Do what you like! Anmerkungen zur Sprache der Pop-Musik

So wie damals, Baby, wird es wieder sein.
So wie damals Baby, nur noch Sonnenschein.
Und alle Leute sehen: mein ganzes Glück bist du.

So wie damals, Baby, gehen wir dann Hand in Hand.
So wie damals, Baby, als ich einsam stand.
Und alle Leute sehen: all mein Glück bist du.

So waren sie, die Schlager der fünfziger Jahre. Eine glückliche Vergangenheit wird in eine unbestimmte Zukunft projiziert, Sex gibt es nicht, Liebe ist keusch – schließlich erwirbt man im aufblühenden Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahre nicht, um glücklich zu sein, sondern um im ständigen Wettbewerb mithalten zu können. Auch das Mädchen hat Prestige-Wert, wie der Volkswagen und das eigene Häuschen: »Und alle Leute sehen: mein ganzes Glück bist du«. »Nur noch Sonnenschein« als Metapher für das Glück, Reime von der Stange – verglichen mit dem deutschen Schlager der fünfziger Jahre ist jener der Zwischenkriegszeit noch intelligent und humorvoll zu nennen.

Oh, Veronika,
wer in deine Augen sah,
der ist verliebt so wie ich.

So betörten Peter Kraus und Jörg Maria Berg unter dem Namen Die James Brothers Teenagerherzen. Sie sangen auch ein Liedchen davon, daß die jungen Jahre so schnell vorbei seien und es deshalb langsam auch »Zeit für uns zwei« sei. Wie sehr der deutsche Schlager den Rekord an idiotischen Texten hielt, erkennt man, wenn man dieses Lied mit dem englischen Original vergleicht (»Endless Sleep«, gesungen von Jody Reynolds), das bei aller Sentimentalität und allem Pathos doch einen Hauch von Poesie hat. Gewiß ist auch die englische Fassung keine Dichtung. Aber wir wollen es uns nicht so leicht machen, noch einmal ein so eklatantes Beispiel wie das in Amerika von Gewerkschaftern gesungene Bergarbeiter-Lied »Sixteen Tons« anzuführen, in dem von Ausbeutung und der Notwendigkeit, sich mit Gewalt zu wehren, die Rede ist – und das im Deutschen in der Interpretation von Freddy zu einer sentimentalen Ballade vom Seemann und seinem Schiff Mary-Ann verkam. Immerhin gab es zu der Zeit, da man bei uns vom brennend heißen Wüstensand oder dem Märchen, das die Zauberfee ersann, schwärmte, in englischer Sprache solche Lieder wie Peggy Lees Warnung vor dem Zigeuner mit Feuer in seinen Schuhen, das Geblödel der Coasters über den schlimmen Jungen in der Schule, Charlie Brown, die Songs von Tommy Steele.

Die Misere des deutschen Schlagers haben Wilfried Berghahn und Reinhard Baumgart, Rosa Pape und Fred Viebahn, Walther Killy und vor drei Jahren ein ganzes Heft der Zeitschrift »Akzente« nachgewiesen. Daß es sich um kein ungerechtes Vorurteil handelt, zeigte erst in jüngster Zeit der Fall Karel Gott. Ehe dieser Barde von findigen Managern für das deutsche Publikum entdeckt und zurechtgetrimmt wurde, war er immerhin in seiner tschechischen Heimat der neben Valdemar Matuska populärste Schlagerstar und sang Lieder, die – in der Vertonung von Jaromir Klempir etwa – nicht nur musikalisch, sondern auch vom Text her anspruchsvoller waren als alles, was er nun in Deutschland von sich gibt. Daß es auch in deutscher Sprache anders geht, mußte der spanische Chor Aguaviva beweisen. Folgenden Text von Rafael Alberti läßt er auf seiner Platte – in deutscher Übertragung – von Richard Münch sprechen:

Was singen die andalusischen Dichter von heute?
Was betrachten die andalusischen Dichter von heute?
Was fühlen die andalusischen Dichter von heute?

Sie singen mit Menschenstimmen, aber wo sind die Menschen?
Sie schauen mit Menschenaugen, aber wo sind die Menschen?
Sie fühlen mit Menschenbrust, aber wo sind die Menschen?

Sie singen, und wenn sie singen, scheinen sie allein zu sein.
Sie schauen, und wenn sie schauen, scheinen sie allein zu sein.
Sie fühlen, und wenn sie fühlen, scheinen sie allein zu sein.

