Werdet BloggerInnen! Eine Replik auf Valentin Groebner

Der an der Universität Luzern lehrende Historiker Valentin Groebner ist für seine provokanten Überlegungen und pointierten Formulierungen bekannt; zuletzt konnte er seine Fähigkeiten bei der in München abgehaltenen Tagung Rezensieren – Kommentieren – Bloggen: Wie kommunizieren Geisteswissenschaftler in der digitalen Zukunft ausspielen, wo er vor versammeltem, zumeist netzaffinem Publikum, das gekommen war, das zweijährige Bestehen der  geschichtswissenschaftlichen Rezensionsplattform recensio.net zu feiern, ein Plädoyer für Papiermedien und die „Netzunabhängigkeit“ der Wissenschaft hielt.

Die in einer gekürzten Form von der FAZ (jetzt auch online) veröffentlichten Überlegungen Groebners zum wissenschaftlichen Publizieren im Internet sind zu klug, als dass sie in die Elegien derjenigen KritikerInnen einstimmen würden, die mit der Verbreitung des Internets digitale Demenz, Bücherverbrennung und überhaupt die Apokalypse dräuen sehen; Groebner argumentiert differenziert und weiß, dass viele Klagen über angebliche Nachteile netzspezifischer Wissenschaft so alt sind wie die Wissenschaft selbst. Letzten Endes reiht er sich aber doch in die Phalanx der (gemäßigten) NetzskeptikerInnen ein, wenn er die mangelnde Dauerhaftigkeit von Netzinhalten und unzulängliche Filterfunktionen besonders hervorhebt.

Dabei sind Verifizierung und Stabilisierung von Informationen – die Groebner als Aufgabe gedruckter Medien betrachtet – selbstverständlich auch digital möglich und kein Privileg des Papierbuchs; es braucht allerdings geeignete Institutionen dafür, wie zum Beispiel die Online-Repositorien der Universitäten, die die Langzeitarchivierung der von ihnen gespeicherten Dateien – nicht zuletzt wissenschaftliche Texte – zu garantieren versprechen.

Was Groebner als Kriterium nachhaltiger Wissenschaft bezeichnet, nämlich „Netzunabhängigkeit“, worunter er die Produktion kohärenter, gefilterter und verifizierter Informationen im gedruckten Medium versteht, lässt sich auch als Pendelbewegung im digitalen Universum darstellen: Auf der einen Seite das Surfen in der Welt der (wissenschaftlichen) Blogs, Diskussionslisten und schließlich die Weiterverbreitung von Informationen in ebendiesen Blogs und sozialen Netzwerken, auf der anderen Seite das konzentrierte Lesen, sei es eines kurzen PDFs am Bildschirm oder eines längeren E-Books in zurückgelehnter Haltung am Reader, mitsamt der Vornahme von Markierungen und dem Anbringen von Annotationen sowie dem darauf folgenden Schreiben eines durchdachten und kohärenten Texts und dessen Publikation und Archivierung in einem geeigneten Medium.

Insgesamt mangelt es dem Beitrag Groebners leider an der konkreten Auseinandersetzung mit den bereits bestehenden wissenschaftlichen Webangeboten; stattdessen bevorzugt er es, auf Pappkameraden  („Hippie-Kitsch“, „Erlösungsprophetie[n]“) zu schießen, die, wenn überhaupt, dann in den Anfangszeiten des Internets bei manchen NetztheoretikerInnen eine Rolle gespielt haben mögen, aber für die derzeit im Web aktive Generation von WissenschafterInnen – weder für mich noch für die Mehrzahl meiner bloggenden KollegInnen – von Relevanz sind.

Groebner ignoriert die Aufbauarbeit, die von vielen NetzpionierInnen in den letzten Jahren geleistet wurde: Hätte er zum Beispiel das nun bereits zehn Jahre bestehende, maßgeblich von Klaus Graf – dem „very godfather of German history blogs“ (so Otto Vervaart – betreute Weblog Archivalia genauer verfolgt, oder die vor einem Jahr eingerichtete, von Mareike König (DHI Paris) mitinitiierte wissenschaftliche Weblogplattform de.hypotheses.org, so würde er viele Gegenbeispiele zu seiner Behauptung finden, dass das Netz bislang nicht als originärer Ort der Veröffentlichung neuer (geistes-)wissenschaftlicher Ideen oder aufregender Funde verwendet worden wäre.(Siehe dazu auch die Replik von Klaus Graf zu Groebners Beitrag.)

Demgegenüber halte ich den von Valentin Groebner an anderer Stelle akzentuierten Gegensatz von „Vernetzen“ versus „Isolieren. Konzentrieren. Fokussieren“ für sehr diskutierenswert und anregend, wobei ich allerdings im Unterschied zu Groebner Wissenschaft nicht so eindeutig der letzteren Begriffsreihe zuordnen würde, und schon gar nicht annehme, dass für letztere Reihe Papier eine wichtige Rolle spielen muss. Tatsächlich braucht Wissenschaft Weltabgewandtheit, ja geradezu die Weltfremdheit im Elfenbeinturm, um das vermeintlich Selbstverständliche einer Analyse zu unterwerfen, um neues Wissen generieren zu können. Doch wird Wissenschaft zumeist durch öffentliche Gelder finanziert und dies rechtfertigt nur zu sehr den Anspruch ebendieser Öffentlichkeit, über die Ergebnisse der Forschung in allgemein verständlicher Form informiert zu werden. Manche WissenschafterInnen werden diese Aufgabe gerne an professionelle MittlerInnen – zumeist WissenschaftsjournalistInnen – delegieren wollen, doch bieten die Präsentationstechniken des Internets eine wenn schon nicht Zeit, dann aber auf jeden Fall Geld sparende Variante, die Kontrolle über die Darstellung der eigenen Forschungsergebnisse zu behalten.

Sich auch digital zu „vernetzen“ und die entsprechenden – noch viel zu seltenen – kohärenten, stabilen, qualitätsgesicherten und Open Access zugänglichen Webpublikationsorte zu schaffen, bleibt somit eine Anforderung an die Wissenschaft, und in diesem Sinne kann der Ruf an die bislang eher netzresistenten deutschsprachigen Geistes-, Sozial- und KulturwissenschafterInnen nur lauten: Werdet BloggerInnen!

Anton Tantner ist Historiker in Wien und (nicht nur) als Blogger im Netz sehr aktiv. Im Januarheft des Merkur ist sein Essay über Adressbüros erschienen.