Sexismus, was ist das? Eine Replik

So wie wir in einer von Rassismus geprägten, post_kolonialen Gegenwart leben, so leben wir in einer sexistischen Gesellschaft. Der Sexismus ist nicht in allen Bereichen gleich leicht zu identifizieren, nicht überall kommt er in seiner klassischen Form daher, er kennt neben der offen feindseligen auch die gutgemeinte Art. Er findet sich in Leitungsteams, Auswahlgremien, Nominierungslisten oder in Kinderbüchern und Spielzeugläden wieder, er sucht Schutz in Strukturen, schleicht sich in Freundschaften. Fest steht, dass wir ihm von klein auf täglich auf verschiedenen Ebenen ausgesetzt sind und auf genauso unterschiedliche Weise auf ihn reagieren oder seine Konsequenzen erfahren. So reflektiert, wachsam, aufgeklärt wir uns auch sehen – entziehen können wir uns dem Sexismus nicht. Wenn uns alle etwas eint, dann, dass wir alle, Männer und Frauen, Sexismus verinnerlicht haben. Selbst wenn ich behaupten will, dass ich nicht auf die Art von Werbung hereinfalle, die Frauen in allzu leicht durchschaubarer Manier zum Objekt macht, bin ich trotzdem von genau diesen Bildern beeinflusst und sei es, weil ich sie ablehne. Dadurch, dass mir zu selten alternative Darstellungen geboten werden, von inspirierter weiblicher Performanz der eigenen Lust an Repräsentation zum Beispiel, bleiben die Bilder von Stereotypen dominant im Kopf, so unerfüllt, so unbewegt sie einen auch zurücklassen. Sexismus zeigt sich in Bildern von objektifizierten Frauenrollen, aber auch in reflexhaften Wertschätzungen bzw. Abwertungen. Sexismus existiert nicht nur zwischen Mann und Frau sondern auch unter Frauen, als verinnerlichte Prägung, genau das, was sich „dazwischen“ gibt und keine Machtposition innehat, abzulehnen oder es zumindest von sich fernzuhalten. Statt sich mit der ungeklärten Position des  „Weiblichen“ – wen auch immer das alles einschließen mag –  in der Gesellschaft zu beschäftigen, bevorzugt man als Blickpunkt lieber den Ort, wo die Macht sich bündelt – ein Ort der Handlungsfreiheit, ein Ort der Klarheit.

Der Titel meines Textes „Was hat das mit Sexismus zu tun?“ – ist keine rhetorische, sondern eine ernst gemeinte Frage. Ich untersuche Machtverhältnisse auf verschiedenen Ebenen des Theaterbetriebs und was diese mit Sexismus zu tun haben.

Von Anfang an lege ich offen, dass ich aus einer spezifischen Perspektive schreibe – eine, die geprägt ist von bisherigen biografischen Koordinaten, Erlebnissen und Gesprächen.

Was meine ich mit Sexismus?

Moderner Sexismus ist Gegenstand aktueller wissenschaftlicher Forschung, insbesondere der Gender-Theorie. Historisch von Kämpfen um soziale Rechte geprägt, ist er ein sich nach wie vor erweiternder, wandelnder Begriff und  kann hier unmöglich zufriedenstellend definiert werden.

Meine persönliche und nicht abgeschlossene Definition von Sexismus meint die strukturelle Gewalt an Personen, die von der Gesellschaft als Frauen gelesen werden und/oder sich selbst als solche definieren, sowie an Männern, die keine heteronormative Rolle einnehmen. So glaube ich beispielsweise, dass in einem Raum bereits Sexismus herrscht, wenn in ihm eine ausschließlich männliche Leitung die Autorität über eine mehrheitlich weibliche Student_innenschaft innehat UND gleichzeitig Machtverhältnisse und Machtdiskurse prägend für diesen Raum sind. Da Frauen* schon in der Gesellschaft vielfältiger Benachteiligung ausgesetzt sind, stehen sie Machtdynamiken und ihren Folgen verletzlicher gegenüber als womöglich ebenfalls betroffene Männer.

