Machtmissbrauch an der deutschen Universität, der Aufstieg der Neuen Rechten. Was Baberowski nicht geschafft hat…

Rekapitulieren wir. Anfang 2021 war das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit mit 72 Erstunterzeichnenden an die Öffentlichkeit getreten. In der Presseerklärung vom 3. Februar hieß es, „Cancel Culture und Political Correctness haben die freie und kontroverse Debatte auch von Außenseiterpositionen vielerorts an den Universitäten zum Verschwinden gebracht“. [1. „Gründung Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, Presseerklärung vom 3. Februar 2021, https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/presse/pressemitteilungen/.] Inzwischen ist es auf 768 Mitglieder*innen angewachsen, die meisten mit Professuren an deutschen Hochschulen.Stand 15. Oktober 2023: https://www.netzwerk-wissenschaftsfreiheit.de/ueber-uns/mitglieder/. Die Gründung sorgte für große Medienresonanz. Diejenigen, die die Existenz von Cancel Culture an deutschen Universitäten grundsätzlich bezweifelten, fragten kritisch nach konkreten Fällen. In diesem Zusammenhang verwies das Netzwerk unter anderem auf den Osteuropahistoriker Jörg Baberowski, der sich seit Jahren von einer trotzkistischen Studierendengruppe verfolgt sieht.

Hier möchte ich über den umgekehrten Fall berichten, in dem Baberowski versuchte, mich zu „canceln“. Ab Herbst 2015 hatte sich Baberowski, wie es sein gutes Recht ist, in Zeitungen wie der FAZ und Talkshows wie Anne Will kritisch zur Flüchtlingspolitik der damaligen Großen Koalition geäußert. [1. Jörg Baberowski, „Europa ist gar keine Wertegemeinschaft“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. September 2015; https://www.youtube.com/watch?v=ntYmXJwyzX0.] Auf einen Beitrag von ihm in der Huffington Post vom 7. Dezember 2015 veröffentlichte ich im selben Medium eine Replik. [1. https://web.archive.org/web/20190117023513/http:/www.huffingtonpost.de/2015/12/07/deutschland-masseneinwanderung-verschwinden_n_8733968.html?utm_hp_ref=germany; https://web.archive.org/web/20190205165839/http:/www.huffingtonpost.de/jan-plamper/replik-baberowski-konservative_b_8739612.html.] Im Juni 2019 erhielt ich dann eine Mail von Baberowski, in der er sich über eine Rezension meines Buches Das neue Wir. Warum Migration dazugehört: Eine andere Geschichte der Deutschen auf Spiegel Online beklagte. Die Autorin, die Philosophin Susan Neiman, habe ihn darin als „Rechtsradikalen und Fremdenfeind denunziert“. Hier bezog er sich wohl auf diese Sätze der Rezension: „Eine Mehrheit der Deutschen ist migrationsfreundlich. Nur schade, dass meist gerade die lautesten Stimmen der Medienlandschaft nicht mitkommen. Dabei ist nicht nur Thilo Sarrazin – dessen Thesen Plamper elegant und nachhaltig widerlegt – gemeint, sondern Autoren wie Jörg Baberowski, Rüdiger Safranski und andere.“ Auch ich hätte ihn „mit Rechtsradikalen, der AFD und allerlei anderen Personen in Verbindung gebracht“, mit denen er „in keinerlei Kontakt“ stehe. Ich würde ihn außerdem nicht zum ersten Mal „mit Schmutz bewerfen“ – hier bezog er sich auf die Replik in der Huffington Post. [1. Susan Neiman, „Migration als Erfolgsgeschichte“, in: Spiegel Online, 12. Mai 2019. https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/das-neue-wir-von-jan-plamper-migration-als-erfolgsgeschichte-a-1264831.html]

Die Texte sind alle unverändert öffentlich zugänglich, nach der Lektüre wird wohl niemand mehr behaupten wollen, dass Neiman oder ich Baberowski „denunziert“ oder „mit Schmutz beworfen“ hatten. Wir hatten auf seine Einlassungen zur Migrationspolitik mit anderen Sachargumenten als den seinen reagiert. Wir hatten uns desselben Rechts auf Meinungsfreiheit bedient, dessen er sich bedient hatte: Es ist Grundvoraussetzung für jede demokratische politische Debatte.