Ist denn in Andalusien schon nichts übriggeblieben?
Gibt es vielleicht in den andalusischen Bergen nichts?
Gibt es auf den andalusischen Feldern und Meeren auch nichts?

Wird es denn niemals jemanden geben, der die Stimme des Dichters beantwortet?
Jemand, der das Dichterherz ohne Mauern anschaut?

Singt laut! Ihr werdet hören, daß andere Ohren hören.
Schaut auf! Ihr werdet sehen, daß andere Augen schauen.
Laßt eure Herzen laut schlagen! Ihr werdet erfahren, daß anderes Blut auch pulsiert.

Der Dichter ist nicht länger tief in seinem dunklen Unterirdischen eingesperrt.
Sein Lied steigt noch höher, wenn es in der freien Luft schon allen Menschen gehört.

Bis heute lauten aber die meisten deutschen Schlager immer noch so:

Nie mehr bist du allein.
Ich will jetzt immer bei dir sein.
Mein Herz schlägt für dich, nur für dich ganz allein, kleineSonja.
Ich möchte mit dir, nur mit dir glücklich sein, kleine Sonja.
Glück muß man haben so ab und zu.
Auch in der Liebe und mein Glück bist du.
Es geht alles vorbei, aj aj aj aj aj aj.
Auch das Glück bleibt nicht treu, aj aj aj aj aj aj.

Da stehen wir beide, es ist schon so spät, so spät.
Wir können nicht glauben, daß ein schöner Tag so schnell vergeht.
Er versprach dir so viel Glück, aber dann, dann hat er dich verlassen.
Und im Schmerz kamst du zu mir, und ich hab‘ geglaubt du wirst ihn hassen.
Ich betrachte die Welt und seh‘ viel, was mir nicht gefällt.
Doch dann mach ich die Augen zu, und vor mir ersteht ein Bild und das bist du.

Und so weiter und so weiter. Diese Schlageranfänge, hier ohne gezielte Auswahl aneinandergereiht, decouvrieren sich selbst. Es ist natürlich leichter, sich über derlei lustig zu machen, als die Verhältnisse zu verändern, die den Erfolg solcher Texte bewirken. Denn wenn man sich nicht mit der Vereinfachung der absoluten Manipulation zufrieden geben will, ist es offensichtlich, daß die Inhalte der Schlager mit Erfahrungen, Wünschen, Träumen, Ängsten, Verdrängungen ihrer Hörer korrespondieren. Sie entsprechen der wirklich herrschenden Ideologie: Lostrennung des Privaten vom Gesellschaftlichen, Hoffnung auf Erlösung in der Zweierbeziehung – einer Ideologie, die sie dann reproduzieren und verstärken.

Dem englischsprachigen Pop-Song gelang der Durchbruch ins Literarische zugleich mit seinem größten Sprung auf musikalischem Gebiet: mit den Beatles. Diese Gruppe erschloß nicht nur neue Harmonien, eine neue Form des Gruppenmusizierens, neue Collagetechniken für die Pop-Musik; sie brachte mit John Lennons Texten auch Sprachwitz, meinetwegen intelligentes Geblödel, aber mit einem Schuß Surrealismus ein:

I am he
as you are he
as you are me
and we are all together.

See how they run
like pigs from a gun
see how they fly. I’m crying.

Sitting on a cornflake – waiting for the van to come.
Corporation teashirt, stupid bloody
Tuesday man you been a naughty boy
you let your face grow long.
I am the eggman oh, they are the eggmen –
Oh I am the walrus …

Nicht immer ging es so verwirrend zu wie hier auf der »Magical Mystery Tour« der Beatles. Aber solche Texte öffneten die Schleusen: jetzt war alles erlaubt. Die Rolling Stones nannten beim Namen, was nicht nur der Schlager tabuisierte. Jetzt wurde nicht mehr Hand in Hand gegangen, jetzt erstreckte sich die Kommunikation auch auf andere Körperteile. Was im Blues der amerikanischen Neger als schwarze Schlange oder hot dog in the roll besungen wurde, was die Beatles noch in raffinierte poetische Bilder brachten, das wurde von den Stones direkt ausgesprochen. In diesem »proletarischen« Habitus lag zunächst ihre Faszination. Immer mehr jedoch wuchsen sie ins Establishment hinein, immer weniger konnte man ihnen ihre Sympathie für den Teufel abnehmen. Godards Film »One plus one« enthüllte unfreiwillig, wie manierliche Knaben die anarchistische Revolution für die Schallplatte proben. »Sympathy for the devil« – ein Rollenlied wie eh und je:

