Etwas ist geschlachtet worden. Michaela Eichwald: FRANK

Frank und Pflaumi haben einen Traum, 2017

Frank und Pflaumi haben einen Traum, 2017

 

Michaela Eichwalds Ausstellung begrüßt den Besucher mit einem großformatigen Gemälde, auf dem Wappentiere auf blau-weiß gestreiftem Grund zu sehen sind. Eine Schmierspur aus Gelb und Rostbraun verrät, dass man Bilder erwarten darf, die nur auf den ersten Blick wie Stillleben erscheinen, die zwar Gegenstände zeigen, aber immer auch Bewegungen und Ereignisse, die über diese Gegenstände hinweggegangen oder ihnen zugestoßen sind. Sind diese Wappentiere auch bloße Konturen, steif also fast ungelenk auf die Streifen gezeichnet, werden sie doch von etwas, das nicht weiter bestimmt wird, umgetrieben und berührt. So heißt die Arbeit denn auch Frank und Pflaumi haben einen Traum.

Geschlachtet, irgendetwas wurde geschlachtet. Das Gemälde Periodensystem der Elemente: Inner Uebergangsmetalle (2017) wird fast zur Gänze ausgefüllt von einem dunklen blutähnlichen Rot, von dem sich ein heller Fleck abhebt, dessen Form an Lungenflügel erinnert. Der Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass als Träger keine Leinwand fungiert, sondern eine klein gekachelte, weiße Oberfläche, in deren Rillen die rote Farbe zusammenläuft.

Vor einigen Jahren fing Michaela Eichwald an, auf die klassische Leinwand zunehmend zu verzichten. Das Material der Wahl heißt Kunstleder. (Was ich, weil ich gerade „so eine“ Phase habe, überaus sympathisch finde). Hier ist es mehr als nur modischer Gimmick: Die typisch geribbelte Oberflächenstruktur des Imitats lässt die spontanen, nie ganz zu Ende geführten Pinselstriche zur Geltung kommen. Das Gleiche gilt für die Farbe des Hintergrunds, der oft zu weiten Teilen unvermalt bleibt. Die Fehlfarben der (so meine Spekulation) skalpierten Kunstledersofas gerade verstorbener alter Leute – von popeligem Hellbeige bis Graugrün ist alles dabei – kontrastieren kraftvoll mit Michaela Eichwalds energischen und bisweilen grellbunten Gesten. „Kunstleder hat etwas Abstoßendes, Unelegantes, etwas, was sich nicht so einfach in die Kunstgeschichte einreihen lassen will“ sagt sie. Es ist außerdem gar nicht klar, wie sich das behandelte Kunstleder auf lange Sicht konservieren lässt – das stört sie aber nicht. „Ich finde, es gibt zu viel Kunst.“ Dieses Urteil sollte man wohl lieber Kunstsammlern und Museumsdirektoren überlassen. Eines ihrer Bilder wurde nun vom MoMA angekauft (Duns Scotus).

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Ein wirkliches Ledersofa scheint die prominent in der Ausstellung platzierten Arbeit Große Unbekannte mit zwei Hausgeistern (2017) zu zeigen. Auf das PVC-Leder aufgedruckt sind Knöpfe wie man sie von Polsterungen und Matratzen kennt. Darauf nun sind gleich mehrere malerische Ebenen gelegt: eine Figur, scheinbar liegend, mit rotem Kopf, mehrere an Kissen erinnernde Flächen aus Rosa und warmen Gelbtönen, und darüber schwebend zwei große, dunkelgraue Wolken. Es entsteht der Eindruck, von oben herab, gleichsam von der Zimmerdecke auf diese Szenerie zu schauen. Das Bett oder Sofa macht einen ordentlich versifften Gesamteindruck; bei den grauen Störflächen könnte es sich durchaus um Zigarettenrauch handeln. Oder um „Hausgeister“, wie der Titel nahe legt, aber Zigarettenrauch und Geister fallen, so scheint mir, in gewissen Situationen in eins.

Praktisch alle der hier ausgestellten Bilder von Michaela Eichwald geben eindeutig (und manchmal auch eindeutig identifizierbare) Gegenstände zu erkennen, die im Raum stehen, liegen, schweben. Was genau sie „tun“, bleibt aber verborgen, oder dadurch, das vieles nur angedeutet bleibt, im Vagen. Stillleben im engeren Sinne des Wortes – das heißt: abgebildete Gegenstände, auf denen höchstens zur Unterstreichung ihres Stillstehens eine Fliege herumkrabbelt – sind es daher nicht. Sogar das Bild Niet Niss Niss Nit, (2017), auf dem eine Reihe grauer Gasflaschen zu sehen ist, bildet diese Gasflaschen nicht als irgendwo deponierte, auf ihren Einsatz wartende Zylinder ab, sondern erweckt vielmehr den Eindruck, dass sie sich im Flug befinden, vielleicht sogar kurz vor einer Explosion stehen. Auch hier gibt es nahe der Bildmitte eine hellrote Spur, die wirkt, als hätte sich soeben jemand beim Versuch, eine Flasche zu öffnen, verletzt.

Emphatische Malerei, die sich nicht in der Pflicht sieht, gleichzeitig immer auch die Geschichte der Malerei konzeptuell mitzukommentieren (wie es zum Beispiel, weil sie mir gerade einfällt, Rochelle Feinstein macht, die letztes Jahr von Stephanie Weber im Lenbachhaus München ausgestellt wurde), löst bei mir Gedanken an die siebziger Jahre aus (oder an das, was ich mir so unter den siebziger Jahren vorstelle). Ich denke an die Kunsthochschulen in Düsseldorf und Köln – wo Michaela Eichwald aufgewachsen ist und studiert hat –, an Richter, Polke und Konsorten. Aber eben auch an die Farben der Gardinen meiner Großeltern, die den Farben, die Michaela Eichwald bevorzugt, nicht unähnlich sind. Eine Farbe fällt aus diesem Zusammenhang allerdings heraus und wirkt auf mich auf erstaunliche Weise unserer Gegenwart verpflichtet. Hautfarbene Töne spielen in vielen ihrer Arbeiten eine wichtige Rolle und sind derart komplex ausgeführt, dass sie die Vorstellung, hier als Repräsentationen echter Haut in Erscheinung zu treten, von sich zu weisen scheinen. Die bezeichnenderweise „Urbi et Orbi“ betitelte Arbeit füllt dieser fleischliche Farbton gar gänzlich aus. Es hat den Anschein, als würden hier zwei große blaue Krüge ganz selbstständig auf Anfang und Ende des Anthropozäns anstoßen. Der Hautfarbe sind andere Töne beigemischt, sie oszilliert, so als ob der menschliche Avatar, der einmal daraus geformt werden sollte, sich noch im Animationsprozess befände. Aber wozu Menschen! Unter den Gegenständen ist genug los.

 

Michaela Eichwald: FRANK

26. März – 30. April 2017

reenaspaulings.com