Zu meinem größten Erstaunen schrieb Baberowski in seiner Mail weiter, er könne sich eine weitere Zusammenarbeit im Herausgeberkollegium der Forschungen zur Osteuropäischen Geschichte nicht mehr vorstellen und werde dem Harrassowitz Verlag diesbezüglich schreiben. [1. Vgl. Anm. 5; https://www.harrassowitz-verlag.de/reihe_244.ahtml.] Später bekam ich Post vom Verlag, der mir meinen Rücktritt nahelegte. Der Verband der Osteuropahistorikerinnen und -historiker schaltete sich ein, der Verlag nahm seinen Vorschlag, ich möge aus dem Herausgebergremium ausscheiden, zurück und entschuldigte sich bei mir, Baberowski und ich gaben weiter ohne Probleme Bücher in der Reihe heraus.

Wie ging es also weiter, nachdem der Beitrag auf dem Merkur Blog online gegangen war? Erst einmal trendete er in sozialen Medien, und ich bekam ein gutes Dutzend Mails von Kolleg*innen, die von ähnlichen Erfahrungen mit Baberowski berichteten. In den meisten Fällen forderte ich sie auf, ihre Erfahrungen publik zu machen – wer, wenn nicht wir, die wir auf Lebenszeitprofessuren sitzen, kann dies tun? Die Jüngeren befänden sich als Antragstellende, Promovierende, Geförderte usw. sowieso in Abhängigkeitsverhältnissen von ihm. Oder lebten in Angst und Schrecken vor ihm. Einer der anderen Mitherausgeber der Reihe, Malte Rolf, Professor in Oldenburg, habilitiert bei Baberowski und sein ehemaliger Wissenschaftlicher Mitarbeiter, reagierte, indem er Dritten sagte, er wolle „Äquidistanz“ wahren. Claudia Weber, Professorin an der Viadrina in Frankfurt (Oder), ebenfalls habilitiert bei Baberowski und die vierte Mitherausgeberin, bekannte Farbe, indem sie selbst dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit beitrat. Trotzdem gaben wir vier reibungslos ein weiteres Buch in der Reihe heraus.

Wie reagierte Baberowski selbst? Sein Netzwerk-Kollege Dieter Schönecker hatte ja in einer Replik auf meinen Beitrag in Aussicht gestellt, dass er sich mit Sachargumenten äußern würde. [1. „Last and least Baberowski: Nehmen wir einmal an, Plamper hätte Recht und Jörg Baberowski hätte sich selbst des Versuches, ihn (Plamper) zu canceln, schuldig gemacht. (…) Dies wiederum beweist aber umgekehrt nicht, dass Plamper falsch liegt mit seinem Vorwurf gegen Baberowski. Auf diesen Vorwurf muss Baberowski selbst die Antwort geben (…). Ich wäre zuversichtlich, dass Baberowski die Antwort gelingt.“ https://www.merkur-zeitschrift.de/2021/02/10/bedrohte-wissenschaftsfreiheit-alles-nur-einzelfaelle/.] Das geschah nicht. Stattdessen zirkulierte Baberowski innerhalb des Netzwerkes eine Mail, deren Inhalt mir zugespielt wurde. Er bezweifelte den Wahrheitsgehalt meines Beitrags und spekulierte fälschlich über persönliche Motive, die mich bewogen hätten, ihn zu veröffentlichen.

Anfang Januar 2022 erging dann eine Einladung zu einem Symposium anlässlich des 80. Geburtstages des Tübinger Osteuropahistorikers Dietrich Beyrau, unter anderen an Baberowski und an mich. Ich schrieb in einer Mail an alle Eingeladenen und die Veranstaltenden: „danke für die Einladung. Wie schon zum 75. komme ich gerne, doch angesichts des hier  beschriebenen Falles und Herrn Baberowskis Folgegebarens (er schrieb innerhalb des ‚Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit‘, alles sei erfunden und ich vermutlich verbittert, weil ich an der Habilitation gescheitert sei und mich in Deutschland vergeblich um eine Professur bemühte) stelle ich mir das nächste Aufeinandertreffen wenig ‚gemütlich‘ vor.“

Sofort kam in die Feierrunde die Mail des Osteuropa-Redakteurs Manfred Sapper, in der er von Schiller und „Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen“ schrieb und die Sache auf einen persönlichen Konflikt zwischen Baberowski und mir reduzierte. Der Organisator Klaus Gestwa versuchte am folgenden Tag mit einer längeren Mail in die Runde zu entschärfen. Woraufhin die anderen Eingeladenen zusagten, auch Baberowski und Malte Rolf. Keine Nachfrage bei mir über die Hintergründe, keine Positionierung, geschweige denn Solidarisierung, nicht einmal der Ausdruck elementarer moralischer Missbilligung des Inhalts und der Form von Baberowskis interner Netzwerk-Mail. Auch nicht von Gestwa oder Sapper, die heute übrigens beide kompetent und differenziert Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine in den Medien kommentieren und sich aufrecht gegen deutsche Putin-Sprachrohre wie Gabriele Krone-Schmalz stellen.