Please allow me to introduce myself
I’m a man of wealth and taste
I’ve been around for many a long, long year
I’ve stolen many a man’s soul and faith
I was around when Jesus Christ had His moments of doubt and pain
I made damn sure that Pilate washed his hands and sealed his fate
Pleased to meet you, hope you guess my name
But what’s puzzling you, is the nature of my game
I stuck around St. Petersburg
When I saw it was time for a change
I killed the Tzar and his ministers
Anastasia screamed in vain
I rode a tank, held a gen’ral’s rank
When the blitzkrieg raged and the bodies stank
Pleased to meet you, hope you guess my name
But what’s puzzling you, is the nature of my game
I watched with glee while your kings and queens
Fought for ten decades for the Gods they made
I shouted out: „Who killed the Kennedy’s?“
When after all it was you and me …

»Freut mich, Sie kennenzulernen. Erraten Sie meinen Namen? Was Sie verwirrt, ist die Natur meines Spiels.« I am the devil. Bei Frankie Laine hieß es einst: They call me the moonlight gambler, bei Paul Anka: I’m just a lonely boy, bei den Beatles: I am the walrus. Verlogen-sentimental bei Laine und Anka, surrealistisch-witzig bei Lennon, das Bild aus dem religiösen
Bereich bei den Stones. Nicht religiös gemeint natürlich – oder doch? Die Sonntagsschule geisterte nicht selten durch die Songs der Rolling Stones. Ein merkwürdiger Teufel war das jedenfalls, in dessen Rolle Mick Jagger mit seinem weißen Harlekinsgewand da schlüpfte. Sein Bündnispartner war der Zuhörer: »It was you and me«. Er hat die russische Revolution gemacht und die Kennedys ermordet. Für welches geschichtliche Prinzip steht dieser Teufel? Welche Weltsicht ist das, die dieselbe Kraft für die Ermordung des Zaren und der Kennedys verantwortlich macht? An die Stelle der Anpassungsideologie der deutschen Schlager war bei einem großen Teil der Rock-Texte, für den die Texte der Stones als exemplarisch gelten dürfen, eine unverbindlich-anarchistische Revolte getreten. Deutlich nur der Gestus des Um-sich-
Schlagens; das Ziel der Schläge, der Gegner also, blieb meist genauso vage und unbestimmt, wie in den alten Schlagertexten die Vorstellung vom Glück. Nichtsdestoweniger ist diese Haltung nicht gleichzusetzen mit der optimistischen Melancholie der Bundesschnulzen. Bleiben auch die Ursachen für die Unzufriedenheit, die offenbar ein großer Teil der Popmusik-Hörer empfindet, meist ungenannt, so lullen diese neueren Rock-Texte zumindest nicht ein, sie suggerieren nicht jenes: warte nur ab, es wird schon alles gut werden, und immer immer wieder geht die Sonne auf.

Die Stones artikulierten die Stimmung unter dem nicht-studentischen und nicht integrierten Teil der Jugend in der Marcuse-Ära. Ihre Songs waren die Schmerzensschreie verwundeter Romantiker, der outcasts, der underdogs. Das geht von der brünstigen Forderung nach Satisfaction bis hin zum Street Fighting Man. Daß sich Sexualität bei den Stones meist als männliche Potenz-Protzerei, voll brutaler Verachtung für den weiblichen Partner, äußerte, beweist
nur einmal mehr, wie tief sie in den Urteilen der bürgerlich-patriarchalischen Gesellschaft befangen blieben, wie weit davon entfernt, etwa revolutionär im marxistischen Sinne zu sein. In zunächst verdeckter, dann um so deutlicherer Form kommt das Bild von der Frau als Sexualobjekt in dem Song »It’s a Man’s Man’s Man’s World« von James Brown zum Ausdruck, der ansonsten in ungewöhnlichen Texten den Stolz des schwarzen Mannes besingt. Wenn er in dem erwähnten Lied meint, die Welt bedeute nichts ohne eine Frau oder ein Mädchen, so zweifelt er keineswegs den Vorrang des Mannes an, der Autos und Schiffe erfunden hat, das Spielzeug für die Kinder macht und das Geld verdient. Dies ist eine Männerwelt – und sie ist es auch in der Pop-Musik. Wenn man der Behauptung von O. K. Werckmeister folgen will, die er in seinem Essay »Das gelbe Unterseeboot und der eindimensionale Mensch« äußert (in: Ende der Ästhetik, S. Fischer 1971): daß nämlich »Sexualität … der offen ausgesprochene Gehalt der Rock-and-Roll-Musik (sei), deren jugendliches Publikum das Ideal des Bacchanals erfüllt, indem es die Libertinage vollzieht, zu der die Musik es auffordert«, und daß »das Bacchanal … in der Diskothek (stattfinde)« – wenn man dieser Behauptung folgt, der mich die Untersuchungen des Hamburger Instituts für Sexualforschung und eigene Beobachtungen mißtrauen lassen, so wäre immer noch zu fragen, welcher Art diese Sexualität ist; und ob sie Befreiung auch für die Frau bedeutet.

