Wirklich nett gemeinter Sexismus: Ein etwas länger zurückreichender Blick, im Gegenstand aber wohl zeitlos

Ich bin während meines Studiums der Literaturwissenschaft an der FU Berlin vor gut zwanzig Jahren von männlichen wie weiblichen Lehrkräften und Kommilitonen durchgängig gut behandelt, ermuntert, unterstützt und in meinem Eigensinn bestärkt worden. Dafür bin ich dankbar. Aber ich erinnere mich an zwei Momente kurz nach dem Magister, in denen sich gefühlt der Boden auftat, weil Lehrende, d.h., Respektspersonen, mit mir auf eine schmeichelhaft gemeinte, aber unangemessene und dadurch auch respektlose Weise sprachen. Damals lernte ich: Es gibt vergiftetes Lob, und es gibt Sexismus, der als Kompliment daherkommt. Ich weiß, dass dieses Problem fortbesteht, und es ist für mich Teil dieser aktuellen Debatte.

Szene 1: Ein von mir sehr geschätzter Professor macht sich bei einer Konferenz über die »Provinzialität« zweier auswärtiger Doktorandinnen lustig, sagt lachend zu mir: »Da sind Sie und Frau [Name anderer »bei uns« Studierender] ja schon phänotypisch was ganz anderes.«
––– Wie bitte?

Szene 2: Beim weltberühmten US-Professor in der Sprechstunde, wie immer in solchen Situationen eingeschüchtert, fast panisch. Sein erster Satz an mich: »Men on both sides of the Atlantic must have told you that you are a great beauty.«
––– Wie bitte?

Beide Male glaubte ich im ersten Moment, nicht richtig zu hören, dann wurde mir schwindelig, ich bekam Ohrensausen, und das unleugbare Quäntchen Geschmeicheltsein in all dem war nichts im Gegensatz zu dem Entsetzen, das mich überkam und nachhaltig lähmte. Eben noch aufstrebende Wissenschaftlerin, jetzt schon »schöne Leiche«, charmant schachmatt objektifiziert, einmal als Teil einer willkürlichen Frauen-Vergleichsgruppe, einmal als transatlantischer Mythos des Weiblichen.

Beide Male habe ich nichts gesagt, nur geschmerzt gelächelt, wofür ich mich nicht schäme, denn ich war einfach zu geschockt. (»Ey, Alter, geht’s noch?« wäre natürlich die einzig adäquate Antwort gewesen.)

Beide Male gehe ich fest davon aus, dass diese Professoren mich nicht absichtlich respektlos behandelten; im ersten Fall denke ich sogar, dass es ein missglückter Versuch lockeren Auf-Augenhöhe-Anprechens war. Ich schätze beide Professoren weiterhin sehr, habe ihnen diese Entgleisungen also wohl auch unterbewusst nicht nachgetragen; in ihrem Weltbild haben sie mir ja einfach nur Komplimente gemacht. Aber die ganze Sexismus-Angelegenheit ist eben nicht einfach.

Nicht alle Männer sind sexistisch. Nicht alle Männer, die sexistisch sind, sind es in gleichem Maße. Nicht alle Männer, die sexistisch sind, sind es in jedem Kontext. Nicht alle Männer sind so sexistisch, wie sie es, genervt von der Sexismusdebatte oder den Feminismusdebatten, zu sein vorgeben; man sieht es an ihren Reaktionen, wenn andere Männer sich sexistisch verhalten. Nicht alle Männer, die nicht sexistisch zu sein glauben, sind es auch; man sieht es an ihren Reaktionen, sobald es inhaltlichen Dissenz mit Frauen gibt. Nicht alle selbst von Sexismus betroffenen Personen sind nicht sexistisch; ich habe erst neulich eine Universitätsangestellte homophobe Geschichten erzählen hören, dass mir die Ohren schlackerten. usw. usf.

Trotzdem hätten es meine Professoren damals durchaus schon besser wissen und machen können, so wie ich aktuell einiges besser wissen und machen könnte. Es darf bei dieser Debatte, will sie nicht neuen Hass und weitere Verkapselung triggern, nicht ums Beschuldigen gehen, sondern um in Wirkungsschleifen zu erreichende Perspektivwechsel, die zu System- und Strukturänderungen führen.