Dabei sehe ich sexistische Ausschlussmechanismen nicht als isoliertes Phänomen, sondern im Zusammenhang mit der in der Gesellschaft und insbesondere im Theaterbetrieb ebenfalls deutlichen rassistischen Diskriminierung und Konstruktion des sogenannten „Anderen“.

Zurzeit bekomme ich täglich neue Zuschriften von Männern und Frauen, die mir schreiben, dass sie ihre Studienzeit und die strukturellen Probleme in der Theaterwelt so ähnlich empfinden und sich dafür bedanken, dass ich den Text veröffentlicht habe. Es ergibt sich in den letzten Wochen ein intensiver Austausch mit Bekannten und Unbekannten, die das Bedürfnis haben, mir die Situationen aus dem Theaterbetrieb zu schildern, in denen sie sich ausgeliefert fühlten.

Gleichzeitig werde ich nun für einen Teil meines Textes massiv angegriffen.

Dort geht es um die vergangene Zeit an der Berliner Schreibschule (UdK). Diese wird von mir als Ort beschrieben, in dem unterdrückende Dynamiken im Vordergrund stehen. Wo es öfter um das Bestätigen von Autorität geht als um das Vermitteln von Inhalten. Wo selbstständiges Denken nicht erwünscht ist und Kritik mit Sanktionen begegnet wird.

Ich habe gefragt, welche Szenerien, Mechanismen und Kommunikationsmuster innerhalb solcher Bedingungen mit Sexismus zu beschreiben wären.

Bei der ersten Berührung mit der Schreib-Universität wurde ich als Frau Anfang 20 an einer Studiengangsfeier mit einem Bild konfrontiert, das das Klischee der „jungen Frau mit älterem Mann“ darstellte. Ähnlich dem, das man als Normalität aus der Werbung, von Filmen und Theaterstücken kannte. Die junge Frau war eine mir unbekannte Schauspielstudentin, der ältere Mann ein Professor meines Studiengangs.

Was hat das nun mit Sexismus zu tun? Inwiefern finden sich an Kunsthochschulen, in diesem Falle einer Schreibschule, Rollenbilder als Muster wieder, die man in der Eigen-Konzeption bereits als überholt ansah? Welche Entwicklungen, Selbstbilder, Erwartungen im Zusammenhang mit Studierenden werden dabei möglich gemacht oder blockiert?

Vor wenigen Tagen erzählte mir eine Schauspielerin, dass sie als Studentin eine fast identische Szene miterlebt hatte. Ihre Gefühle beschreibt sie dabei als „irritiert und angeekelt“. In dem Moment habe sie das Gefühl gehabt, man wolle ihr vermitteln, dass es hier „so läuft“. Dass sie „es cool finden“ und sich „damit abfinden“ müsse, um bei der von ihr damals so begehrten „anarchistischen Welt des Theaters“ dazu zu gehören. Sie sagte, dass sie mit Anfang zwanzig Angst hatte, ihre negativen Gefühle jemandem mitzuteilen, weil sie nicht als prüde gelten wollte.

Dies sagt viel darüber aus, wie unterschiedlich solche öffentlichen Szenen in einem Machtkontext wahrgenommen werden können. Darüber, was es heißt, sich einem System, in dem scheinbar „solche“ Regeln gelten, ausgesetzt zu fühlen. Es geht dabei nicht nur um diese einzelne Szene, oder darum, wer dieser Prof/Dozent war und wer die Frau war. Mir geht es nicht darum, einzelne Personen zu „diffamieren“. Es geht darum, sich bewusst zu werden, was solche „Perfomances“ im Rahmen eines Theaterbetriebs, wo Frauen strukturell benachteiligt sind, für Konsequenzen haben oder haben können.

Gibt es im Theaterbetrieb einen Raum dafür, darüber im Zusammenhang mit Sexismus zu diskutieren oder nicht?

Schreibschulen und Kunsthochschulen sind Teil des professionellen Betriebs. Professoren, Dozent_innen sind öfters Mitglieder von Jurys, sie können Festivals mitleiten, weitervermitteln, empfehlen usw. Sie befinden sich also mehr noch als andere Professoren in anderen Fakultäten in einem Machtfeld. Sie können Türen öffnen, aber auch schließen.