James Browns Song ist eine patriarchalische Predigt. Eine Predigt auch von der Form her. So wie wir sie beim deutschen Schlager zum Beispiel von Udo Jürgens kennen. Ansonsten aber steht der Schlager fast ausschließlich in der Ich-Forrm. Mehr noch, in Auftreten und Interpretation verstärkt der Schlagersänger, was die Allgemeinheit des Textes vorbereitet: den Schein der Identifikation mit dem Ich des Liedes. Glück und Unglück des Lied-Ichs sind Glück und Unglück des Sängers. Und wenn er nach einem Mädchen ruft, das ihn in die Arme nehmen möge, dann können sich die Teenager im Parkett aufgefordert fühlen. Hier liegt eine der Quellen für den Starkult.

In der neueren Pop-Musik ist das Ich seltener, und wo es vorkommt, steht es häufig für eine Rolle, mit der der Sänger nicht so ohne weiteres gleichzusetzen ist. Daß der Starkult dennoch nicht aufgehört hat – die Groupies etwa bürgen dafür –, ist das Resultat eines gnadenlosen Monsterbetriebs. Mick Jagger wird allerdings als der erfolgreiche Rock-Karrierist umschwärmt – in Roy Black lieben die Fans das Subjekt seiner Lieder, eine Fiktion. Wo es in der Pop-Musik ein Ich gibt, zerfällt es oft in mehrere Teile, denn diese Musik ist zu einem großen Prozentsatz Gruppenmusik. Häufig werden in der Pop-Musik auch Geschichten erzählt. Ein schönes, wenn auch wenig bekanntes Beispiel ist William Beils Hommage an den Soul-König Otis Redding, in der er das Leben dieses bei einem Flugzeugabsturz umgekommenen Sängers balladesk beschreibt. Geschichten besonderer Art begannen die Mothers of Invention zu erzählen. In collagierten Musikund Textfetzen spotteten sie über die »plastic people«, über ein sexuell frustriertes, in Waren erstickendes künstliches Amerika. Hier wurde die Gegenwart in die Pop-Musik geholt. Nicht mehr Idylle, nicht mehr Glück, Herz und Himmel, sondern: Vietnamkrieg, Mord, Bombenflugzeuge. Daß sich anspruchsvolle politische Texte auch mit komplexer Musik verbinden lassen, zeigt z. B. die englische Gruppe Family mit »Lives and Ladies«:

People that you send to war
Who don’t know what they’re fighting for
Leaving their loved ones at home
Wondering if they’re on their own
Oh, if they’re alone.
Mothers and fathers that wait
For news of their innocents fate
Raising a son for some years
Only to end it in tears
Oh, only to end it in tears.
You being masters of war
You never know you’re fathers, that’s for sure
Just counting the numbers that died
I hope that you’re satisfied
I hope that you’re satisfied.
My friend he s a salesman up in Leicestershire
His wife and baby loved him, to him they’re all so dear
We got talking together about some right and wrongs
And just before I left there, I heard him sing this song:
I love my lady and baby
And I’m sure that you love yours
We want to care for each other
That’s what we’re here for

Yes, I love my lady and baby
And I’m sure that you love yours
So don’t go pulling your switches
We don’t need your wars …

