Das hätte Hugo Ball gefallen

Am 9. März wurde Marc Degens, der mehrfach auch im Merkur publiziert hat, im Forum Alte Post in Pirmasens mit dem Hugo-Ball-Förderpreis 2014 ausgezeichnet. Michael Rutschky, der zusammen mit Martin Mosebach und Felicitas von Lovenberg die Jury bildete, schreibt über ihn: »Marc Degens ist als Romancier hervorgetreten, aber auch als Verleger, literarischer Impresario, Erfinder diverser Formate innerhalb und außerhalb des Internet, sogar als Mitglied einer Popgruppe. Wer ihn je in Aktion erlebt hat – etwa im Berliner Kaffee Burger – musste erkennen, dass die ehrwürdige literarisch-performative Tradition, die das Züricher Cabaret Voltaire begründete, höchst lebendig und zu interessanten Umgestaltungen fähig ist«. Von Marc Degens erschien zuletzt der Roman »Das kaputte Knie Gottes« (Knaus Verlag). Die von ihm gegründete E-Book-Boutique minimore.de ging am 15. März online.

Im folgenden seine Dankesrede, die im Frühjahr 2015 im Hugo-Ball-Almanach, Neue Folge 6, erscheinen wird:

Hugo Ball

Morgens konnte ich nicht am Roman weiterarbeiten, weil ich so starke Rückenschmerzen hatte. Stattdessen sortierte ich Notizen, telefonierte mit Frank und erledigte SuKuLTuR-Kram. Anschließend aß ich in der Stadthaus-Kantine und ging einkaufen. Am frühen Nachmittag hatte ich einen Termin bei meiner Physiotherapeutin. Statt um mein kaputtes Knie kümmerte sie sich um meine Schulter und massierte sie.

Als ich wieder zu Hause war, legte ich mich ins Bett. Ich las einige Seiten Tao Lin, legte das Buch zur Seite und setzte meine Schlafbrille auf. Als ich aus dem Arbeitszimmer die alberne Melodie meines Mobiltelefons hörte, war ich noch nicht eingeschlafen.

»Das ist bestimmt Hajo«, dachte ich, drehte mich um und wollte ihn nach dem Aufstehen zurückrufen.

Ich schlief ein, wurde wieder wach, zog mich an und setzte mich mit einer Kanne Tee an den Schreibtisch. Ich sah, dass mich nicht Hajo angerufen hatte, sondern eine unbekannte Nummer. Ich legte das Mobiltelefon zur Seite, klappte das MacBook auf und schrieb einige E-Mails. Danach ging ich zum Rhein. Ich spazierte an der Uferpromenade Richtung Castell und wieder zurück.

Kurz vor der Kennedybrücke betrat ich das Hilton, folgte den Hinweisschildern und suchte die Toilette im Untergeschoss auf. Als ich die Toilette verließ, ertönte mein Telefon erneut. Es war schon wieder eine unbekannte Nummer.

»Degens«, meldete ich mich.

Ich hörte ein schweres Atmen, ein Mann sagte Hallo und fragte nach meinem Namen.

»Degens«, wiederholte ich.

Der Mann wollte nicht mich sprechen, sondern jemand anderen und legte auf. Ich verließ das Hotel und lief in die Fußgängerzone. In der Spielothek trank ich eine Cola und flipperte. Danach ging ich nach Hause. Ich hatte Hunger, nahm in der Küche eine Tiefkühlpizza aus dem Gefrierfach und schob sie in den Ofen. Da ertönte mein Mobiltelefon zum dritten Mal.

Es war Freitagabend, kurz vor acht. Schon wieder eine unbekannte Nummer. Ich dachte an den Mann aus dem Hilton und meldete mich streng.

»Degens.«

Einen kurzen Moment lang herrschte Stille. Ein Männerstimme meldete sich, es war nicht der Mann aus dem Hilton. Er sagte, sein Name sei Bernhard Matheis, und erklärte, der Oberbürgermeister von Pirmasens zu sein.

»Ach so, Pirmasens!«, dachte ich, schaltete den Ofen aus und lief mit dem Telefon ins Arbeitszimmer.

Wahrscheinlich sollte ich einen Kontakt zu Deef Pirmasens herstellen, dem Blogger, der enthüllt hatte, dass Helene Hegemann aus einem SuKuLTuR-Buch abgeschrieben hatte. Wahrscheinlich ging es um eine Lesung mit Deef oder ähnliches.

Der Oberbürgermeister erklärte, dass er mir eine freudige Mitteilung zu machen habe, da an diesem Tag die Hugo-Ball-Gesellschaft zusammen gekommen sei und die Jury entschieden habe, mir den Hugo-Ball-Literaturförderpreis 2014 zu verleihen.