Mir geht es bei der Frage „Was hat das mit Sexismus zu tun?“ um einen Gesamtkontext. Diesen mitdenkend, ist es nicht weiter verwunderlich, dass ich mir als neu eintretende Studentin an einer offiziellen Feier des Studiengangs darüber Gedanken mache, welche Gesetzmäßigkeiten hier gelten. Denn in einem Kontext der Verflechtung von struktureller Macht und körperlicher Nähe entfaltet die beschriebene Szene auch ein Potential für Machtmissbrauch. Es geht nicht darum, über das Privatleben der beiden zu richten, es geht um den Umgang mit Sexualität in einem ganz spezifischen Rahmen. Eine gewisse Haltung von Personen in Leitungspositionen gegenüber Sexualität und Macht soll zur Diskussion gestellt werden – eine Haltung, die an so vielen Hochschulen altbekannte Normalität war  und es in vielen Fällen, wie ich es den Zuschriften und Gesprächen entnehme, immer noch ist.

Die Wiederholungen von stereotypen Rollenkonstellationen und Machtverhältnissen empören nicht nur. Sie langweilen auch, sie machen einen leer, sie kappen die Verbindung zu den eigenen inneren Anliegen, sie zerstören Hoffnungen, Inspirationen, sie entfremden einen von dem eigenen Selbst und katapultieren einen an Orte zurück, die man nur vom Hörensagen kannte.

Einige ehemalige Studentinnen haben die Studienzeit anders erlebt als ich. Manche ihrer Beschreibungen widersprechen meinen nicht unbedingt, aber die Geschehnisse werden von diesen Studentinnen teils anders bewertet, erlebt und eingeordnet. Für sie war die Zeit an der UdK in der Bilanz ermutigend, auch wenn „Stühle flogen, es Tränen, Intrigen, Affären“ gab. In den Berichten anderer Studentinnen, die teilweise mehr als 10 Jahre vor mir abschlossen und die ich nicht kenne, erkenne ich tatsächlich kaum etwas wieder, sie scheinen auch für mich, wie sie selbst sagen, unter anderen Profs in einer anderen Atmosphäre studiert zu haben.

Die Intention meines Textes war kein Porträt oder gar eine Geschichte der damaligen Berliner Schreibschule, der Titel nicht: „Und so war die UdK damals und so waren ihre Profs und Studierenden“ – worauf eine der Repliken „So war’s nicht“ ja gepasst hätte –, sondern mein Titel war: „Was hat das mit Sexismus zu tun?“ Dabei konzentriere ich mich auf die Aspekte, die auf eine sexistische Struktur hinweisen.

Die Beschreibung diese Aspekte und meine Suche nach „Was hat das mit Sexismus zu tun“ wird nun von ein paar dieser ehemaligen Studentinnen und einer Kommiltonin als „Verleumdung“, „haltlose persönliche Angriffe“, „klare Lügen“ bezeichnet. Meinen Aussagen fehle die Bodenhaftung, heißt es, sie seien absurd, irrsinnig. Ich selber sei „mächtig unentspannt“, es ginge mir nur darum „die Krassheitsspirale“ nach oben zu drehen und ich „möchte es unbedingt in das Sexismusthema hineinschaffen“. Weil ich das Naheverhältnis eines Professors zu Studentinnen thematisiere, sei ich – sinngemäß – verklemmt. Von einer ehemaligen Studentin, in den 70ern geboren, wird projiziert, dass ich auch das Rauchen in einem Partyraum verurteilen würde – und eine ehemalige Studentin aus derselben Generation, setzt oben drauf: Auch den Alkohol! Ich werde als lustfeindlicher Mensch, als Teil einer neuen, überempfindlichen Generation dargestellt und dazu aufgefordert, nicht alles als Sexismus zu bezeichnen, was der „sensiblen Psyche“ in die Quere komme. Es wird suggeriert, dass man als angehende Autorin mit sensibler Psyche an dieser Hochschule die falschen Voraussetzungen mitbringe.

