Solidarität mit Belarus am Ende
Die Wirtschaft in Minsk läuft blendend, seit Russland Krieg gegen die Ukraine führt. Die Republik Belarus gehört zu den stillen Kriegsgewinnern. In der Karl-Marx-Straße eröffnete im historischen Zentrum mitten im russischen Krieg ein nobles Restaurant namens Malewitsch. Dort versuchten KGB-Offiziere kürzlich in mehreren Anläufen einen Wissenschaftler als Spitzel anzuwerben, der zu den wenigen gehört, die über internationale Kontakte verfügt und noch in der Republik Belarus verblieb. Er floh nach Polen, weil er nicht mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammenarbeiten will. Der Verdacht, dass andere auf diese Weise angeworben wurden, um die belarussische Opposition von innen zu zersetzen, bleibt. Dabei verlagert sich der Schwerpunkt derzeit vom Inland in die Zentren des Exils.
Eine vor der Sommerpause gestellte kleine Anfrage der AfD im Bundestag bezüglich der Finanzierung der belarussischen Nichtregierungsorganisation BYSOL zeigt, dass die Zersetzungsarbeit des belarussischen Staats längst unmittelbar bis in die deutsche Demokratie vorgedrungen ist. BYSOL steht für die Kraft der Erhebung, die im August 2020 die Diktatur in Belarus erschütterte. Hunderttausende gingen auf die Straßen von Minsk, Hrodna, Homel und Wizebsk. BYSOL sammelte Spenden für politische Gefangenen und ihre Geldstrafen. Die Organisation hilft Gefangenen nach der Freilassung und unterstützt ihre Familien. Hunderttausende spendeten für diese Anliegen. Die vor allem digital geführten Kampagnen waren ein Kernstück des gesellschaftlichen Aufbruchs. Ihre Botschaft lautete: „Gemeinsam schaffen wir es.“ Der belarussische Staat führte die Verfolgung der neuen gesellschaftlichen Solidarität bisher an zwei Fronten durch. Im Land wurden systematisch Spender angeklagt. Eine BYSOL Spende aus dem Herbst 2020 taugt noch Jahre später als Vorwand für eine Haftstrafe von mehreren Jahren. Wer kann, löscht alle digitale Spuren seiner eigenen Spenden-Geschichte.
Eine zweite Front eröffneten die Geheimdienste, indem sie in staatlichen Medien und über digitale Plattformen Verschwörungsmythen rund um die Verwendung der Gelder verstärkten. Die unterschiedlichen Interpretationen von Korruptionsvorwürfen gegenüber der Leitung von BYSOL bleiben Teil des Ringens der belarussischen Opposition mit sich selbst. Sie sind auch ein Anzeichen dafür, wie schwer die Institutionalisierung gesellschaftlicher Prozesse ist, wenn der eigene Staat der größte Feind ist. So ist es im Interesse der Regierung in Minsk, öffentlich gehegte Zweifel zu nähren und den Mobilisierungseffekt von BYSOL zu bremsen. Nach der Flucht Hunderttausender Aktivisten, versucht das Ministeriums für Staatssicherheit, das in Belarus noch immer KGB heißt, nun auch in Vilnius, Warschau und Berlin Mitarbeiter anzuwerben. Davon berichten zahlreiche Geflüchtete.
Eine dritte Front eröffnete noch vor der Sitzungspause die AfD im Bundestag. Es ist bekannt, dass AfD-Mitglieder auch nach 2022 nach Minsk reisten. Der Abgeordete des sächsischen Landtags Jörg Dornau betrieb in der Nähe von Lida eine Zwiebelfarm, auf der politische Gefangene gearbeitet haben sollen. AfD-Mitglieder wie Detlef Bauer und Gunnar Norbert Lindemann reisten demonstrativ als Beobachter gefälschter Wahlen in den Osten Europas, um der Herrschaft Lukaschenkas Legitimität zu verleihen. Dass belarussische staatliche Stellen die Agenda des Bundestags nun mit den Händen der AfD gestalten, zeigt, dass es sich bei der Präsenz der Partei in Belarus nicht um private Kontakte handelt. Die kleine Anfrage ist ein Anzeichen dafür, dass es eine neue Qualität der autoritären Internationale gibt. Die demonstrative Nähe zur Agenda des belarussischen Diktators macht zugleich öffentlich, welche Vision von Demokratie die Alternative für Deutschland verfolgt.
