Gemischte Gefühle, gemischte Zustände

Das folgende Gespräch besteht aus drei Akten. Nach einer Tagung über Tagungen im Jahr 2015, die unter anderem in vieler Hinsicht von dem Sozialverhalten handelte, das Menschen auf Tagungen zeigen, fingen wir an, über das nachzudenken, was intern zuerst „die Frauensache“ hieß. Die Frauensache entwickelte sich zu einem fortgesetzten Gespräch über Misogynie, vor allem unsere eigene, und wie insbesondere die Nutzung von Twitter dazu führte, dass wir diese internalisierte Misogynie überhaupt als solche bemerkten. Für das Gespräch hilfreich waren viele Personen, die hier größtenteils mit Klarnamen vorkommen, außerdem Skype, Twitter, Telegram, die Audioaufnahmeapp von Kathrin Passigs Handy, unsere „Denkräume“ [1. Vgl.: Kathrin Passig, Hanna Engelmeier: Sehr eng. In: Simone Jung und Jana Marlene Mader: Denkräume. Reinbek: Rowohlt, 2020. Erscheint im August 2020.] und Getränke auf der Basis von fermentierter Horngurke. „Fermentierte Horngurke“ zu schreiben ist peinlich genug. Die Blödheit in Bezug auf „die Frauensache“ ist noch peinlicher. Weil man aber nur aus dokumentierter Blödheit etwas lernen kann, gibt es diesen Text.

 

Eins – 2015ff.: Immerhin Kittens

K: Ich war mal beim Merkur zum Mittagessen eingeladen und habe mich beim Aufbruch aus dem Büro mit den beiden Redakteuren selbstverständlich von Ina Andrae verabschiedet. Die dann sagte, nein nein, natürlich kommt sie mit zum Essen. Dabei weiß ich das doch eigentlich, dass sie nicht als Hilfskraft da ist, sie schreibt ja auch selber. [2. Zum Beispiel hier über die Frage, warum im Merkur so wenig Frauen schreiben.] Und selbst wenn sie nur das Administrative machen würde – da arbeiten einfach drei Personen, und eine davon war für mich unsichtbar. Seitdem habe ich noch mehr Verständnis für Leute, die ständig in Genderfettnäpfchen treten.

H: Ich werde andauernd für eine Hilfskraft gehalten. Neben meinem Chef eigentlich immer. Mich stört das eigentlich nicht. Weil ich nichts gegen Hilfskräfte habe, und ich war ja auch mal eine. Manchen, denen dieser Irrtum passiert, ist es sehr peinlich.

K: Ich halte ständig Frauen neben ihrem Chef für Hilfskräfte. Oder Frauen bei Veranstaltungen generell, speziell, wenn sie Wert auf Kleidung, Make-up und dergleichen legen.

H: Ja, es gibt ja immer noch bestimmte Häufigkeiten, aus denen man Status ableitet. Es geht mir auch so.

K: Ich muss mich aktiv zusammenreißen, diese Frauen überhaupt wahrzunehmen, auch was zu ihnen zu sagen und so weiter. Klappt nicht immer. Gerade in so Veranstaltungssituationen, wo sehr viele Informationen und Leute auf einmal auftauchen und ich gleichzeitig Technikprobleme lösen muss, bin ich damit oft überfordert. Aber diese Überforderung äußert sich immer auf dieselbe Art, ich übersehe die Frauen.

H: Man muss sich disziplinieren. Ich bin nach der Schulzeit nie von Frauen gefördert worden. Vielleicht auch einfach, weil da, wo ich hinwollte, Frauen lange Zeit vor allem als andere Praktikantinnen auftauchten. Da hat sich erst ab 2015 was dran getan.

K: Vielleicht sollten wir mal was drüber schreiben, dass anständiges Genderverhalten für so ziemlich alle schwierig ist. Oder gibt es da schon ganz viel, und ich weiß es nur nicht, weil ich solche Texte selten lese?

H: Nee, ich glaube, es gibt das nicht so, wie wir das lesen wollen würden. Von daher sollten wir das schreiben. Außerdem gelten wir beide im Bekanntenkreis, also du und ich, als komische Frauen. Das wurde mir jedenfalls verschiedentlich so mitgeteilt, aber das können natürlich verirrte Einzelmeinungen sein. Aber vielleicht hat das Komische-Frau-Sein einen positiven Effekt auf die Wahrnehmung der Verhaltensschwierigkeiten.

K: Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt bin, eine Frau. Ich habe das neulich mal mit Aleks besprochen, Anlass war, dass jemand, der einen Eintrag in Aleks’ Badetagebuch-Blog gelesen hatte, bei Twitter fragte: “Wieso weiß ich nach einem Satz, dass da eine Frau schreibt?” Ich habe ihm dann angeboten, dass er meinetwegen auch gern offiziell eine Frau sein kann, jetzt, wo es alle wissen, aber er wollte nicht: Er sei sich eigentlich ziemlich sicher, keine Frau zu sein. Auf die Frage, woran er das merkt, wusste er allerdings auch keine Antwort: “Vermutlich einfach Gewohnheit.” Aleks Scholz, Mann aus Gewohnheit. Auf seine Rückfrage, woher ich denn wüsste, dass ich eine Frau bin, sagte ich: “Ich fürchte, ich bin ungefähr so eine Frau wie du. Ich plane, demnächst löten zu lernen, dann wird man es noch weniger wissen. Außerdem beweist mein YouTube-Verlauf ja wohl alles, da geht es nur um alte Männer, die aus einem Wald und einem Schweizer Taschenmesser ein Haus bauen.” YouTube sagt einem ja, wofür man sich interessiert: “Woodworking, Bushcraft, Seinfeld, Rain, Bows and Arrows, Galileo, Electrical Engineering, Hiking, Machines, Computer Science, Building, Kittens.” Immerhin Kittens.