Eine ehemalige Kommilitonin und heute Gastdozentin an derselben Schule sagt als Essenz ihres Artikels, was ich da beschreibe, sei Irrsinn. „Kein Sexismus, keine Gewalt, kein strukturelles Problem“. – Die Debatte sei generell legitim, in diesem Fall sei es aber nur noch um ein  persönliches Hickhack gegangen. Sie ordnet die Hassmails einer anderen Studentin und deren Unterstellungen zu einer anderen Thematik meinen eigenen Schilderungen zu, „nur um die Hysterie in dem damaligen Streit deutlich zu machen“.

Hysterie, ein Wort, das eine prominente Historie von Verunglimpfung gegen Frauen in sich trägt.

In weiteren Kommentaren dieser ehemaligen Studentinnen heißt es, ich stellte die damaligen Profs an den Pranger und betriebe Rufmord, meine Behauptungen seien aus der Luft gegriffen. Der emeritierte Studiengangsleiter schreibt , dass ich eine „geltungsbedürftige Verfasserin“ sei, die er „keinen Augenblick lang als Persönlichkeit ernstzunehmen“ gedenke.

Es gibt bei ihm also die Kategorie Mensch ohne Persönlichkeit. Und genau so hatte ich mich ihm gegenüber an der UdK gefühlt, vom Anfang der zwei Jahre bis zum Ende. Dieses Gefühl kann mir niemand absprechen.

„Sexismus“ ist gesellschaftlich geächtet. Dies jedoch eher in seiner klassischen Form. Über strukturellen Sexismus wird oft einfach hinweggesehen. Es scheint fast Teil des Talents einer Frau oder eines Mannes im Betrieb sein zu müssen, damit elegant umgehen zu können, im richtigen Moment wegzuschauen, das Thema zu wechseln, um sich danach selbst zu gratulieren: Wahlweise nach dem Motto: „Was mich nicht umgebracht hat, hat mich stärker gemacht.“ Oder: „Nein so etwas hat mich zumindest nie betroffen“.

In den Zuschriften, die ich erhalten habe, beschreiben einige weit eindeutigere Situationen als die, die ich erlebt habe. Meist spielen sich diese innerhalb der Kunsthochschulen der_s jeweiligen Verfasser_in ab, ein paar Beschreibungen kamen aber auch aus dem Literaturbetrieb. Da geht es um Nötigung, um öffentliche, berufsschädigende Demütigungen nach abgelehnten sexuellen Avancen, um Mobbing. Und dies Personen betreffend, die sich anscheinend noch heute in Machtpositionen befinden. Was heißt das, wenn ein Text wie meiner Menschen dazu bringt, mit mir in privaten Messages solche Erlebnisse zu teilen? Es weist meiner Meinung nach auf ein Tabu hin, und das sollte erforscht werden.

Dass der Theaterbetrieb ein sexismusfreier (und rassismusfreier, aber darum geht es an dieser Texstelle leider nicht mehr) Raum ist, wird wohl niemand behaupten. Dass die Berliner Schreibschule von damals innerhalb dieses Kontextes eine Ausnahme sein soll, das kann ich mir wiederum auch nicht vorstellen.

Bedenklich finde ich, dass eine Diskussion über Sexismus und seine Erscheinungsformen anscheinend selbst im Rahmen einer Fragestellung und als solcher kenntlich gemachten persönlichen Suche nicht stattfinden kann, ohne dass man dafür attackiert wird. Die Frage, warum so viele den Aufwand scheuen, öffentlich über ihre schwer zu vermittelnden Erlebnisse zu sprechen, ist damit schon beantwortet.

Jemanden an der eigentlichen Debatte vorbei anzugreifen, ist ein dem Machtsystem zugehöriger Mechanismus, der eine De-Thematisierung zur Folge hat. Es ist nichts Neues, die Glaubwürdigkeit einer Person zu diskreditieren, die etwas anspricht, was bisher nur von wenigen gesagt wurde. Sie lächerlich oder mundtot zu machen, sie einzuschüchtern, als isolierte Einzelmeinung, die niemand weiteren repräsentiert und daher nicht weiter beachtet werden muss.  Die sich fortsetzende Wirkungsmacht des nun in Frage gestellten Systems wird dadurch nochmal deutlich.

