Ludwig Feuerbach und die Philosophie der Zukunft

Im Jahr 1843 konnte man in den Anekdota zur neuesten deutschen Philosophie und Publicistik lesen: »Und es gibt keinen andern Weg für euch zur Wahrheit und Freiheit, als durch den Feuer-bach. Der Feuerbach ist das Purgatorium der Gegenwart.«1 Der Satz wird meist dem begeisterten Feuerbach-Leser Karl Marx zugeschrieben, es gibt jedoch auch die These, er stamme von Feuerbach selbst.2 Falls das stimmt, dann zeigt der Text, wie klar sich Feuerbach über seine philosophiegeschichtliche Stellung war. Seit dem Sensationserfolg seiner Hauptschrift Das Wesen des Christentums von 1841 war Feuerbach eine feste, wenn auch hochumstrittene Größe im Kosmos der deutschen Philosophie. Bald aber, und erst recht nach seinem Tod 1872, verebbte das öffentliche Interesse, das seinen Thesen, aber auch seiner Person zuteil geworden war, zusehends. Ende des Jahrhunderts kam Eduard von Hartmann, der Erfinder des Unbewussten, in seiner Geschichte der Metaphysik zu dem vernichtenden Urteil: »Als ein die Zeitgenossen blendendes Meteor ist er dahin gezogen, um in der Unphilosophie eines naiv realistischen Materialismus zu verlöschen.«3

(Dieser Text ist im Oktoberheft 2022, Merkur # 881, erschienen.)

Wie urteilt man heute? Steht man in der Universitätsbibliothek Augsburg vor der in blaues Leinen gebundenen Gesamtausgabe von Werner Schuffenhauer und entnimmt einen beliebigen Band, darf man mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass er keinerlei Zeichen früheren Gebrauchs aufweist. Im antiquarischen Buchhandel, so war es zumindest noch vor wenigen Monaten, sind Feuerbach-Erstausgaben, sowohl von seiner Hauptschrift Das Wesen des Christentums wie auch von der noch zu seinen Lebzeiten gedruckten Ausgabe der sämtlichen Werke, für einen Spottpreis erhältlich. Erstausgaben von Hegel oder Marx kosten hingegen ein Vermögen. Auch in seiner Heimat scheint man ihn für unwichtig zu halten; die Bayerische Akademie der Wissenschaften etwa investiert jedes Jahr sechsstellige Beträge in die Forschung zum frommen Philosophen Schelling, der eine Zeitlang in München lehrte, sein Zeitgenosse und Antipode Feuerbach hingegen ist ihr keinen Cent wert.

Da Marx Feuerbach bis zum Schluss höchste Wertschätzung zollte, überdauerte dessen Ruhm zumindest in der marxistischen Philosophiegeschichtsschreibung. Ernsthaft diskutiert wurde seine Philosophie allerdings auch hier eher selten, dominierte doch die Überzeugung, sie sei durch Marx ein für alle Mal überwunden, hatte der in seiner berühmten Elften Feuerbachthese doch dekretiert: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.« In der Tat lehnte Feuerbach das gewaltsame Verändern, das »Dreinschlagen« kategorisch ab. Verändern aber wollte auch er, trat er doch 1870 der von Bebel und Liebknecht gegründeten SDAP bei, aus der später die heutige SPD hervorging.

Theoretisch kreidete man ihm an, die Kategorie Arbeit nicht hinreichend beachtet zu haben, keine Geschichtsphilosophie und keine Theorie von der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu haben, und insbesondere galt sein Naturbegriff als zu kontemplativ, während das marxistische Dogma forderte, mithilfe von rational geplanten, industriellen Produktionsmethoden aus der Natur Überfluss für alle herauszumelken.

Religionsphilosophie

Ludwig Feuerbach ist vor allem als Religionsphilosoph und Religionskritiker bekannt geworden. Nach ihm ist die Religion, insbesondere das Christentum, das nach außen projizierte Gattungswesen des Menschen selbst. Diese Religionskritik hat Epoche gemacht.

Es waren daher auch in neuerer Zeit in erster Linie Theologen, die sich mit Feuerbach intensiv auseinandersetzten. Hierzu gehören etwa Karl Barth oder später Hans Küng, der in seinem Buch Existiert Gott? (1978) ein sehr kenntnisreiches und respektvolles Feuerbach-Kapitel eingeschaltet hat. Dort referiert er die Position Feuerbachs, wendet aber ein, dass daraus, dass die Gottesvorstellung eine Projektion von Ich-Idealen ist, noch nicht geschlossen werden könne, dass Gott gar nicht existiere. Dieser Einwand ist bekannt, wie Küng auch einräumt; schon der Feuerbach-Kritiker Eduard von Hartmann hatte in seiner Geschichte der Metaphysik geschrieben: »Nun ist es ganz richtig, dass darum etwas nicht existieren könne, weil man es wünscht; aber es ist nicht richtig, dass darum etwas nicht existieren könne, weil man es wünscht.«

Man verkennt Feuerbach allerdings grundlegend, wenn man ihn vor allem als Atheisten liest. Religion ist für Feuerbach nicht einfach nur ein dummer Irrtum, der, einmal aufgedeckt, ad acta gelegt werden kann. Ihm war klar, dass in der Religion sedimentierte Erfahrung eingelagert ist, insbesondere auch negative Erfahrung der Bedürftigkeit und Not des Menschen, der ihm das »allersinnlichste und allerempfindlichste Wesen von der Welt«war.4

Deshalb ist die Religion für ihn nicht nur Gegenstand der Kritik, sie ist vielmehr wesentliche Inspirationsquelle und Richtschnur seines Denkens. Feuerbach greift in seinem gesamten Werk grundlegende Theoreme der Religion und Theologie auf, wendet sie aber ins Anthropologische. Das gibt seiner Philosophie eine entscheidende Vertiefung und zeichnet sie gegenüber späteren und auch gegenüber manchen der allerneuesten Philosophien aus, die glauben, die Religion kurzerhand hinter und unter sich lassen zu können, und sich stattdessen allein an die Konzepte und Erfahrungen der Naturwissenschaften halten.

 

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