ erst auseinander bringen, um schreiben zu können? Sind viele Hunde des Hundes Tod?
Beschnüffelt jeden, der ins Haus kommt, gräbt im Garten, kennt alle Bücherstapel, bringt die Papiere durcheinander, springt aus der Tür, wie’s ihm gefällt. Dreimal schwarzer Kater. Lest diesen Text!_
Dieser Kommentar erschien unter dem Titel „Kollege kommt schon“ in: Ästhetik & Kommunikation Heft 131, 36. Jahrgang, Winter 2005, S. 122-124, mit ein paar Zeilen mehr zur Einleitung. Heute würde ich einen anderen Text schreiben, denn dieser Kommentar bezieht sich auf die Publikationen bis 2005. Meine Charakterisierung gilt auch sechzehn Jahre später, aber der psychedelische Effekt ist dabei etwas zu kurz gekommen: dass die Schreibweise Hüsers das ganze Archiv der Textwelt einpackt und aus der Fläche in ein vielschichtiges Volumen projiziert. Genauer gesagt, projizitiert. Tatsächlich können einem andere Texte zum selben Thema nach Hüserlektüre wie farblos zu bunt vorkommen, oder wie 2D zu 3D. Die Projektion von der Fläche ins Volumen ist im Grunde eine bildhauerische Arbeit, und sie fällt Hüser weiterhin leichter, wenn sie sich an den Konturen des Gegners orientiert, nach dem alten Wechselspiel von Schmetterling und Bienenstich, das in Runde Acht in eine Unendlichkeitsschleife geriet. Aber Gegner und Gegenstand können sich in einem Text auch beiderseitig konturieren, bis sie zusammenfallen, in diesem Fall (Geht doch, 2021, Verbrecher Verlag) anhand der Gattung „Buch“ selbst, mit der Hüser lange Jahre auf Kriegsfuß stand und die jetzt erst einmal ordentlich zerlegt sein will, bis sie bewohnt werden kann. Wenn schon ein Buch, dann dieses: Erstes Kapitel zum Buchumschlag und Klappentext, zweites zur Herausgeberschaft, drittes zu Kompilation und Marketing, viertes…aber mehr verrate ich nicht. Und ja, im letzten Kapitel geht es um Deutsche Geschichte, Germanistik, Deutsches Haus, alles auf einmal. Selberlesen!