Fünf Jahre nach der belarussischen Volkserhebung, deren Kraft und Hoffnung an den Oktober 1989 in der DDR erinnerte, machte die Bundesregierung jetzt deutlich, dass sie die Lektionen aus der eigenen Geschichte nicht gelernt hat. Im Rahmen der Abwicklung von Aufnahmeprogrammen kommunizierte sie mitten in der parlamentarischen Sommerpause auf Nachfrage der deutschen NGO Libereco, dass fortan die Erteilung humanitärer Visa für belarussische Oppositionelle durch die Bundesrepublik ausgesetzt sei. Die Abwicklung kommt zur Unzeit. Die belarussische Opposition braucht dieser Tage in besonderer Weise die Unterstützung der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland. Sie kämpft gegen einen brutalen Staatsapparat, der die eigenen Bürger systematisch verfolgt. Mehr als 1150 Menschen sind derzeit aufgrund ihrer politischen Ansichten hinter Gittern. Unter ihnen sind Wissenschaftler, Journalisten, Rechtsanwälte, Studierende und Politiker, die nichts anderes taten als für die Einhaltung der belarussischen Verfassung zu kämpfen.
Die Politologin Tatsiana Kouzina erhielt eine Haftstrafe von zehn Jahren, weil sie ein wissenschaftliches Bildungsprojekt durchführte. Das Schicksal der Stuttgarter Musikerin Maria Kalesnikova ist weiter unsicher. Sie hatte die Wahlkampagne des Minsker Bankers und Philantropen Viktar Babaryka unterstützt und wurde zu 14 Jahren verurteilt. Vom verhinderten Präsidentschaftskandidaten Babaryka gab es fast zwei Jahre kein Lebenszeichen aus dem Gefängnis, bevor er von einem KGB-Mitarbeiter im Fernsehen vorgeführt wurde. Der Journalist Andrzej Poczobut wird seit März 2021 als Geisel für die über 300.000 Menschen zählende polnische Minderheit im Nordwesten des Landes in einer Strafkolonie festgehalten. Nach der Verurteilung des Bloggers Ihar Losik zu 15 Jahren Haft leitete die Staatsanwaltschaft 2023 gezielt die Verfolgung und Inhaftierung seiner Frau Daria ein, um das Sorgerecht für ihre gemeinsame Tochter Palina in Frage zu stellen.
Diejenigen, die dieser Verfolgung entkamen, brauchen die politische, finanzielle, juristische und psychologische Unterstützung derjenigen Gesellschaften, die Verantwortung für die Gegenwart Europas übernehmen. Die Abwicklung des humanitären Aufnahmeprogramms durch die Bundesregierung ist in vielfacher Weise ein Skandal. Die Bundesrepublik hatte in den ersten vier Jahren nur 267 Visa erteilt. Sie signalisiert zum fünften Jahrestag der Erhebung der verfolgten Gesellschaft eines Landes, das nur 850 Kilometer von Berlin entfernt liegt, dass deutsche Innenpolitik im Schatten der AfD wichtiger als ihr Schutz ist. Das Programm war von vornherein auf die Anerkennung weniger Dutzend Oppositioneller angelegt, während nach 2022 über 2500 Wehrpflichtige, Journalisten und politische Aktivsten aus Russland als Verfolgte in der Bundesrepublik anerkannt worden. Auch in der Vergabe von Visa und Aufenthaltstiteln wurde im unmittelbaren Vergleich zum Umgang mit Bürgern der Russischen Föderation deutlich: Belarus existiert für die meisten Beamten deutscher Ämter nicht. Dass nun die geringfügige Unterstützung zusammen mit der Aufnahme für Angehörige der russischen Opposition abgewickelt wird, ist hingegen ein symbolischer Affront gegenüber den Menschen aus Belarus. Sie erwarten zu Recht, dass die Bundesrepublik sie nicht zusammen mit Russland in eine Schublade steckt, denn das ist die Agenda Wladimir Putins.
Felix Ackermann lehrt an der FernUniversität in Hagen Public History mit einem Belarus-Schwerpunkt.