Nippes

Nippes, gelegen im Kölner Norden, direkt an der Stadtgrenze zur Innenstadt, kann nur wenig Mythos für sich beanspruchen. Die Kölner Südstadt hat Böll und BAP, die Hausbesetzungen der achtziger Jahre und Lukas Podolskis Apartment im Rheinauhafen. Das Belgische Viertel kann sich mit den Studios von Mauricio Kagel und des »Sound of Cologne« schmücken. Außerdem waren dort die Redaktionsräume der Spex , und Rolf Dieter Brinkmann ist auch öfter mal durch die Straßen gelaufen. Nippes hat nichts von all dem. Rainer Werner Fassbinders Proletariats-Serie Acht Stunden sind kein Tag , die 1972 vom WDR ausgestrahlt wurde, spielt zwar in der Nippeser Turmstraße, gedreht wurde aber in Wuppertal. Das Nippeser Stadtbild besteht aus Gründerzeitbauten und den für Köln typischen verklinkerten Mehrfamilienhäusern aus der Nachkriegszeit. Es ist austauschbar. Kurz nach meinem Einzug hing ein Zettel an der Haustür. Nächste Woche könne man vor dem Haus nicht parken. Der Grund: Dreharbeiten – für Lutter, der Ruhrgebietskrimi .

Trotzdem gilt Nippes als das kölscheste der Kölner Veedel. Seitdem ich vor fast neun Jahren nach Köln gezogen bin, habe ich nie woanders gewohnt. Für mich ist Köln gleich Nippes und Nippes gleich Köln. Aber »kölsch« fungiert in dieser Stadt zuerst als leerer Signifikant. Die rechten Hooligans, die nach der Hetzjagd in Chemnitz am Kölner Hauptbahnhof gegen eine »Asylflut« auf die Straße gingen, bezeichnen sich ebenso als »kölsch« wie diejenigen, die beim Protest gegen den AfD-Parteitag 2017 den Stammbaum von den Bläck Fööss gesungen haben, in dem in kölscher Sprache die soziale Diversität Kölns gefeiert wird. Es gehört zum Kölner Selbstbild, sowohl interkulturelle als auch Klassenkonflikte so zu moderieren, dass man relativ reibungslos nebeneinander leben kann.

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