Warum schrieb ich die Mail in die Runde? Zu schweigen widerstrebte mir. Ich bin kein passives Opfer. Ich bin ein Angegriffener, der sich wehrt – mit offenem Visier.

Am Ende entschloss ich mich, zum Symposium zu fahren. Dann wurde im Mai 2022 bei mir unheilbarer, metastasierter Krebs an Gallengängen und in der Leber diagnostiziert, ich landete im Krankenhaus und musste absagen. Baberowski sei beim Symposium auch nicht aufgetaucht, erzählte man mir.

In der Zwischenzeit hat Ulrich Mählert, leitender Mitherausgeber, den gesamten Herausgeberkreis, darunter auch Bernhard H. Bayerlein, und die Mitglieder des Internationalen Beirats des Jahrbuchs für Historische Kommunismusforschung „entlassen“. [1. Bayerlein protestierte in einem Schreiben vom 7. März 2023 an die Direktorin der Bundesstiftung Aufarbeitung, Anna Kaminsky, gegen diese Maßnahme. Das von Hermann Weber gegründete Jahrbuch wird im Namen der Bundesstiftung der Aufarbeitung der DDR-Diktatur herausgegeben, die der Staatsministerin für Kultur und Medien untersteht.  Email Bayerlein an Jan Plamper, 6. Oktober 2023. In der ursprünglichen Formulierung des Textes hieß es, Baberowski habe im Zusammenwirken mit Ulrich Mählert den gesamten Herausgeberkreis entlassen. Die Bundesstiftung Aufarbeitung befürchtet, dies könnte dahingehend missverstanden werden, dass Baberowski die Veränderung aktiv betrieben und Ulrich Mählert instrumentalisiert hätte. Die Änderungen des Herausgeberkreises seien von Dr. Ulrich Mählert initiiert worden.] Die Praxis der Inklusion und Exklusion geht also weiter. Immer wenn Baberowski sich wieder einmal ins rhetorische Aus manövriert hat, etwa indem er dem antisemitischen Verschwörungserzähler Ken Jebsen im November 2019 ein Interview gibt, holt ihn ein respektabler Historiker oder Autor aus der Schmuddelecke zurück in den zivilisierten Diskurs, gibt sich für ein „Streitgespräch“ oder etwas ähnliches her, wie etwa Karl Schlögel in der Welt im Januar 2020 – nur zwei Monate nach dem Jebsen-Debakel – oder Maxim Biller in seiner Zeit-Kolumne im April 2020 unter dem Titel „Baberowski lacht“. [1. Jebsen ist inzwischen auf YouTube gesperrt, das Interview vom 24. November 2019 aber noch auffindbar über Telegram u.a.: https://apolut.net/joerg-baberowski/; Andrea Seibel, „Schlögel und Baberowski, ‚Putins Zeit geht zu Ende‘“, in: Die Welt, 11. Januar 2020; Maxim Biller, „Baberowski lacht“, in: Die Zeit, 2. April 2020.]

