die erstbeste
was denke ich da eigentlich, war mein zweiter gedanke, als ich vom sexismusvorwurf gegen die deutschsprachigen schreibschulen gehört habe, denn mein erster gedanke war: ach ja, da kann man eigentlich nicht viel zu sagen, außer das übliche: nur männliche professoren und zuviel literatur von männern, die gelesen wird. dann kam: einen moment innehalten. dann kam: vielleicht sitzt das problem tiefer als ich denke, wenn selbst ich als frau denke: „naja, da kann man eben nur das übliche sagen.“
wenn das übliche problem „zu viele männer in entscheidenden positionen“ ist und frauen zu randfiguren werden, dann ist es nicht nur das übliche, das zufällig so ist, sondern es ist eine andauernde symptomatik. ich nenne es ganz bewusst ‚symptomatik‘, da es eben nicht nur ein problem ist, das zufällig entsteht, sondern durch unser verhalten und unsere entscheidungen herbeigeführt wird. in diesem ‚wir‘ sind auch alle frauen enthalten. sie machen fünfzig prozent des wirs aus, was eigentlich allgemeinwissen ist, aber dennoch oft und zu leicht vergessen wird.
bei so einer überwältigenden anzahl an frauen scheint es verwunderlich zu sein, wie sich am ende doch oft männer durchsetzen. einem problem wie ‚zu viele männer‘ ist nicht nur durch reden bzukommen. beizukommen. das problem beginnt in unseren eigenen gedanken, eben auch in den gedanken von frauen. zu viele stereotype schwirren in unseren köpfen und erfordern ein ständiges bewusstmachen der situation und ein bewussteres entscheiden. während männer andere männer scheinbar auf eine ganz normale und natürliche weise unterstützen, machen dies frauen weniger füreinander. dies ist leider kein spezielles problem des literaturbetriebs, sondern im bereich der literatur und in schreibschulen existiert diese schieflage eben auch.
im literaturinstitut leipzig wird sehr viel über diese schieflage gesprochen. jedoch passiert eben über dieses reden hinaus erst einmal nichts. es ist ein reden, das in der regel konsequenzlos verpufft. dass die nächste frei werdende professorInnenstelle am literaturinstitut in leipzig mit einer frau besetzt werden soll, liegt leider auch an der enormen kritik, die in den letzten jahren entstanden ist. ein moment, in dem ein langes reden um eine sache tatsächlich seine wirkung tut! aber ja, was für einer enormen kritik es erst einmal bedurfte, dass sich da etwas tut. der idealvorstellung entspricht es nicht. ideal wäre es, dass es sich ohne einwirken von selbst so fügt. soweit kommen wir wohl in unseren leben nicht mehr, aber das problem der frauen, die sich gegenseitig nicht genug unterstützen, bleibt nach wie vor mit nachdruck im raum stehen. vielleicht ist es sinnvoller, nicht immer den erstbesten zu nehmen, der einem in den sinn kommt, da sind wir alle durch unsere erziehung zu vorbelastet und denken automatisch öfter an männer als an frauen. vielleicht wäre es ganz gut, die kategorie ‚erstbester‘ eine weile ganz beiseite zu legen und nur in der kategorie ‚erstbeste‘ zu denken.
eine benachteiligung, der mit einer anderen benachteiligung entgegengewirkt werden soll, scheint zunächst nicht sinnvoll zu sein. jedoch erfordert dieses ‚symptom‘ ein bewusstes andersdenken und umdenken. es wird nichts durch die bloße hoffnung, dass sich schon alles fügt, ändern. es ist eben auch kein problem, dessen lösung aufgeschoben werden kann und auch keines vergleichbar mit anderen dingen, die wir uns für die zukunft vornehmen wie „ach, ich sollte mehr obst essen!“, sondern betrifft die geistige und materielle situation der hälfte aller menschen.
die erstbeste sei gegrüßt!
Özlem Özgul Dündar studiert am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin ist sie auch als Übersetzerin aus dem Türkischen tätig.
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