»The time is out of joint.« Das ist seit gut vierhundert Jahren bekannt, und damit muss man in allen Facetten irgendwie stabil-instabil klarkommen, nicht repressiv mit weiteren konstruierten »Wir«s, sondern mit den bewährten Mitteln und Techniken: Vernunft, Selbstbeobachtung, Analyse, Handlungsanpassung. Nichts gegen Emotionen, aber bitte mit dem Verstand nachbearbeiten, auch wenn man Professor ist.

Das Aussehen von Menschen ist nur da ein passendes öffentliches Thema, wo das Aussehen von Menschen offiziell das Thema ist, etwa bei Fashion Shows, in People-Magazinen oder Style-Blogs. Hingegen sollte man in allen anderen Kontexten Forscherinnen, Politikerinnen, Handwerkerinnen, Autorinnen, Terroristinnen und grundsätzlich Frauen, die man nicht sehr gut kennt, will man ihnen gerecht werden, besser sachlich und kontextbezogen adressieren bzw. beschreiben. (Alle anderen Menschen bitte auch.) Dass es eine fließende Grenze dessen gibt, was Menschen privat an Äußerungen über ihr Aussehen und Auftreten akzeptabel finden – Tipp: einfach mal nachfragen –, ist kein Argument gegen eine freiwillige Absprache über respektvolle öffentliche Kommunikation. Es geht bei alldem nicht um Meinung, sondern um Kontext, um Kontextbeachtung und -schärfung, deshalb irrt, wer denkt, die Aufforderung zum Verzicht auf Beschreibungen des Äußeren oder des Habitus von Menschen in dafür nicht passenden Kontexten schränke die eigene Meinungsfreiheit ein. Die »Schönheit« oder der »Phänotyp« einer Wissenschaftlerin, die »Mädchen-« oder »Muttihaftigkeit« einer Kanzlerin und der »schwarze Hosenanzug« oder das »Puppengesicht« von weiblichen Terrorverdächtigen tun nichts zur Sache, wenn es einem wirklich um die Sache geht, die in den genannten Fällen Literaturwissenschaft bzw. politischer Journalismus sind. – Klar, fließen Inhalt und Performanz heute überall stark ineinander, aber solange Letztere in der öffentlichen Darstellung von Frauen, queeren Personen und offiziellen politischen Gegnern immer noch besonders herausgestellt wird, hat man guten Grund, anzunehmen, dass hierbei vielleicht doch eher ein Ex-negativo-Performanzbegriff aus dem 19. Jahrhundert zugrundegelegt wird, der unter dem Deckmantel hybriden Schreibens im 21. Jahrhundert die Dichotomie von Schein und Sein virulent hält. Es ist sachlich und sachdienlich, im Kontext von Wissenschaft und Kultur Menschen, außer es ist bei ihnen explizit Thema, nicht unsachlich als Frauen oder queere Personen zu markieren, denn dies befördert deren sozialen, kulturellen und ökonomischen Ausschluss, was nicht nur Ungerechtigkeit, sondern auch unnötigen Verzicht auf Potenzial beinhaltet. Wer Gleichstellung wirklich will, wird eben nicht »wohl doch noch sagen dürfen«, sondern muss für eine Übergangszeit darauf achten, was sie oder er wo, wann, wie und zu wem sagt und was nicht. Das klingt mühseliger, als es ist, denn man hat sich nach allerkürzester Zeit umprogrammiert, und bald kann man es sich gar nicht mehr anders vorstellen, weil man wahrzunehmen gelernt hat, wie grotesk die alte ›Normalität‹ gewesen ist.

… Haben Eltern wirklich früher im Auto ihre Kinder vollgeraucht? Hahaha.

… Wurden früher auf akademischen Konferenzen Frauen wirklich als »bezaubernd« angekündigt, Männer aber nicht? Hahaha.

… Und die Frauen haben echt jahrzehntelang All-male-Panels moderiert? Hahaha.

… Wieso sind die Studierenden an Unis gegangen, wo nur Typen unterrichteten? Hahaha.

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Die eine auswärtige Doktorandin fand ich übrigens fachlich super, die andere nicht, ganz unabhängig von beider Studienort und Erscheinen.

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Christiane Frohmann hat an der Freien Universität Berlin und der Yale University, New Haven Literaturwissenschaft und Philosophie studiert. Sie ist Verlegerin des Frohmann Verlags.

 

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