Doch soll hier nicht suggeriert werden, es gäbe in der neueren Pop-Musik nur anspruchsvolle Texte. Die Resignation, ein mal melancholisches, mal freudig sich fügendes Schicksalsdenken existiert auch heute noch in englischen Texten. Ob uns Lynn Anderson belehrt, daß es mit dem Sonnenschein auch manchmal Regen geben müsse, oder Melanie eine vage anonyme Macht
beschuldigt, etwas mit ihrem Lied gemacht zu haben — man findet sich schon ab. Es ist vielleicht kein Zufall, daß es gerade diese Lieder sind, die sehr bald auch in deutscher Fassung zu Schlagern werden. Und bezeichnend, daß Melanies Nickel-Song im Deutschen programmatisch bekennt:

»Ob es so oder so oder anders kommt, so wie es kommt, so ist es recht.
Es kommt sowieso nicht so, wie man es haben möcht‘.«

Bei den interessanteren neuen Texten der Pop-Musik stehen sich zwei Extreme gegenüber: hier der aggressive Song, der die Schock-Masche der »Mothers of Invention« weiterführt; dort der lyrische, zarte, oft bilderreiche Song, der die Phantasie der Beatles mit einer neuen Empfindsamkeit verbindet. Bei der zweiten Gruppe ist eine starke Ich-Bezogenheit selbstverständlich, aber auch bei der ersten finden sich häufig Lieder, die über einen unreflektierten, individualistischen Anarchismus nicht hinauskommen. Sie segeln im Windschatten von Mick Jaggers »Street Fighting Man«, der zwar erklärte: »Ja, ich glaube es ist die rechte Zeit für gewaltsame Revolution« – die aber im schläfrigen London dann so aussähe: »Ich schrei, ich brülle, ich töte einen König, ich heule alle seine Diener an.« Zu mehr als zur Forderung nach Drogen reicht es zumeist nicht. Bisweilen aber suchen Gruppen wie die Fugs, die Doors oder David Peel mit politischen Aussagen über das »Legalize Marijuana« hinauszukommen. Eine Heilsarmee besonderer Art, fragen David Peel und seine lower east side in New Yorks Parks und Straßen Gott, ob er lange Haare habe und warum er den Krieg in Vietnam zulasse.

Zur politischen, oft ins bitter Ironische gekehrten Problematik gesellt sich der Slang, eine auffallend laxe, bisweilen vulgäre Sprache, die auch sexuelle Fragestellungen in der Pop-Musik erleichtert. In ihrer sozialen Herkunft wie in ihrer Direktheit bei der Nennung sexueller Fakten hat diese Sprache ihre Vorläufer im Folk-Blues der amerikanischen Neger, der Armen und Ausgebeuteten. Beides zusammen – eine aggressive Thematik und Umgangssprache – finden wir bisher in der deutschen Pop-Musik nicht. Den Versuch, politische Aufklärung mit harter Musik zu vermitteln, machten das ehemalige Kabarett Floh de Cologne und die Stuttgarter Gruppe Hotzenplotz. In bewußt einfachen, parallel konstruierten Formeln agitierten die Floh-Mannen mit ihrer Rock-Oper »Profitgeier« für ein Publikum von Lehrlingen:

Wir brauchen keine Milliardäre
wir brauchen keine Millionäre
wir brauchen keine Unternehmer
denen wir das Geld in ihren Rachen stecken müssen
damit sie uns in Ruhe lassen
Die Profitgeier müssen weg!
Aber sie sollen ihre Kammerzofen hierlassen
und ihre Butler und ihre Sekretäre
ihre Köche, ihre Privatchauffeure
ihre Putzfraun und ihre Angestellten
ihre Lehrlinge und ihre Arbeiter
Wir brauchen keine Milliardäre . ..
Aber sie sollen ihre Rittergüter hierlassen
und ihre Privatstrände und ihre Privatschlösser
ihre Privatländereien und ihre Privatgrundstücke
ihre Privatkliniken und ihre Privatzeitungen
ihre Privatstädte und ihre Privatfabriken
Wir brauchen keine Milliardäre …