Sich selbst mit Ambivalenzen zu konfrontieren, mit dem Schaden von Machtdynamiken, mit möglicher Komplizenschaft oder Übergriffigkeit bei der Verteidigung Anderer kann schmerzhaft sein. So selbstbewusst man auch sein mag, als Student_in ist man dem Machtgefüge der Universität unterworfen und von ihm abhängig. Eine positive Bilanz zu ziehen, „auch wenn mal die Stühle flogen“; zu sagen, dass man selbst unbeschadet aus diesem Ausbildungskontext herausgekommen ist, ist eine individuelle Sichtweise und Wahrheit, die ich anerkennen kann.

Zu fragen, was es bedeutet, wenn jemand in einem Ausbildungsraum einen Stuhl wirft, ist jedoch etwas anderes. Welche Dynamik, welche Art von Kommunikation findet statt, bis es soweit kommt, dass jemand mit Gegenständen wirft? Was ist das für ein Raum, in dem dies möglich, ja höchstens eine Anekdote wert ist? Jedenfalls kein gewaltfreier Raum. Mit Gegenständen werfen, lautes Schreien oder es einer Person zu verweigern, den Raum zu verlassen – das alles sind Lehrbuch-Vorboten körperlicher Gewalt. Ob diese nun eintritt oder nicht, diese Zeichen sind innerhalb einer sexistischen Normalität, wo körperlich-impulsive Gewalt überwiegend von Männern ausgeht, als solche erkennbar. So ist darüber nachzudenken, ob ein Uni-Raum, in dem Dynamiken auf diese Art aus dem Ruder laufen (wer auch immer die Stühle geworfen hat) nicht ein Raum ist, in dem –neben anderen Problemen – Sexismus herrscht. Das ist nun kein direkter Angriff gegen diesen oder den anderen Prof oder Studierenden. Es geht darum, gemeinsam zu hinterfragen, welche Mechanismen in einem Raum stattfinden, der ein Lern- und Austauschraum für alle ausgewählten Studierenden sein sollte.

Als Autorin sehe ich es als meine Rolle an, Dinge zu beschreiben, die in der Gesellschaft, in der ich lebe, zu wenig diskutiert werden und die dennoch relevant sind. Den Abschnitt über die Schreib-Uni hätte ich nicht in den Text einbezogen, wenn ich nicht in den letzten zehn Jahren immer wieder von ähnlichen Zuständen an anderen Kunsthochschulen oder in Theatern gehört hätte.

Mein Beitrag ist denn auch nur einer von vielen in einer Reihe zu Sexismus an Kunsthochschulen. Interessanterweise wird anderen Texten vorgeworfen, dass nur Gefühle und keine konkreten Situationen benannt werden und dass aufgrund der geschilderten Allgemeinheiten der Begriff „Sexismus“ eigentlich gar nicht ins Feld geführt werden dürfte.

Wenn jemand wie ich aber konkrete Situationen schildert, wird mir vorgeworfen, von der allgemeinen Debatte abzulenken und stattdessen Menschen persönlich anzugreifen, bzw. die Debatte auf dem Rücken unschuldiger Menschen auszutragen.

Gleichzeitig herrscht Empörung darüber, dass ich bei einem Prof aufgrund seiner Gestik Verhältnisse zu Studentinnen vermutet habe. Mein Text lässt aber nicht darauf schließen, dass sich diese Vermutung alleine auf die Gestik stützt. Er beschreibt vielmehr, dass ich im Kontext der Universität Situationen sehen und Dinge erfahren musste, die ich dort nicht gesucht habe. Mein Interesse ist gerade nicht, darüber noch mehr herauszufinden.

Die Wirkung von Gestik, der Haltung, der Stimmlage – das alles sind Faktoren in Machtverhältnissen. Gesten können demütigend wirken.

Gesten können Nähe verraten und Gefühle auslösen. Der Ohnmacht, des Vertrauens, der Angst.

Machtbeziehungen werden durch Nähe und Distanz abgebildet und hergestellt, durch Zuneignung und Ablehnung in ihren Koordinaten verschoben.