H: Mich macht so eine Einschätzung immer sehr neidisch, weil sie mir sehr zeitgemäß und auch cool vorkommt …

K: Das ist natürlich genau das Problem, wie man im sehr guten Text “The Dangers of the ‘Cool Girl’ Ideal” von Julie DiCaro nachlesen kann. [3. Den Hinweis auf diesen Text verdanken wir Berit Glanz.] Dass man sich energisch von Frauenthemen distanziert und “one of the boys” sein möchte, mit allem damit einhergehenden Sexismus. Aber ich wollte einen so großen Teil meines Lebens immer dieses cool girl sein und mich nicht für Frauenthemen interessieren, dass ich gar nicht sagen kann, ob es jetzt wirklich so ist oder nicht. Und ob es das überhaupt gibt, einen realen Charakter hinter dem erfundenen. Andererseits bin ich in den letzten Jahren gleichzeitig frauenfreundlicher geworden und interessiere mich mehr denn je fürs Holzfällen, also ist es vielleicht doch, ähm, wirklich so.

H: Ich hab meinen YouTube-Verlauf nicht im Kopf, aber ich hasse alles mit Heimwerken, Kochen mal ausgenommen, Löten, Fussball und Outdoorgedöns. Mit ungefähr 13 hatte ich eine extreme James-Dean-Phase, die von einer extremeren Oscar-Wilde-Phase abgelöst wurde, in beiden Fällen war das Problem die endlose Verwirrung darüber, ob ich die jeweilige Person sein wollte oder sie nur unerträglich hot finde, schwul hin oder her. Tja. Mich hat eigentlich als Teenager überhaupt eine völlig undefiniert-vage Idee von Schwulsein interessiert, weil ich die rührende Vorstellung hatte, dass man sich als Schwuler nicht mit Reproduktion beschäftigen müsse.

K: Ich glaube natürlich, dass du eindeutig eine Frau bist, weil du so Kleidungsstücke besitzt und sogar Schuhe. Aber das ist wahrscheinlich oberflächlich gedacht von mir. Alle anderen Frauen, die ich kenne, sind eher so Frauen wie Aleks und ich.

H: Eigentlich hat sich diese Struktur bis heute nicht verändert. Ich glaube, ich hab mich dann irgendwann dafür entschieden, als Uniform einen femme-drag zu wählen, weil dadurch zumindest an dieser Front Ruhe im Karton ist. Abgesehen davon passen mir keine androgynen Klamotten. Es wäre aber auch gelogen zu sagen, dass es nichts damit zu tun hat, dass ich den femme-drag für den Auftritt von liebenswerten Frauen gehalten habe. Handwerklich habe ich mich auf Maniküre verlegt. Aber meine Geschlechtsidentität oder -performance ist vor allem deshalb stark vereindeutigt, weil ich so Zeit spare. Wahrscheinlich ist es ziemlich durchschnittlich, sich aus diesem Grund mit einem Gender abzufinden.

K: Jetzt tut es mir noch mehr leid, dass ich so eine denkfaule Meinung hatte, nur wegen deiner Kleidungsgewohnheiten.

H: Vergiß die Hutschachteln nicht. Deiner Meinung nach reise ich ja immer mit 27 Hutschachteln.

 

Zwei – 2019: Variierende Doofheitslevel und deren Bewertung

H: Ich habe für das Dummy-Heft zum Thema Frauen, das muss 2006 gewesen sein, einen Text mit dem Titel „Warum ich Frauen nicht mag“ geschrieben, und davon handelte er auch. Darin ging es um die dümmstmöglichen Stereotype, Humorlosigkeit und so weiter. Irgendwie war das wohl auch lustig gemeint, aber man kann das schwer lustig meinen, wenn man es letztlich nicht ernsthaft denkt. Als ich irgendwann viel zu spät angefangen habe, mich dafür zu schämen, habe ich es mir als missglückte Ironisierung zurechtgelegt. Vor allem aber ist mir klar geworden, dass sich Herausgeber und Redakteur vermutlich einen Ast abgefreut haben, dass ich so doof war, mich hinzustellen und diesen Text abzuliefern mit meinen 23 Jahren. Sie haben mich zumindest nicht aufgehalten. Andererseits ist man mit 23 auch nicht unzurechnungsfähig. Das war zu der Zeit, als ich meinen ersten Studienabschluss gemacht hab. Ich hätte es besser wissen müssen. Hab ich aber nicht.

K: Es gibt vieles, was man hätte besser wissen müssen. Aber man kann nicht alles gleichzeitig lernen. Ich hab darüber kürzlich wieder nachgedacht, weil mir wieder eingefallen ist: Ich war ja gar nicht immer antifeministisch und frauenfeindlich. Als ich unter zwanzig war, war das ganz anders. Ich weiß eigentlich nach wie vor nicht, warum es sich dann geändert hat.

H: Ich würde gar nicht sagen, dass es bei mir so ausgeprägt war. Ich habe mich zumindest nie als antifeministisch wahrgenommen, ganz sicher nicht.

K: Ich schon.

H: Für mich ist, was das Doofheitslevel angeht, eher schockierend, dass ich immer gedacht hab, dass ich automatisch für Frauen bin, weil ich ja auch für Menschenrechte im allgemeinen bin, und deshalb gar keine genauer ausformulierte Position zum Thema „Frau“ entwickeln muss. Dass Feminismus etwas anderes bedeutet und darüber hinausgeht zu sagen „Frauen sind aber auch Menschen!“ war mir natürlich auch nicht klar. Ich hatte aber beispielsweise nie einen Hass auf Feministinnen. Also ich hatte bestimmt von einigen keine gute Meinung, aber ich hab mir zum Beispiel nicht gedacht „Alice Schwarzer ist eine unheimlich doofe Trulla“ – auch falsch, wiederum.

K: Das wäre wirklich mal …

H: Das wäre sinnvoll gewesen, aber ich war halt ahnungslos. Aber da hatte ich beispielsweise auch noch keinen Thread von Jutta Ditfurth [4. twitter.com/jutta_ditfurth/status/1115006706474524677.] darüber gelesen. Aber was man wirklich sagen kann, ist, dass ich grotesk uninformiert war. Dass ich viele Sachen nicht kannte, die für mich interessant gewesen wären. Seit ca. vier Jahren lese ich ständig Sachen, von denen ich mir wünsche, dass ich sie mit zwanzig gekannt hätte. Ich glaube zum Beispiel, ich hätte grundlegend andere Beziehungen, auch Freundschaften geführt, wenn ich schon mit zwanzig „Down Girl“ gelesen hätte. [5. Kate Manne: Down Girl. Die Logik der Misogynie. Berlin: Suhrkamp, 2019.] Andererseits ist das auch wieder eine Überschätzung meiner Theoriefreude im Alter von zwanzig Jahren. Und Kate Manne hat das Buch auch erst viel später geschrieben.