Gerne wird auch der Wissenschaftler vom Politisierenden getrennt, als sei Baberowskis Wissenschaft über jeden Zweifel erhaben, als sei Wissenschaft jemals nicht politisch. Meist wird sein Buch Verbrannte Erde genannt, mit dem er 2012 den Preis der Leipziger Buchmesse gewann. Sofern ich es überblicke, hat keine Rezension es bemerkt, aber schon der Titel Verbrannte Erde ist eine Verhöhnung der 27 Millionen sowjetischen Kriegsopfer – im heutigen deutschen Sprachgebrauch und im Gebrauch der Sprachen der ehemaligen Sowjetunion ist er fest mit der „Verbrannte Erde“-Taktik der Wehrmacht im Barbarossa Vernichtungsfeldzug gegen die UdSSR verknüpft. [1. Selbst Benno Ennker entging dies in seiner kritischen Rezension: Benno Ennker, „Ohne Ideologie, ohne Staat, ohne Alternative? Fragen an Jörg Baberowski“, in: Osteuropa (April 2012), S. 103-113, hier v.a. 111-113 zum deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion.] Die Auswahl von „Verbrannte Erde“ als Titel für ein Buch über den Stalinismus – nicht den Nationalsozialismus! – kommt einer Täter-Opfer-Umkehr gleich. [1. Im Buch selbst heißt es zum Russischen Bürgerkrieg: „In ihrer Skrupellosigkeit und Gewalttätigkeit, ihrer Bereitschaft, der Vernichtungsrhetorik auch Taten folgen zu lassen, waren die Bolschewiki allen Akteuren des Bürgerkriegs überlegen. Ihr Sieg war ein Vernichtungssieg, der verbrannte Erde, materielle und seelische Verwüstungen hinterließ“; zum Zweiten Weltkrieg: „Bevor die Rote Armee im September 1941 Kiew verließ, verlegten NKWD-Einheiten Minen in den Häusern der Innenstadt. Am 19. September marschierten Soldaten der Wehrmacht in Kiew ein, aber erst fünf Tage später explodierten die Minen, die das Zentrum in ein Trümmerfeld verwandelten. Mehr als 20 000 Menschen wurden obdachlos, die Innenstadt unbewohnbar. Die deutschen Eroberer sollten nicht nur verbrannte Erde besetzen. Sie sollten mit hungernden Bauern und Stadtbewohnern konfrontiert werden und ihre Unzufriedenheit und Wut zu spüren bekommen“. Jörg Baberowski, Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, München 2012, S. 58, 441. Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Krieg 1812, als die russischen Truppen auf dem Rückzug ins Landesinnere „verbrannte Erde“ zurückließen, um die napoleonische Armee von Versorgung durch Plünderung des russischen Hinterlands abzuschneiden. Aber das wird nirgends in Baberowskis Buch erwähnt.]

Außerdem beginnt Verbrannte Erde mit einer Finte. Baberowski behauptet, er habe nur fix sein Buch Der Rote Terror aktualisieren wollen. Dann sei ihm aber aufgefallen, dass er den Stalinismus inzwischen ganz anders interpretierte, nämlich als vormodern, nicht mehr als modern – wie mit dem Soziologen Zygmunt Bauman in Der Rote Terror. Nun verstünde er den Stalinismus als Ausbund von Stalins Psychopathologie. Tatsächlich hat Baberowski schon in Der Rote Terror den Stalinismus als modern und vormodern gesehen, als hypertrophes Aufklärungsprojekt, als „moderne[s] Streben nach Eindeutigkeit“ (S. 14), mit einem Staat als „Gärtner, der wilde Landschaften in symmetrisch angelegte Parks verwandelte“ (S. 12). Und eben als „Personenverbandsstaat“, als „Mafia“, verwurzelt in den „Gewalttraditionen des Dorfes“: „Stalin und seine Gefolgsleute kamen aus jener Kultur der Gewalt, die in der offiziellen bolschewistischen Rede als rückständig und barbarisch galt.“ (alle S. 15). Alle fielen auf Baberowskis Finte herein, die Rezensionen lobten Baberowskis Bescheidenheit und geistige Beweglichkeit. [1. Vgl. etwa Dirk Pilz, „Stalin – der Regisseur des Terrors“, in: Frankfurter Rundschau, 19. Januar 2019.]