Eine Schreibschule hat, ob sie will oder nicht, einen ganz eigenen Anerkennungsrahmen von äußeren und inneren Faktoren.

Vor und während dem Studium an der UdK bewegte ich mich auch innerhalb anderer Anerkennungsrahmen: Im Theaterbetrieb und in Schreibwerkstätten. Dort wurde ich teilweise für meine Texte stärker kritisiert als an der UdK. Eine Streitdynamik entwickelte sich dabei nicht. Das individuelle Anliegen des_r Autor_in stand im Mittelpunkt und gliederte die Besprechung. Strukturell zu hinterfragen ist, dass diese Schreibwerkstätten auch fast ausschließlich von Männern geleitet wurden, von deutschen, schweizerischen, britischen. Der inhaltliche Fokus blieb aber auf der Textbesprechung.  An der UdK erlebte ich, dass Texte nach festen dramaturgischen Kriterien besprochen und vom Professor und den Mitstudent_innen danach bewertet wurden. Die Bedürfnisse der_s Verfasser_ in wurden aus meiner Sicht ezu wenig wertgeschätzt. Immer wieder driftete die Diskussion ins Verletzende ab – an die Stelle der Kriterien trat persönlich gefärbte Willkür.

Empfand ich an meiner Uni Machtdynamiken und Entgleisungen als destruktiv und wurden diese dort als „im Theaterbetrieb ganz normal“ bezeichnet, dann hatte ich die Gewissheit dagegenzuhalten, dass ich im Theaterbetrieb unter anderen Bedingungen Anerkennung erhalten kann als an der UdK.

So wurde beispielsweise Kritik in den Stückentwicklungen und Schreibwerkstätten kaum als Bedrohung empfunden, sondern anerkannt und konstruktiv in den Prozess integriert. Durch diese andere Erfahrung konnte ich darüber nachdenken, den Anerkennungsrahmen zu wechseln, direkt in den Beruf zu gehen, zum Beispiel.

Gerade weil ich an anderen Orten erlebte, wie Analyse, inhaltliche Tiefe, Respekt und produktive Gesprächsdynamiken zueinander finden können, glaube ich sagen zu können: An der UdK herrschten bedenkenswürdige Zustände. Um diese zu beschreiben, muss ich nicht unbedingt Opfer dieser Zustände sein. Fakt ist, dass ich, nachdem ich diese Machtstrukturen kritisierte, suspendiert wurde und mein Studium zwei Jahre unterbrechen musste. Wegen der Unterbrechung verlor ich jedes Anrecht, mich je wieder auf eine Studienunterstützung bewerben zu können. Die strukturellen Konsequenzen für meinen Protest hatte ich zu tragen.

Wenn wir es nicht wagen dürfen, im Theaterbetrieb kritisch über möglichen Machtmissbrauch zu sprechen, Situationen zu benennen, weil man sonst gleich den eigenen Ehrentod oder den des Gegenübers fürchten muss, wenn man damit rechnen muss, strukturell ausgeschlossen zu werden, was können wir dann politisch erreichen? Was ist dann politischer, gesellschaftlicher Mut, wenn wir es nicht schaffen zu fragen: Und warum ist diese oder jene Person, die unbedingt studieren wollte, aus einer Bildungseinrichtung ausgeschieden, warum hat die Struktur für sie überhaupt nicht gepasst, warum hat die Struktur diese Person (oder eben: Personen) gedemütigt, behindert und eben nicht ermutigt und warum befinden wir uns in einem Betrieb, in der ohnehin Teile der Gesellschaft überhaupt nicht vertreten sind?

Natürlich geht es dabei auch um heikle Fragen wie: Wer beweist wie, dass jemand seine Machtposition ausnutzt? Entscheidet die Quantität, Qualität von Kritik/ Verteidigung? Oder der Protest einer Minderheit, der historisch gesehen prägenderen Einfluss auf Strukturen hatte als der Erhaltungswille einer Mehrheit? Auch das sind ernstgemeinte Fragen.

Aufgrund einschneidender Erfahrungen und Beobachtungen möchte ich Arten der Kommunikation und des Verhaltens von Personen in Machtpositionen befragen, die als Normalität gelten  – eine Normalität, die vehement verteidigt wird. Ich möchte sie auf ihre Wirkung hin untersuchen, ihre ausschließende, lähmende, in die Flucht schlagende und vor allem: gemeinsame Utopien verhindernde.