K: Gut, aber so ist es doch immer. Man ist in mindestens 99 Prozent aller existierenden Dinge grotesk uninformiert, obwohl einige davon wichtig für einen wären. Ich glaube, das ist nicht das Problem. Das sollte man sich nicht vorwerfen, dann ist man bis zur Rente beschäftigt mit Selbstvorwürfen.

H: Ja, abgesehen davon ist manches davon so ein bisschen wie die Aussage „Ich hab 1984 nicht gelesen.“ Das ist halt eine Lektürelücke, und man kann nicht alles mitnehmen. Ein Hauptproblem ist Misstrauen gewesen. Ich habe früher ein ziemlich grundsätzliches Misstrauen gegenüber Frauen gehabt. Manchmal habe ich damit immer noch Probleme. Vielleicht ist das auch der Punkt, an dem ich mich provoziert durch Äußerungen von Frauen auf Twitter fühle, die schreiben, dass sie immer schon so ein grundsätzliches Vertrauen gehabt haben. Das nehme ich ihnen übrigens auch ab, es macht mich nur traurig, dass ich das nicht konnte.

K: Eine Arbeitshypothese: Ich habe mich in dieser Zeit, also so zwischen 18 und Mitte, Ende 20, für ein paar Männer interessiert, von denen ich dachte – ob zu Recht oder nicht, weiß ich gar nicht -, dass ich damit punkten könnte, mit dieser Frauenfeindlichkeit. Vielleicht völlig zu Unrecht. Eigentlich geben die Männer das nicht wirklich her.

H: Ja, das war bei mir wahrscheinlich teilweise auch so. Ich kann mich daran erinnern, dass mein Freund, mit dem ich mit 17, 18 zusammen war, mir ein paar Mal gesagt hat, dass es ja so toll sei, dass ich mich für Sachen interessieren würde, weil sich Frauen in der Regel ja nicht für Sachen interessieren würden. Sachen waren Bücher, Platten, Filme, die er gut fand. Ach ja, und Politik. Ich denke, dass ich jetzt sagen würde, ja, das ist halt misogyn, und das stimmt wahrscheinlich auch. Aber ich habe das damals so hingenommen, ich weiß nicht mehr, wie ich es fand, aber ich habe es mir immerhin gut gemerkt. Aber ich war auch sehr jung und ich dachte halt, ja, vielleicht ist das wirklich so. Mit dieser Einstellung bin ich dann eben auch anderen Frauen begegnet, denn das hatte ja mein Freund gesagt, der zehn Jahre älter war als ich und ein Fanzine rausgebracht hatte.

K: Das war ein bisschen, glaub ich, Teil des Problems, dass ich die Frauen um mich rum in meiner Jugend nicht ernst nehmen konnte. Da waren einfach null role models dabei. Würde ich im Nachhinein immer noch so sagen.

H: In der Schule war das bei mir anders. Ich hatte eine Philosophie- und Kunstlehrerin, die fand ich wirklich super. Dann gab’s eine andere Frau, die ein offenes Atelier hatte, in das ich immer zum Malen ging, die fand ich auch toll, aber das war’s wahrscheinlich schon. Ja, das war’s eigentlich. Ich war auch viel am Theater, da habe ich vor allem schwule Männer bewundert. Wie deren Feminismus oder Antifeminismus aussah, weiß ich aber nicht mehr.

K: Ich hab dann zwanzig Jahre lang mit der Empirie argumentiert. Ich kannte einfach keine zurechnungsfähigen Frauen, und deshalb war ich der Meinung, dass es die auch nicht gibt. Die Männer, die ich kannte, die waren immer mit Frauen zusammen, die ich langweilig, seltsam, esoterisch fand, mit denen ich nichts zu tun haben wollte.

H: Ja, aber das muss man sich ja auch mal fragen, woran das liegt …

K: Ja! Inzwischen frag ich mich das, aber damals war dieses Empirieargument jedenfalls nicht vollständig an den Haaren herbeigezogen. Ich hab mir sicher meine Welt so eingerichtet, dass sie diese vernünftigen Frauen nicht enthalten hat. Aber sie waren dann halt auch wirklich nicht da.

H: Ja, das war bei mir genauso. Und gleichzeitig war es auch so, dass die Männer, oder eher Jungs, die stattdessen in meiner Vierzehn-bis-Zwanzigjährigen-Welt enthalten waren, sich nicht für mich interessiert haben. Meine Versuche, ihnen ähnlich zu werden, um ihnen zu gefallen, haben schlecht funktioniert: Niemand wollte mit mir zusammensein, obwohl ich mir in Spekulation darauf noch schnell Tocotronic-Fantum beigebracht habe, zu einer Zeit, als ich lieber Ella Fitzgerald hören wollte. Sie waren dann mit Frauen zusammen, die ich doof fand. Oder teilweise auch nicht. Manchmal sind sie auch mit meinen Freundinnen zusammengekommen, die ich natürlich mochte.

K: Ich kann mich da nicht beschweren, ich war immer mit den Männern zusammen, mit denen ich zusammen sein wollte. Aber vorher und nachher hatten sie dann halt wieder irgendwelche langweiligen Frauen, und wenn man abends weggeht, sind die immer mit dabei und reden über langweiliges Zeug.

H: Ja. Wenn man’s jetzt mal umdreht, würde ich sagen, ist es bei meinen Freundinnen auch nicht besser. Die hatten teilweise eine ähnlich ungünstige Partnerwahl wie ich, aber viele andere waren und sind auch immer noch mit Männern zusammen, die total nett sind und völlig in Ordnung, aber halt auch für mich recht uninteressant … ist aber auch besser so.

