Mein Sommer mit Kennedy

An dem Tag, an dem John F. Kennedy nach Deutschland kam, begann ich ein Tagebuch zu führen. Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, ob überhaupt, vermag ich nicht mehr zu sagen. Ich hatte offenbar die Idee, dass es später einmal interessant sein könnte, was in meinem jungen Leben passiert.

(Dieser Text ist im Maiheft 2023, Merkur # 888, erschienen.)

Natürlich bin ich ihm nie begegnet. Ich war dreizehn, als er am 23. Juni 1963 in Köln-Bonn landete, ich war vierzehn, als er im November des Jahres in Dallas ermordet wurde. Seiner Ankunft widmete ich damals auch nur eine Zeile: »Kennedy kommt heute Morgen zu einem Deutschlandbesuch.«

Was nicht heißt, dass ich die allgemeine Begeisterung und Aufregung, die dieser Besuch in der westdeutschen Bevölkerung auslöste, nicht teilte. Im Gegenteil: Ich sammelte so viele Artikel wie möglich, schnitt die Beiträge und Fotos aus und legte sie in eine Mappe, um sie später in ein Heft vom Format DIN A4 einzukleben. Auf dieses bunte Album stieß ich kürzlich beim Aussortieren alter Schulhefte. Ich hatte es vollständig vergessen und betrachtete die Mühe und Sorgfalt, die ich einst aufgewendet hatte, mit einer gewissen Rührung. Auf der Vorderseite war das Schulheftetikett überklebt, und in Schnörkelschrift hatte ich vollmundig »Weltgeschehen 1963« draufgeschrieben.

Das Tagebuch dagegen war nichts anderes als ein billiger Taschenkalender mit braunem Plastikumschlag, darauf eingeprägt: 1963. Für jede Woche eine Doppelseite, für jeden Tag sieben enge Zeilen. Darin fand sich auch die Information, wann ich mir die Arbeit mit dem Album gemacht hatte. Der Eintrag war ebenfalls überraschend knapp: »Kennedy-Ausschnitte eingeklebt.« Es war am 9. Juli im Ostseebad Travemünde. Fünf Tage zuvor hatten die Sommerferien begonnen.

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