„Wenn der Selbstmord erlaubt ist…“

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.«1

(Dieser Text ist im Aprilheft 2023, Merkur # 887, erschienen.)

So beginnen die Leitsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, einer Entscheidung, die weithin als überraschend, erstaunlich und epochal kommentiert wurde. Es ging dem Gericht darum, das »in § 217 Abs. 1 STGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung« zu kippen, das »es Suizidwilligen faktisch unmöglich« gemacht habe, »die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen«.

Das Gericht wollte ganz klar den Zugang zu ärztlich assistierter Sterbehilfe ermöglichen. Deshalb erhob es den Suizid zu einem Freiheitsrecht, das es im Artikel 2 des Grundgesetzes verankerte, der jedem Menschen die »freie Entfaltung seiner Persönlichkeit« garantiert. Es mutet dabei einigermaßen paradox an, dass die Entfaltung der Persönlichkeit auch in der Vernichtung der Person bestehen soll, denn die Vernichtung als eine Art Entfaltung zu verstehen, ist ein logisch-semantischer Widerspruch in sich selbst; es ist, zugespitzt gesagt, als würde man das Stehlen zum Schenken umdefinieren.

 

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