K: Das erklärt es viel einfacher. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Person, mit der man freiwillig abends weggeht, zufällig mit jemandem zusammen ist, den man auch interessant findet, ist einfach sehr gering, in beide Richtungen … Die Freundinnen der Freunde konnten also nichts dafür … Vielleicht lag es an Katharina Rutschky? Ich bin mit 21 nach Berlin gekommen, bis dahin eben role-model-los, und habe dann gleich Frau Rutschky kennengelernt. Die war ja gegen den Feminismus und hatte dafür auch Gründe und ganze Bücher drüber geschrieben. So ein Leben wollte ich natürlich sofort auch führen. Erst mal habe ich vermutlich die Argumente von Frau Rutschky einfach übernommen – wobei ich heute nicht mehr sagen könnte, welche das waren. Und ein paar Jahre später hatte ich dann eigene Argumente, als mir klarer wurde, was viele Feministinnen für ein Problem mit sexueller Selbstbestimmung haben, oder vielleicht mit Sexualität generell. Das merkt man im Zusammenhang mit BDSM sehr schnell, jedenfalls war es in den 1990er Jahren noch so, dass es eine klare Front von Feministinnen gegen BDSM gab. Weil man sich die Männer da nur gewalttätig und die Frauen nur unterdrückt vorstellen konnte, oder gleich die gesamte Sexualität nur geprägt und zerstört durch “Gewaltpornografie”. Oder selbst wenn es nicht so sein sollte, dann ist der Vorwurf, dass man durch dieses schlechte Vorbild aufs Konto der Frauenunterdrückung und der rape culture einzahlt, dass man reale Gewaltverhältnisse verharmlost. Das hat eine längere Tradition, da gibt es sehr unerfreuliche Literatur dazu. Und diese Kampagnen gegen Pornografie haben ja, glaube ich, bis heute nicht aufgehört. Oder vielleicht doch, ich verfolge das nicht mehr so. Den Ärger darüber hält man nur aus, wenn man hochmotiviert ist, und das bin ich nicht mehr. Naja, jedenfalls habe ich dann mit diesen Begründungen selbst ein oder zwei Artikel darüber geschrieben, “Warum ich keine Feministin bin”. Da haben sich dann vermutlich auch wieder irgendwelche Redakteure gefreut. Und ich war da schon Anfang dreißig …

Oder vielleicht hat sich mein Verhältnis zum Feminismus auch noch früher abgekühlt, nämlich als ich mit siebzehn mit einer Freundin zum “10 Jahre Emma”-Jubiläum nach Köln getrampt bin und noch in der gleichen Nacht, nach der Party, wieder zurück. Wir standen da an einer Tankstelle und fragten zwei Frauen in einem Auto mit “Frauen nehmen Frauen mit”-Aufkleber, die womöglich sogar von derselben Party kamen, ob sie uns mitnehmen. Rate, ob sie uns mitgenommen haben! Vielleicht bin ich einfach nur nachtragend wie ein Elefant. Ach, und natürlich ist es alles aufgeflogen, weil die Nachbarin uns beide an der Autobahnauffahrt gesehen und das meiner Mutter erzählt hat. So viel zur Solidarität unter Frauen. Man hat ja nichts davon, wenn sie sich mit den falschen Frauen solidarisch zeigen.

H: Dabei wolltest du nur zur Emma-Party, was man loben sollte, das wollten vermutlich immer schon nicht so viele.

K: Und wie mühsam es war, da hinzugelangen aus Deggendorf und ohne Geld!

H: Aber wirklich!

K: Unter anderem hat uns ein Mann mitgenommen, der einen kurzen Zwischenstopp in seiner Wohnung machen wollte und sich umziehen, wir könnten aber ruhig mit hochkommen und so lange seine Plattensammlung anschauen. Wir sind mit hochgekommen. Wir haben seine Plattensammlung angeschaut. Und dann sind wir weitergefahren. Einer von vielen Gründen, warum ich bei #metoo immer #aberichnicht rufen wollte.

H: Das ist halt leider ein bißchen eine Umformulierung von #notallmen, gewendet auf deine Erfahrung. Ich finde das aber einen interessanten Punkt – denn es geht ja auch bei #metoo darum, Leute dazu zu ermutigen, zu ihren Erfahrungen zu stehen, und diese dann ernst zu nehmen. Natürlich ist auch dein #aberichnicht ernstzunehmen. Dann fängt nur die Diskussion eigentlich erst an, wie kommt es dazu, wer welche Erfahrungen macht – also: warum konnte es dazu kommen, dass du dich an keinen #metoo-Moment in deinem Leben erinnerst. Geht mir übrigens ganz anders.

K: Ich erinnere mich schon an einige. Im ersten Ärger über #aufschrei, also 2013, habe ich gesagt “an keinen einzigen”, aber dann sind sie mir doch zügig eingefallen. Es war nur nicht so, dass ich mich als Opfer gefühlt habe. Ich fand die betreffenden Männer ungeschickt, aber Einsamkeit und Ungeschick sind keine Verbrechen, dachte ich. Das sehe ich eigentlich auch nach wie vor so, ich sehe nur inzwischen auch, dass andere Frauen eben ganz andere Geschichten zu erzählen haben. Und das wollte ich früher einfach nicht gelten lassen, ich dachte, wahrscheinlich sind das bei den anderen auch nur solche Kleinigkeiten, und sie stellen sich deshalb nur mehr an als ich. Mir ist erst durch Twitter klar geworden, dass ich bei dem Thema die Geisterfahrerin auf der Autobahn war und nicht die anderen. Ich habe bei Twitter mal über diesen Dazulernprozess zwischen 2013 und 2018 geschrieben. [6. twitter.com/kathrinpassig/status/1022752156804427776] Der Abschlusstweet lautete: “Das alles führt nicht unbedingt dazu, dass ich bei solchen Themen jetzt etwas anderes sage als früher. Der Haupteffekt ist der, dass ich öfter als früher gar nichts sage.” Das war im Juli 2018. Inzwischen sage ich auch gelegentlich mal was dazu … Ich glaube, man muss bei dem Text nur aufpassen, dass er nicht so eine “Vom Saulus zum Paulus”-Wendung nimmt, bei der man dann am Ende geläutert und jetzt aber doch endlich superschlau rauskommt.

