• Virtuelle Realität. Der Friedenspreis für Jaron Lanier – und die Missverständnisse, auf denen er beruht

    Einen "der Pioniere in der Entwicklung des Internets" und "wichtigsten Konstrukteure der digitalen Welt", der "als führender Wissenschaftler ein Projekt mehrerer Universitäten zur Erforschung des 'Internets 2'" leitet, glaubt der Börsenverein des deutschen Buchhandels zu ehren. Frank Schirrmacher nennt ihn in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den "Informatiker, der das Internet mitentwickelte", Die Zeit einen einstigen "Evangelisten des Silicon Valley", der wie ein moderner Saulus "gewissermaßen ein Dissident seiner selbst" geworden sei. Der Schönheitsfehler: Nichts davon stimmt. Und alle Missverständnisse hätten sich mit minimalem Rechercheaufwand vermeiden lassen. In ihren Angstgefechten mit dem Internet sind die Qualitäts-Printmedien unzuverlässige Quellen geworden. Jaron Lanier war in seiner (für neue Medien nicht ungewöhnlichen) eklektischen Selfmade-Karriere unter anderem Musiker und Softwareentwickler. 1982 schrieb er das heute legendäre experimentell-audiovisuelle Computerspiel Moondust für den Commodore C64-Heimcomputer, arbeitete für Atari und gründete 1985, nachdem die Firma in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war und ihn entlassen hatte, mit einem Kompagnon die Firma VPL Research, die Virtual Reality-Technik markttauglich zu machen versuchte. "Virtuelle Realität" bedeutete: Datenbrillen, Datenhandschuhe und Computersoftware, die simulierte 3D-Welten für die Brille generiert. Mit dem Internet hatte diese Technologie, die ursprünglich - ohne Laniers Beteiligung - in NASA- und Air Force-Forschungslabors entwickelt worden war, nichts zu tun. "Virtual Reality" wurde zum Modewort in Popkultur und Medientheorie. In seiner Kurzbiografie lässt Lanier offen, ob er den Begriff erfunden oder nur popularisiert habe; doch schon 1982 war der Neologismus im Science Fiction-Roman Judas Mandala des Australiers Damien Broderick aufgetaucht. (mehr …)