Nach dem ersten Entwurf des Textes war ich nicht sicher, ob ich die Passage über meine Studienzeit an der Berliner Schreibschule überhaupt veröffentlichen sollte oder nicht. Sollte ich es nicht bei heutigen strukturellen Problemen, bei der Frage nach der Verschränkung von Sexismus, Rassismus, Klassismus und vor Allem: den Utopien!  belassen? Würde nicht die Passage über „damals“ alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen und so das Eigentliche, die Debatte über manifeste und subtile sexistische, rassistische Ausschlussmechanismen im Hier und Jetzt zur Seite drängen?

Ich wurde von verschiedenen Seiten ermutigt, den Teil nicht wegzulassen. Eine Kollegin schrieb mir „Ich finde, dass du den Mut findest, die Zustände öffentlich zu dokumentieren, würde viel bringen, weil untragbare Zustände so öffentlich gemacht werden und dadurch zwar nicht rückwirkend, aber wohl in Zukunft verhindert werden könnten.“ Dies leuchtete mir ein.

Herr Bukowski hat mittlerweile ebenfalls einen Beitrag verfasst, in dem er sein Lehren des Szenischen Schreibens genauer erläutert und seine daran gebundenen Werte und Ideale ausführt: Eine strukturierte Komplexität in den Textbesprechungen. Gleichheit unter den Studierenden. Augenhöhe von Professor zu Student_in.

Dass ich im Uni-Alltag diese Ideale nicht so sehr gespürt habe, brauche ich nicht zu wiederholen. Dass eine Symmetrie erst einmal nicht existieren kann, erklärt sich dadurch, dass sich mit dem Alter und der Expertise, durch die Verankerung im Theaterbetrieb und durch das Bewertungsprivileg an der Uni von Beginn an ein Machtverhältnis ergibt. Dass man Respekt erst für erbrachte Schreibleistungen oder für motiviertes Verhalten erhalten soll, halte ich für einen heiklen Standpunkt. Geht man nicht davon aus,  dass jede Person, die in einen solchen Studiengang aufgenommen wird, erst einmal hoch motiviert dort anfängt? Als Grundlage eines Lernfeldes plädiere ich für Respekt schon allein für die Rolle des Gegenübers: die Rolle  des_r Dozierenden sowie die Rolle des_r Studierenden. Respekt der Studiengangsleitung sogar vor einem erstmal nur vermuteten Talent, scheint mir Voraussetzung, diesem Talent einen fruchtbaren Boden zu bieten. (Oder scheint die Sonne auch erst auf die Erde, wenn sie weiß, was da wächst?)

Dass Herr Bukowski sich klar für Diskussionen und Vorschläge entlang des Sexismus- und Diskriminierungsthemas öffnet, gibt für mich ein Signal, dass er in die Debatte einsteigen möchte. Dass sich potentiell ein gemeinsamer Raum öffnet.

Vielleicht könnte man den Fokus jetzt ja wieder auf die aktuellen, zum Himmel schreienden Ausschlussmechanismen und Strukturen legen. Vielleicht könnte man jetzt statt der Kommentarspalte von Nachtkritik mal die Seite der Kritischen Kulturpraktikerinnen öffnen. Oder das Sexismus-Dossier auf dem Blog des Merkur, in dem es einen Schwerpunkt zu subtilen Formen von Gewalt gibt. Aufschluss darüber, wie man in Zukunft gegen strukturelle Diskriminierung vorgehen kann, gibt der SOLO-Forderungskatalog der Hildesheimer StudentInnen auf dem Prosanova Blog.

Es gibt so viel Anderes, was auch gesagt werden muss. Ich wünsche mir – ich ganz persönlich aus meiner ganz persönlichen Perspektive – einen Raum dafür. Vielleicht sogar im Rahmen einer Schreibuni.

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Manche Gedankengänge in diesem Text fanden ihre Inspiration in anregenden Gesprächen mit Sonja Laaser.

 

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