H: Würde mir schwerfallen. Weil ich eben merke, dass es nicht so ist. Ich bin immer noch irgendwo unterwegs zwischen den beiden Typen.

K: Dann ist ja gut. Bei mir genauso. Ich ertappe mich ständig dabei, wenn ich was über eine Frau lese, die irgendwas Historisches geleistet hat und von der ich noch nie gehört habe, dass ich dann sofort den Reflex habe: “Ja klar, die habt ihr jetzt mühsam rausgesucht, damit auch eine Frau erwähnt wird, was wird die schon geleistet haben, gar nichts wahrscheinlich.” Ich weiß jetzt, dass dieser Reflex Blödsinn ist und wodurch er entsteht, aber meine erste Reaktion sieht halt immer noch oft so aus. Ich finde das übrigens auch hilfreich, diesen Zustand zwischen zwei Meinungen. Ich kann leicht nachvollziehen, warum und wie Leute so denken und wie die Argumentation drumherum aussieht, weil ich bis vor ein paar Jahren genauso gedacht habe. Und Jahre ist noch großzügig, bei manchen Themen sind es nur Monate. Oder Wochen.

H: Es kann aber auch sein, dass die Leute, die auf eine Art argumentieren, die du von dir kennst und mittlerweile als falsch einsortierst, auch wissen, dass es Banane ist, beispielsweise Frauen in Technikgeschichte immer nur als Token zu betrachten. Vielleicht behaupten aber manche dann trotzdem, dass es so ist, weil dieses Rausposaunen des Falschen bei ihnen irgendein Ressentiment befriedigt. Ich meine nur, Bescheidwissen hilft oft nicht weiter. Ich weiß insgesamt nicht, wie viel an meiner Einstellungsänderung zum historischen Moment von MeToo und so gehört, oder ob ich einfach älter werde.

K: Das wüsste ich auch gern. Ob das meine Hormone … gut, das kann bei dir jetzt noch nicht sein, aber bei mir liegt der Verdacht halt nahe – ob es die Hormone sind oder ob es Twitter war. Wir müssten vielleicht noch mal jemanden ausfindig machen, irgendeine Frau, die erst Ende 20 ist und die gleiche Geschichte erzählen kann. Man könnte es mal bei Ronja von Rönne versuchen, vielleicht hat sie inzwischen ihre Ansichten geändert.

H: Bitte nicht.

K: Aber das ist doch jetzt alles [7. Es geht um den Text “Warum mich der Feminismus anekelt”, in: Die Welt, 8. April 2015.] schon wieder fünf Jahre her. Man müsste einfach nur mal nachschauen, wer wieder antifeministische Girlie-Artikel geschrieben hat in den letzten paar Jahren, und dann eine zu finden versuchen, die jetzt noch nicht dreißig ist. Und dann fragen wir die. Nur um die Hormonhypothese auszuschließen.

H: Ja gut, aber ich meine …

K: Ich fühl mich auch schlecht dabei. Ich war bei dieser Anhörung bei den Grünen letzte Woche und hab mich da zu Wort gemeldet, um lauter so Frauendinge zu sagen, und ich war eh schon eine von ganz wenigen Frauen da. Ich wollte nie in dieser Rolle sein, und ich fühl mich immer noch nicht wohl darin. Es ging um Künstliche Intelligenz in Musik und Kunst, und ich hab halt gesagt, dass die Tatsache, dass da gerade bei den Grünen bei so einer Anhörung wirklich sehr wenige Frauen anwesend sind,  auf ein grundsätzliches Problem hindeutet. Wenn man sagt: Wir wollen ausdrücklich was fördern, was nur ganz wenige Leute können, und die sind rein zufällig alles Männer. Und in dem Moment, wo andere auch damit anfangen, das zu nutzen, ist es schon aus unserem Fokus gewandert, dann nennen wir es nicht mehr KI, sondern dann ist es bloß noch irgendeine App und interessiert uns nicht mehr. Das ist einfach ein grundsätzliches Problem dieser ganzen KI-Veranstaltungen. Glaub nicht, dass ich mich verständlich gemacht habe. Aber ich find es auch nicht richtig, dass ich das machen musste. Ich fand es früher schon doof, wenn irgendwo eine Frau dabei ist, dass die dann immer nur über Frauenangelegenheiten reden muss, und jetzt bin ich das auch noch. Das gefällt mir noch weniger.

H: Ja, geht mir auch so. Es ist aber auch so, dass ich das jetzt quasi zum ersten Mal mache und das dann teilweise auch als Kompensation betrachte für Momente, in denen ich die Klappe gehalten oder mich opportunistisch auf die Männerseite geschlagen habe.

K: Ja, das geht mir auch so.

H: Und andererseits macht’s mir jetzt teilweise auch Spaß. Weil ich mich das früher nicht getraut hätte. Auf irgendwelchen Panels anzusprechen, dass sie absolut homogen besetzt sind zum Beispiel. Ich merke schon, dass, wenn ich anfange, davon zu reden, einige Leute unmittelbar genervt sind von dem Thema, weil sie meinen, dass es sachfremd ist. Oder bestenfalls „soziologisch“. Bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion an dem Institut, an dem ich arbeite, habe ich die Diversity-Frage neulich zum Ende hin angesprochen. Zwei Männer um die 70 fingen sofort an, von der Seite reinzumoppern, weil die das offensichtlich nervig fanden. Ich hab hinterher zu meiner Chefin gesagt, dass ich wüsste, dass ich in dem Zusammenhang zu lange geredet hätte, aber dass das Absicht war, weil der Raum für diese Themen eben eingenommen werden muss, weil sonst die Mopperer immer weiterreden, und dass ich das so lange machen würde, bis man das halt nicht mehr machen muss. Die Frage ist, ob man diesen Punkt dann auch bemerkt. Meine Angst ist, dass man den leicht verpasst. Man denkt, man sei immer noch bei der Sache, man kämpfe jetzt endlich doch mal für Gerechtigkeit, und dann….