»Oh«, rief ich ungläubig

Hugo Ball hatte ich früher immer Hugo Baal genannt. Er war der Ehemann von Emmy Hennings-Ball. Als Jugendlicher wollte ich unbedingt seine Hermann-Hesse-Biographie lesen. Später war er Katholik geworden und viel zu früh gestorben. Ich hatte nicht viel von ihm gelesen, ein paar Briefe und Auszüge aus seiner Autobiographie. An seine Gedichte konnte ich mich kaum erinnern. Aber ich kannte das Schwarzweißfoto von ihm: Hugo Ball als eingewickelte Röhren. Er hatte Dada mitbegründet und eine meiner Lieblings-Industrial-Bands war »Cabaret Voltaire« aus Sheffield. »Dada war Protest gegen jede Konvention, in Kunst und Politik, in jeglicher Region«, sang ich früher das Lied der Skeptiker mit.

Dada war keine Literatur-Bewegung, sondern eine Haltung. Seinetwegen und wegen Joyce wollte ich unbedingt mal nach Zürich. Hugo Ball war Schriftsteller, Dramaturg, Biograph, Verlagsleiter, Liedtexter und Klavierspieler. Kurzum: Ein moderner Autor. Eine Inspiration.

Der Oberbürgermeister fragte, ob ich mir vorstellen könne, einen Preis in Hugo Balls Namen anzunehmen. Ich klappte den Computer auf und tippte in das Wikipedia-Suchfeld Hugo-Ball-Preis. Es gab tatsächlich einen Eintrag.

Er wird nur alle drei Jahre verliehen, las ich und überflog die Namen der Preisträger. Wie Andreas Maier hatte auch ich jahrelang eine Kolumne in Volltext geschrieben. Vorher erschien sie in der FAZ, alle 2 Wochen, abwechselnd mit der Kolumne von Ulrich Holbein. Von Robert Menasse hatte ich »Überbau und Underground« gelesen.[1] Oskar Pastior war ein Klassiker – und lange Zeit hatte ich erfolglos versucht, wie Max Goldt zu schreiben. Er war mein Idol. Ich verehrte ihn als Bücherschreiber, Popmusiker und Comicmacher.

Unter den 18 Preisträgern war nur eine einzige Frau. Das wunderte mich. Judith Hermann. Aber sie trug einen Mann immerhin im Namen.

Ich starrte auf die Internetseite und musste mich hinsetzen. Der Oberbürgermeister wartete auf eine Antwort. Womöglich war der Anruf tatsächlich kein Telefonscherz.

»Ja«, antwortete ich aufgeregt. »Das wäre eine große Ehre für mich.«

Der Oberbürgermeister gratulierte mir. Im März sei die Preisverleihung, erklärte er und sagte, dass er sich freuen würde, wenn ich zu diesem Anlass nach Pirmasens käme.

»Aber natürlich«, rief ich begeistert.

Lieber Herr Doktor Matheis, ich möchte mich noch einmal herzlich für Ihren Anruf bedanken und dafür, dass ich hier und heute vor Ihnen stehen darf. Zugleich möchte ich mich auch dafür entschuldigen, dass ich mich damals am Telefon so schroff bei Ihnen gemeldet hatte.

Bedanken möchte ich mich zudem bei der Hugo-Ball-Gesellschaft und bei Ricarda Faul, für die großartige Betreuung, die schönen Plakate, das Abholen und die vielen tollen Bücher von Hugo Ball und der Hugo-Ball-Gesellschaft.

Seine Autobiographie »Flucht aus der Zeit« war nicht darunter, aber eine Neuausgabe soll im Herbst im Wallstein Verlag erscheinen und steht ganz oben auf meiner Lesewunschliste. Und wer weiß, vielleicht werde ich bald endlich doch noch Hugo Balls 800seitige Hermann-Hesse-Biographie lesen.

Meine Damen und Herren, auch bei Ihnen möchte ich mich bedanken, dafür, dass Sie bis zum Schluss geblieben sind und nicht alle nach Michael Rutschkys schöner, ergreifender und schmeichelhafter Laudatio den Raum verlassen haben.

Michael Rutschky und ich kennen uns seit vielen Jahren und ich weiß, dass ich ohne ihn heute hier nicht auf der Bühne stehen würde. Er ist Vorbild, Förderer und Freund – und dafür danke ich ihm.

Zum Schluss möchte ich mich auch bei den anderen beiden Mitgliedern der Jury, die mir den Hugo-Ball-Literaturförderpreis zugesprochen haben, bedanken. Als ich die Namen erfuhr, war ich wirklich überrascht. Es ist nicht so, dass ich glaube, dass ich den Hugo-Ball-Förderpreis nicht verdient hätte, doch ich kenne so viele andere Schriftsteller, die den Preis ebenfalls verdient hätten. Wie mag es da erst einer so belesenen Kritikerin wie Felicitas von Lovenberg gehen?

Noch verwunderter war ich, als ich erfuhr, dass auch Martin Mosebach in der Jury saß, die mir den Förderpreis zugesprochen hatte. Ausgerechnet mir, dem Kultur-Protestanten, SuKuLTuR-Verleger, Internet-Fan und Bourdieuaner. Er wird sich etwas dabei gedacht haben, denke ich mir, und sage dafür dankeschön.


[1] Einen einzigen Satz habe ich in dem Buch angestrichen: »In der Bundesrepublik gibt es einen bedeutenden Arbeitsmarkt für Schriftsteller, der sie von der literaturproduzierenden Ebene absaugt und sie bei ökonomischer Absicherung auf der literaturvermittelnden etabliert.«