Die Forschung zur Vorgeschichte der Neuen Rechten in Deutschland in ihren internationalen Bezügen hat begonnen – Personen wie Armin Mohler und Caspar von Schrenck-Notzing, die Stiftungen, Thinktanks, Gesprächskreise, Burschenschaften, Publikationsorgane und die Geldgeber. Baberowskis Kontakte in dieses Milieu reichen tief. 2015 initiierte er einen nichtöffentlichen Salon in der Berliner Bibliothek des Konservatismus, die in der Rechtsextremismusforschung als Forum der Neuen Rechten eingestuft wird, deren Stiftungsrat der Junge Freiheit-Geschäftsführer Dieter Stein vorsitzt, die von dem ehemaligen Republikaner Wolfgang Fenske geleitet und von dem Hamburger Reeder Folkard Edler, einem langjährigen Unterstützer der Neuen Rechten, auch des Höcke-Flügels der AfD, finanziert wird. [1. Christian Fuchs/Paul Middelhoff, Das Netzwerk der neuen Rechten. Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern, Reinbek 2019, S. 190-191 (Salon Baberowski), 211-212 (Folkard Edler und Bibliothek des Konservatismus); Samuel Salzborn, Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze, Baden-Baden 2018, 3. Aufl., S. 82; https://www.spiegel.de/spiegel/bibliothek-des-konservatismus-in-berlin-wo-die-rechten-eine-neue-republik-planen-a-1132494.html.] Frank Böckelmann, Vera Lengsfeld, Mathias Matussek, Thilo Sarrazin und Karlheinz Weißmann gehören dem Salon an. Aus ihm ging die „Gemeinsame Erklärung 2018“ hervor: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“ [1. https://www.erklaerung2018.de/.] Baberowski ist bis heute häufiger Redner auf Schloss Ettersburg, dem Peter D. Krause als Direktor vorsteht. [1. Vgl. z.B. https://schlossettersburg.de/kultur/kalender/e/joerg_baberowski-263.html.] Krause war Redakteur der Jungen Freiheit und hat für andere neurechte Publikationsorgane wie Etappe geschrieben. Volkhard Knigge, der Jenaer Historiker und Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, warf Krause 2008 vor, seine Verankerung im neurechten Milieu „weich gespült und vernebelt“ zu haben. [1. https://www.stern.de/politik/deutschland/kabinettsumbildung-in-thueringen-rechtslastiger-kandidat-wirft-hin-3090318.html.] Baberowski war 2021-2022 Stipendiat der Münchner Carl Friedrich von Siemens Stiftung während des letzten Amtsjahres von Heinrich Meier, [1. Vgl. https://www.cfvss.de/programm/fellow-programm/ehemalige-fellows/; Baberowski und Meier planten gemeinsam diese Veranstaltung: 00:42 https://www.youtube.com/watch?v=IMWOiAlzfCI&t=6s (16. Mai 2022).] dessen Nähe zu seinem rechten Vorgänger Armin Mohler  viele Fragen aufwirft. [1. Vgl. u.a. https://www.br.de/nachrichten/kultur/siemens-stiftung-marcel-lepper-aeussert-sich-erstmals-zu-rauswurf,Tb7QT1o; https://taz.de/Rechte-Geschichte-der-Siemens-Stiftung/!5943163/.] In der Genealogie der Neuen Rechten wird Baberowski, so die Zeit-Investigativ-Reporter Christian Fuchs und Paul Middelhoff in ihrem Buch, durch seinen Salon und die aus ihm hervorgegangene „Gemeinsame Erklärung 2018“ seinen Platz als Brückenbauer zwischen Bürgertum und Neuer Rechten einnehmen: „Die Protestnote zeigt die Erosion der Grenzen zwischen Bourgeoise, Nationalkonservativen und den Vordenkern der Neuen Rechten“. [1. Fuchs/Middelhoff, Das Netzwerk der neuen Rechten, S. 189.]

Dieser Beitrag gilt nicht Jörg Baberowski allein, sondern verfolgte drei Ziele. Eines war die Beschreibung eines Falls von versuchtem professoralem Machtmissbrauch mithilfe der von Neuen Rechten inzwischen hinlänglich bekannten Taktiken: Täter-Opfer-Umkehr, Schuldumkehr; das Canceln politisch andersdenkender Kolleg*innen, während man lautstark beklagt, selbst von diesen gecancelt zu werden. Das zweite Ziel bestand darin, die Deutungshoheit über die Causa auch nach meinem Tod nicht parteiischen Anderen zu überlassen. Das dritte und wichtigste Ziel aber ist es, vor dem schleichenden, zunehmenden Einfluss der Neuen Rechten an deutschen Universitäten und unter Intellektuellen überhaupt zu warnen. Einerseits muss die Geschichte der Neuen Rechten gründlich aufgearbeitet werden, denn diese begann nicht mit der Gründung von Götz Kubitscheks Institut für Staatspolitik im Jahr 2000, so viel dürfte inzwischen allen Demokrat*innen klar sein. Andererseits – und das ist das Entscheidende – werden Professor*innen und Intellektuelle künftig Praktiken des Widerstands einüben müssen.

Zwei Beispiele.