K: Ich glaube, niemand lässt sich gern auch nur andeutungshalber sagen, dass er sein Leben irgendwie verkehrt führt.

H: Das hab ich da ja nicht mal gesagt.

K: Ja, aber indirekt sagt man das. Ich war auch überrascht, als ich im Techniktagebuch-Redaktionschat erwähnt habe, dass ich 2019 versucht habe, zum Ausgleich für die Jahre davor möglichst viele Bücher von Frauen zu lesen. Es gab gleich so unbehagliche und kritische Kommentare von Männern: „Also, ich lese Bücher, ohne drauf zu achten, ob die von Männern oder von Frauen sind!“

H: Und zufällig sind die Bücher dann alle von Männern.

K: Genau, so ist es. Also nicht alle, aber drei Viertel oder so. Ich versteh auch diese latente Aggression, die dann aufkommt. Das ist gar nicht frauenthemenspezifisch. Das gilt für jedes Thema, wo man jemandem den Eindruck vermittelt, dass er in seinem Leben was falsch macht. Flugscham, egal was. Es fühlt sich ja nicht falsch an. Ich glaube, daraus entspringt auch immer diese sofortige Abwehr. Man denkt doch immer, ja ich, ich kann ja nicht gemeint sein mit dieser Kritik, ich netter und anständiger Mensch. Ich mache doch immer alles richtig! Und dass diese Kritik trotzdem geübt wird, zeigt, dass die Kritikerin Unrecht haben muss und nicht, dass ich was falsch mache.

H: Ja, das kann man ja auch auf andere Themen ausdehnen und die Geschlechterfrage verlassen. Mir geht’s oft so, wenn es um Rassismus geht. Ich habe lange gedacht, ja, da bin ich tippitoppi aufgeklärt, außerdem superemanzipiert, Gerechtigkeit für alle …

K: Und farbenblind bestimmt auch!

H: Ja, „das fällt mir überhaupt nicht auf“. Aber natürlich hab ich ein großes Problem auch an der Stelle, angeblich farbenblind zu sein ist halt ein Weißes Privileg …

K: Bei dem Thema kann es doch aber nicht an den Hormonen gelegen haben. Da muss es Twitter gewesen sein, oder?

H: Das ist Twitter, ja. Würde ich an der Stelle bei mir ganz klar sagen. Ich hätte das vor ein paar Jahren nicht so gesagt, aber ich würde es jetzt sagen, dass das hier eine in vielen Teilen rassistische Gesellschaft ist und dass man auch trotz sehr großen Mühen daraus nicht austreten kann, und schon gar nicht, wenn man sich so schlecht informiert. Es ist nach wie vor sehr unschön zu lernen, dass gerade das gutgemeinte „ich sehe keine Hautfarben“ und so weiter auch ein Problem ist, und dass man wirklich dringend Leuten zuhören muss, die davon betroffen sind. Und man selbst muss dann dringend die Klappe halten. Das hab ich halt zum ersten Mal wirklich auf Twitter erlebt, und ich bin da sehr froh drüber. Und auch beschämt natürlich. Zu Recht.

K: Ja, man hätte die Leute ja eigentlich auch vorher schon kennen können.

H: Ja, aber wie? Man ist ja teilweise so … ich merk das auch bei uns am Institut, da arbeiten zwar Leute mit Migrationshintergrund, aber es gibt keine people of color. Null.

K: An der Kunsthochschule in Zürich ja schon, aber die putzen alle und machen die Cafeteria und so. Lilienweiße Kunststudierende, und das Personal ist überwiegend schwarz. [8. Ergänzung von Franziska Nyffenegger, Dozentin an der ZHdK: “Ist zwar immer noch so, hat sich aber in den letzten beiden Jahren auch deutlich geändert, auf Studierendenseite. Ich empfinde meine Kurse als zunehmend divers, in jeder Hinsicht. (Z.B. erstmals eine Frau im Kopftuch im letzten Herbstsemester und auf Masterstufe mehrere PoC.)”]

H: Ja, ist bei uns ähnlich.

K: Ich weiß auch nicht so genau. Ich würde jetzt auch sagen, ja, wie? Ich weiß nicht, wie das hätte gehen sollen, weil ich es schon schwer genug finde, Leute kennenzulernen, die genauso sind wie ich, und wenn die anders sind, dann wird das ja nicht leichter. Aber ich vermute, das ist wieder ein genauso schlechtes Argument wie „in meinem Freundeskreis gibt’s halt keine zurechnungsfähigen Frauen“.

H: Ja, verlangt ist, auf eine ziemlich frontale Art aus seinen eigenen Kreisen rauszugehen und andere gezielt aufzusuchen. Anders klappt das jedenfalls wahrscheinlich nicht. Und da weiß ich auch nicht, wie das gehen sollte. Ich war 2018 bei einer Thanksgiving-Party bei Amerikanisten in Berlin eingeladen, bei der ich zum ersten Mal in diesem Milieu einer Gruppe mit lauter bi-racial Paaren war. Ich fand es ziemlich ätzend, mich selbst dabei zu beobachten, wie es mir so stark auffiel. Man kann dann halt nicht mehr ignorieren, wie homogen das eigene Milieu gestrickt ist, und ich weiß auch nicht genau, wie man das ändern kann.