Auch Versuche, den Dialekt, den Jargon für den Pop-Song zu aktivieren, gibt es in letzter Zeit bei uns. Marianne Mendt ließ das »Spinning wheel« der Blood, Sweat and Tears »wia a g’scheckert’s Hutschpferd auf an Proterringelgschpül« kreisen, aber spätestens bei der zweiten Langspielplatte erkennt man das Anbiederische ihrer Lieder. Denn im Dialekt, in der Sprache der Arbeiter wird wiederum nur berichtet, was Jahrzehnte bürgerlicher Kultur für schön zu halten lehrten. Ein Name, der in einem aufgeht wie das Rad von einem Pfau – so in Andre Hellers Text »Wann i könnt, so wie i wollt« –, ist auch auf Wienerisch ein schiefes Bild. Und wenn das singende Ich die
ganze Stadt kaufen und alle rausschmeißen will bis auf den verheirateten Mann, den es gerne hätte, dann ist es mit diesem Wunsch nicht weit entfernt von der traditionellen Ideologie des deutschen Schlagers. Jüngst hat der Maler der Wiener Schule der phantastischen Realisten
Erich Brauer, unter Veränderung seines Vornamens zu Arik, erprobt, wie sich Dialekt und sozialkritische Haltung vereinbaren lassen:

Du ißt ein Kipferl, trinkst ein‘ Kaffee — und derweil
passier’n Sach’n …
Ja da setz ich mich zur Jaus’n
Gar so sicher und so fesch,
weil ich will ein Kipferl schmaus’n,

ja das Kipferl ist so resch.
G’rad hab‘ ich die Butter auffepatzt und denk mir nix dabei,
da is‘ einer g’storb’n als wie ein‘ Häuselratz –
weg’n dera Hungerei.

Das Kaffeeheferl tu ich ruck’n und ich gieß mir an Kaffee
weißes Schlagobers drüber gupf’n und ich träum vom ersten Schnee.
G’rad hab‘ ich den Zucker eineg’schupft und denk mir nix dabei,
da sind’s ihrer zwölfe über’s Messer g’hupft –
weg’n der Faschisterei.

Und ich tunk das Kipferl eine, ja ich weich’s ein bisserl auf
und dann schließ ich meine Augerl und ich reiß‘ die Pap’n auf.
G’rad hab‘ ich das Kipferl eineg’steckt und denk mir nix dabei,
ja da ist ein‘ ganze Stadt verreckt –
weg’n dera Bomberei.

Und ich heb‘ in die Höh‘ das Heferl, ja ich nehm‘ an gut’n Schluck
und mei‘ Zungen holt das Kipferl aus der Back’n mit ein‘ Ruck.
G’rad hab‘ ich das Kipferl abebampft und denk mir nix dabei,
ja da ist die ganze schöne Welt verdampft –
weg’n einer Streiterei.

Wie man sieht, hat die Pop-Poesie also neue sprachliche Bereiche gewonnen, der Zwang zum Reim, zum syntaktisch vollständigen Satz, zur Sprache der Mittelschicht ist weitgehend durchbrochen. Wer freilich Pop-Musik mit progressiver Subkultur in Verbindung bringt, sucht vergeblich nach solchen Stichworten wie: konkret, relevant, reflektieren, affirmativ, Establishment, integrieren, repressiv, verunsichern, umfunktionieren, Selbstverständnis, Frustration, progressiv, manipulieren etc. Protest drückt sich im Pop-Song einfacher aus.
In den Liedern der Gruppe Third World War etwa erinnert er in der Sprache an die alten Blues-Texte eines Leadbelly:

I was trucking down the road
In my old Bedford ten-tonner
When the arm of the law
Said stop you road runner
Get out of that cab
And remember your place
You’re talking to the Law
And it don’t like your face
Got booked for speeding and indecent language, too
You’d think the road police
Had nothing eise to do
I’m just a working class man
With a working class tool
Trying to make a working class living that’s all …

Einfache Sprache, Laxheit im Umgang mit Reimen und metrischen Strukturen
prägen auch den sanften Protest, wie wir ihn etwa in den Liedern von
Cat Stevens finden. Ohne komplizierte Metaphorik kritisiert er eine technisierte
Welt, die keinen Platz für die Kinder zum Spielen übrig läßt:

Well I think it’s fine building Jumbo planes,
or taking a ride on a cosmic train, switch on
summer from a slot machine, yes get what you
want to, if you want, ‚cause you can get anything.
I know we’ve come a long way, we’re changing day to day,
but tell me, where d‘ th‘ ch’ldr’n play …