Erstens: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2023 sieht es trotz zu erwartender weiterer Klagen danach aus, als würde die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung bald hohe Steuermittel beziehen. Viel höhere als etwa die Linke-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung. Diese Mittel wird sie, wie andere parteinahe Stiftungen auch, unter anderem per Antragsverfahren als Stipendien an Studierende ausschütten. Dafür wird es Gutachten von Professor*innen brauchen. Manche mögen sich dann fragen: Gutachte ich für die Desiderius-Erasmus-Stiftung? Grundsätzlich nicht, oder in diesem einen Fall vielleicht doch, weil die/der Studierende die Förderung doch so dringend braucht und anderweitig nicht versorgt werden kann? Es wird moralische Klarheit und Konsequenz erfordern, prinzipienfest zu bleiben und in keinem Fall für die neue Stiftung zu gutachten.

Zweitens: Es stehen Wahlen für die DFG-Fachkollegien an. In den Wahlstellen vor Ort können ab September 2023 die Stimmzettel abgegeben werden, zwischen dem 23. Oktober und dem 20. November 2023 kann online gewählt werden. Wem am Überleben der Demokratie gelegen ist, sollte sich genau über die Kandidierenden im eigenen Fachgebiet informieren. Es lohnt sich, Zeit zu investieren und tiefer zu graben, die Kandidierenden auf ihr Verhältnis zur Neuen Rechten zu überprüfen und dies bei der Wahlentscheidung zu berücksichtigen.

Für die Schärfung moralischer Klarheit und die Einübung widerständischer Praktiken ist es nie zu spät. Wenn man sich umschaut, finden sich immer Vorbilder, die vormachen, wie es geht. In der Causa Baberowski wäre dies zum Beispiel die zu früh verstorbene Julia Obertreis, die sich als Vorsitzende des Verbandes der Osteuropahistorikerinnen und -historiker 2019 der Sache annahm und den Harrassowitz Verlag zu einer Rücknahme seiner Empfehlung, ich möge das Herausgebergremium verlassen, und einer Entschuldigung bei mir veranlasste. [1. In seiner Mail innerhalb des Netzwerkes behauptete Baberowski, der Harrassowitz Verlag habe sich nie bei mir entschuldigt. Das stimmt nachweislich nicht. Hier Auszüge aus dem Mailwechsel mit der damaligen Verlagsleiterin Barbara Krauß, bei dem Julia Obertreis ins Cc gesetzt war: „Ich möchte ausdrücklich betonen, dass Sie laut Vertrag Mitherausgeber sind und bleiben werden. Als Verlagsleiterin sehe ich keinen Anlass, den Vertrag aufzukündigen. Politische Meinungsverschiedenheiten sind kein Sachgrund, der dies rechtfertigen würde, auch kein Grund, Ihnen einen sozusagen frei gewählten Austritt aus dem Gremium nahezulegen. Mir war es vielmehr darum gegangen, eine anscheinend belastete Interaktion innerhalb des Herausgebergremiums zu befrieden. Aus heutiger Sicht war mein Brief hierfür kein probates Mittel. Die Formulierung ‚menschlich und sachlich‘ war unüberlegt und der Eile meines Handelns geschuldet – das sollte natürlich nicht passieren und ist sehr ärgerlich. Dass der Brief aus Ihrer Sicht eine Zumutung war, kann ich nachvollziehen und bedauere das.“ Email Barbara Krauß an Jan Plamper, 4. Februar 2020. „Ich bin froh darüber, dass Sie meine Entschuldigung angenommen haben (ja, ich hätte auch Ihre Sicht der Dinge in Erfahrung bringen müssen, leider macht man auch in fortgeschrittenem Alter und trotz viel Erfahrung immer noch Fehler) und dass Sie Ihre Arbeit für die Reihe fortsetzen wollen.“ Email Barbara Krauß an Jan Plamper, 14. Februar 2020.] Würden sich infolge dieses Blogbeitrags andere anschließen, ihre Erfahrungen mit der rechten Vereinnahmung von Wissenschaft publik zu  machen, so könnte die Praxis des Machtmissbrauchs von Baberowski wie anderen Professor*innen eingeschränkt werden. Wenn auch nicht mehr zu meinen Lebzeiten – gerade habe ich dem Harrassowitz Verlag geschrieben, dass ich aus Gesundheitsgründen zurücktreten muss. Was Baberowski nicht geschafft hat, schaffen jetzt die Tumoren.

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Jan Plamper war Emeritus Professor of History an der University of Limerick. Letzte Veröffentlichung im Merkur „Putin und ich“, Heft 877 (Juni 2022), letzte Buchveröffentlichung We Are All Migrants. A History of Multicultural Germany (Cambridge University Press, 2023). Am 30. November 2023 starb Jan Plamper.