Es ist auf jeden Fall so, um drauf zurückzukommen, dass ich zwar auf Twitter extrem viel gelernt habe in dieser Hinsicht und auch weiterhin lerne. Die Einsicht, dass ich wirklich sehr lange sehr viel überhaupt nicht mitgeschnitten hab und mich auch um nichts gekümmert habe, weil ich überhaupt nicht wusste, dass ich das hätte machen sollen oder können oder wie, ist bitter. Ich lese nur wenig von anderen darüber. Und das bezieht sich eben auch auf feministische Themen, ich habe oft den Eindruck, dass viele so reden, als ob sie da immer schon gut Bescheid wussten. Es gab mal so einen Austausch zwischen Christina Dongowski und Berit Glanz, [9. Die Erinnerung ist nicht akkurat. Dort steht aber zumindest: „Das war für mich wirklich eine Schlüsselerkenntnis, einfach aufzuhören andere Frauen zu bewerten und zu beurteilen, als ob ich mich ständig in Konkurrenz zu ihnen sehen müsste. Wunderbar seitdem.“ Weiteres nachzulesen unter: twitter.com/TiniDo/status/1161183649053716488.] in dem sie sagten, dass man in so einer ganz anderen Welt lebt, wenn man anerkennt, dass keine andere Frau eine Konkurrenz für einen ist und dass ja alle Schwestern sind so ungefähr und dass dadurch sich alles ganz anders regelt. Mich macht so was alle, nicht nur, weil ich mir extrem dumm vorkomme, ich will halt auch diese Schwestern-Sache zum Beispiel nicht unbedingt… Also ich weiß, dass du das teilweise auch so erlebst – ich frag mich, haben denn nicht mehr Leute irgendwie so gemischte Gefühle oder gemischte Zustände oder so?

K: Das, was du jetzt beschreibst, das ist mir so noch nicht aufgefallen, aber ich hab gerade eine Anfrage von Marcus Gärtner gekriegt, ob wir gemeinsam ein Buch übersetzen wollen, was ich sehr gerne tun würde, weil das großen Spaß macht mit ihm …

H: Das ist der Lektor von Wolfgang Herrndorf, oder?

K: Ja. Das Buch spielt auch noch bei Aleks in Schottland hinterm Haus. Die Orte, an denen das Buch spielt, kann man von Aleks’ Küchentreppe aus alle sehen. Deshalb hätte ich’s auch sehr gerne gemacht. Aber es ist auch so ein Buch, in dem es darum geht, dass Frauen seit Jahrhunderten von Männern übel mitgespielt wird – was okay wäre –, aber in der zweiten Hälfte des Buchs werden dann explizit von den Protagonistinnen Vorträge darüber gehalten, dass es so ja nicht geht. Dann taucht auch noch eine Hexe auf, die sich selbst als Hexe bezeichnet, und durch deren segensreiches Wirken wird am Ende alles so was Ähnliches wie gut, aber erst müssen sie noch gemeinsam in der Küche sitzen und stundenlang Lieder an Pan und Diana singen. Ich hab dann gesagt, also ich würde sehr gern mit dir ein Buch übersetzen, es tut mir schrecklich leid, aber es geht einfach nicht.

H: Das ist ein ästhetisches Problem!

K: Nee, ich glaube, nicht nur ästhetisch. Also, ich hatte schon mehrmals in die Mail „Feminismuskitsch“ reingeschrieben und es dann wieder rausgelöscht, weil ich mich in Klagenfurt auch immer beschwere, wenn Leute Kitsch sagen. Das kann ja alles und nichts heißen. Aber es ist nicht nur ästhetisch. Mich stört schon auch dieser Gedanke „ja, wenn wir nur alle einsehen, dass wir Schwestern sind, dann wird alles gut.“

H: Das ist allein schon deshalb problematisch, wenn man nur mal das Verhältnis von meiner Schwester und mir anguckt …

K: Oder von meiner Schwester und mir …

H: … das ist jetzt nicht unbedingt jederzeit ein Zustand größter Harmonie und schönsten Einvernehmens, aber das ist noch mal ein anderes Thema.

K: Vielleicht aber auch nicht. Ich glaube, ein großer Teil meines Frauenproblems sind meine Schwester und meine Mutter. Meine Schwester einfach, weil sie vier Jahre jünger ist als ich und deshalb immer ein bisschen doofer war als ich. Ich dachte damals, das liegt an ihrem Charakter und nicht daran, dass sie einfach jünger ist. Und meine Mutter ist an Sachthemen extrem desinteressiert. In manchen Sachen ist sie sehr gut, aber das gehört nicht dazu. Und ich vermute, dass das dazu beigetragen hat, also diese beiden Beispiele in der unmittelbaren Familie, dass ich auf die Idee gekommen bin: So ist das halt mit den Frauen. So sind die halt.

H: Es ist auf jeden Fall schwierig, wenn man keine Mutter hat, die man unabhängig von der Mutterrolle irgendwie konturieren kann, ich kenne aber auch kaum Leute, bei denen das der Fall ist. Ich habe den Eindruck, dass es auch in den späten 80ern, als ich Kind war, immer noch eine starke Sexualitätsangst in den meisten Familien gab, die vieles von dem, was auch als weiblich oder mit Frau identifiziert werden konnte und für das ich mich interessiert habe, plattgemacht hat. Das war sicherlich auch nicht hilfreich. Ein anderes Problem ist, dass meine Mutter im Prinzip bei uns zu Hause die meiste Hausarbeit so gut wie allein gemacht hat, obwohl sie Vollzeit gearbeitet hat. Und was ich sicherlich schon verstanden hab, ist, dass Reproduktionsarbeit hauptsächlich von Frauen gemacht wird. Das fand ich total unattraktiv, weil mich ganz andere Dinge interessiert haben und ich deshalb dachte, ja, es sind halt diese Doofen, warum machen die das denn? Das ist ja absolut bescheuert, warum sollte man das so machen und sich nicht wehren? Jedenfalls war ich, glaube ich, früher nicht bereit, zu sehen, dass das bei den allermeisten Frauen durchaus nicht aus reiner Freiwilligkeit und Freude passiert, sondern Ergebnis von sehr komplizierten Zwangslagen ist.

K: Ich hab auf einer Veranstaltung gerade so was Ähnliches gesagt in einer kleinen Diskussionsrunde. Also, dass bei Twitter halt lauter Leute sind, über die ich vorher gar nichts wusste, und ich hab diverse Beispiele genannt. Und neben mir saß jemand, der meinte, dafür braucht man doch kein Twitter, da hätte ich nur die taz lesen müssen. Und ich hab gesagt: Ja, aber da muss man halt erst mal beschließen, dass man jetzt jemand ist, der die taz abonniert. Während ich bei Twitter gar nichts beschließen musste. Da ist das ganz von allein passiert.