Wenn Reinhard Baumgart feststellte, daß sich der deutsche Schlager von
Versatzstücken der vorindustriellen Lyrik nährt, so können wir für die Texte
der Pop-Musik den Einbruch des industriellen Zeitalters bemerken. Mit der für die Unterhaltungsmusik neuen Thematik kommt es auch zur Auflösung der Formen, das Herz-Schmerz-Schema verträgt sich weder mit der aufmüpfigen Haltung noch mit den neuen musikalischen Strukturen, die ohnehin dem Text einen viel weniger prominenten Platz lassen als der freundlich arrangierte Schlager mit Damenchor im Hintergrund. Neben komplexen Texten findet man – vor allem in der härteren Rock-Musik – kurze, prägnante, parallel gebaute Sätze, wie etwa in dem schon zum Klassiker geworden »Do what you like« von Ginger Baker:

Do right use your head
everybody must be fed
get together break your bread
yes together that’s what I said
do what you like …

Auch die Sänger der weichen Welle, wie Elton John oder James Taylor, verzichten
in ihren Texten häufig auf traditionelle Strukturen, oft ersetzt Assonanz
den Reim. Charakteristisch für diese lyrische Richtung ist die private
Thematik (die aber in den Blues, etwa von John Mayall, gesellschaftliche Realität
einbezieht) und die Vorliebe für Metaphern, die nicht selten in den Kontext
eines Traums oder einer Vision eingebettet werden. Bei James Taylor
heißt es z. B.:

It was just after sunrise
And down by the sea
Down on the sand flats
Where nothing will grow
Come drumming and footsteps
Like out of a dream
Where the golden green waters come in
Just nine lucky soldiers had come
Through the night

Half of them wounded
And barely alive
Just nine out of twenty was headed for home
With eleven sad stories to tell
I remember quite clearly when I got out of bed
I said, oh, good morning what a beautiful day

Die Pop-Musik und ihre Dichtung verändert sich ständig und schnell, schon um den aufgeblasenen Musikbetrieb mit immer neuen Reizen zu füttern. Kann ich mich auch der These nicht anschließen, daß die Pop-Musik ausschließlich manipulativ, von den »Herrschenden«, eingesetzt wird, so sind doch die beträchtlichen Zwänge, die von Plattenherstellern, Rundfunkanstalten etc. ausgehen, nicht zu übersehen. Die Pop-Musik ist selbstverständlich Ware, das ist eine Binsenweisheit; aber das gilt auch für Pete Seegers Protestsongs und für Degenhardts politische Agitation auf Platten. Die technisch-industrielle Gesellschaft hat einen guten Magen, und man kann ihr mit kulturellen Randerscheinungen, die zudem nur eine bestimmte soziale und Alters-Gruppe ansprechen, höchstens ab und zu einen Durchfall vermitteln. Wer sich von der Pop-Musik Revolution erhoffte, war Opfer einer Sprachschluderei, welche Attribute wie progressiv und revolutionär auf Musik ebenso anwendet wie auf Waschmittel. Er täuschte sich ebenso wie jener, der nicht eingestehen will, daß die Pop-Texte auf dem Hintergrund des deutschen Schlagers immerhin einen kleinen Schritt in Richtung einer differenzierteren
Weltauffassung, einer politischeren Betrachtungsweise und einer höheren verbalen wie musikalischen Sensibilität bedeuten.

Diese Texte sind vielfältiger, verschiedenartiger geworden. Die Klischees, die den Schlager kennzeichnen, wurden gesprengt. Neue Themen sind in die Unterhaltungsmusik eingedrungen. Die gesellschaftskritische Haltung der Protestsongs fand ebenso Eingang in die Pop-Musik wie der rauhe Habitus des Folk-Blues, wie Bildhaftigkeit und Witz der angloamerikanischen Tradition
von den schottischen Balladen über Edward Lear und Cummings bis zur Beat-Poesie. Der Sozio-Dialekt der Unterschicht, der Schwarzen Amerikas, hat sich – wie vorher im Jazz – seine Stellung in der Pop-Dichtung gesichert. Neben gereimten, gleichmäßig gebauten Texten stehen immer häufiger prosaische großflächige Kompositionen, neben Metaphern und Gleichnissen
spröde, direkte Benennung, neben komplexen Sätzen spartanische Aussagen von drei bis fünf Worten. Größere Freiheit und größere Wülkür in der Sprache wie in den melodischen und rhythmischen Strukturen: das kennzeichnet die heutige Pop-Musik. [1. Viel Material zur weiteren Umgebung des Themas ist in dem Buch »Rock Power« von Helmut Salzinger zusammengetragen (Fischer-Bücherei 1972).]