H: Ich find das jetzt ehrlich gesagt auch keine so günstige Lösung. Ich meine, wenn man nur die taz liest …

K: Die schließt halt wieder eine ganze Menge andere Stimmen aus.

H: Ja, eben. Es ist doch so, dass es da auch eine bestimmte Art von Einvernehmen gibt. Für mich ist an Twitter das Interessante, dass ich ständig überhaupt kein Einvernehmen damit hab, was da so passiert. Es gibt auch Sachen, die nerven mich. Ich hab jetzt schon zum zweiten Mal @habibitus entfolgt.

K: Wen?

H: @habibitus. Das ist eine Autorin, die auch bei „Eure Heimat ist unser Albtraum“ dabei war. [10. Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah (Hg.): Eure Heimat ist unser Alptraum. Berlin: Ullstein, 2019. „Dieses Buch ist ein Manifest gegen Heimat – einem völkisch verklärten Konzept, gegen dessen Normalisierung sich 14 deutschsprachige Autor_innen wehren. Zum einjährigen Bestehen des sogenannten „Heimatministeriums“ sammeln Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah schonungslose Perspektiven auf eine rassistische und antisemitische Gesellschaft.“ www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/eure-heimat-ist-unser-albtraum-9783961010363.html] Ich glaub, ich hab sie gestern entfolgt, weil schon wieder diese „Almans sind Abfall“-Sache [11. “Almans sind Abfall” ist ein auf Twitter geläufiges Meme.] kam und ich dachte „ja, nee, ich schaff das gerade nicht“.

K: (schaut bei Twitter nach) Guter Tipp! Glaub ich.

H: Ja, es ist auch manchmal ganz lustig.

K: Ich probier’s mal. Trotz deiner Warnung. (Folgt @habibitus)

H: Ja, auf jeden Fall leg ich eigentlich Wert darauf, da auf eine bestimmte Art genervt zu werden. Oder zumindest dazu gebracht zu werden, mir Fragen zu stellen … Das ist dann aber halt immer mal wieder die Frage: „Geht’s noch?“ Ich muss mich vor allem bei Familientweets von Leuten disziplinieren, die sich beschweren, wie schlimm anstrengend es mit den Kindern ist. Ich neige dann zu: Ja, aber du hast dir Kinder angeschafft! Was denkst du! Was hast du gedacht!

K: Aber das ist bei den Problemen mit Universitätsstellen ja auch kein Argument, zu sagen: Ihr habt euch diesen Job ausgesucht! Was jammert ihr da jetzt rum, ihr wusstet genau, dass dieser Job so ist!

H: Es ist natürlich ein beschissenes Argument. Ich kritisiere es an mir selbst. Beschweren darf und soll man sich auch über Dinge, die man sich ausgesucht hat. Mich hat auch Sara Ahmeds „Feminist Killjoy“-Ansatz [12. www.saranahmed.com/complaint] überzeugt, dass Beschweren eine feministische Praxis ist, und die Beschwerde über die Beschwerde eine Machttechnik, die Kritik plattmachen soll. Natürlich kann es auch in der größten Wunscherfüllung zu Bedingungen kommen, die unerträglich sind, Ungerechtigkeiten finden ja auch dann statt.

K: Mich hat das Kinderkriegen zum Glück so vom Konzept her nie interessiert. Ich habe das nie reizvoll gefunden, auch schon als Kind nicht. Ich seh das jetzt bei meinen Nichten, die zum Teil richtig babybegeistert sind, das war mir immer komplett fremd.

H: Ich war immer babybegeistert. Ich fand Babys immer super.

K: Ist mir bis heute schleierhaft. Ich bin überhaupt nicht mehr so kinderkriegefeindlich, wie ich mal war – wenn noch mal zwanzig Jahre vergehen, würde ich wahrscheinlich auch welche haben wollen. Aber dass man das so aktiv gut findet, das ist mir nie so gegangen. Das hat vielleicht auch wieder mit meiner Schwester zu tun, weil ich ihr Babysein extrem doof fand. Schon den Geruch, alles!

H: Echt? Das finden ja viele Leute an Babys am tollsten.

K: Uah, nee.

H: (erzählt die Handlung von Roald Dahls „Hexen hexen“ nach, für die Hexen in diesem Buch riechen Kinder nach Hundekot[13. Wikipedia vermerkt über Hexen Hexen: “One critic considers it an ‘unlikely source of inspiration for feminists.’” Das könnte mit der misogynen Grundanlage des Buchs zu tun haben.])

Im Folgenden geht es nur noch um Roald Dahl und dann endet die Aufnahme.

 

Drei – 2020: Es wird noch eine Weile so weitergehen

K: Ich habe vor ein paar Tagen zusammen mit anderen Leuten mit einem Mann am Tisch gesessen, der im ganzen Gespräch immer nur nach so Alte-Männer-Aufregethemen gefischt hat. Dabei war er nicht älter als ich, also naja, auch schon fünfzig, aber meiner Meinung nach ist das nicht alt genug für so eine Vergreisung. Er hat die ganze Zeit darauf gewartet, dass eins kommt und sich dann sofort drauf gestürzt. Und ich dachte, dass unser mit dem Alter zunehmender Feminismus eventuell genau dasselbe ist, nämlich die Tendenz, sich in seinen Solidaritäten dem eigenen Geschlecht zuzuwenden. Das bedeutet bei den Männern vielleicht, dass man anfangen muss, so frauenfeindliches Zeugs zu reden, nicht so sehr aus Frauenfeindlichkeit, sondern aus Verbrüderungsbedürfnis mit den eigenen Leuten.

H: Hab ich jetzt gar nicht so ganz verstanden. Also du meinst, dass man zunehmend misogyn redet, weil dadurch die Möglichkeit besteht …

K: Weil es weniger unmittelbar notwendig erscheint als jetzt meinetwegen mit zwanzig oder mit dreißig, sich beim jeweils anderen Geschlecht beliebt zu machen.

H: Ach so, ok, verstehe. Ja, das könnte sein. Allerdings habe ich gestern mit einer Freundin darüber geredet, dass wir so zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig verschiedene Typen kannten, bei denen es uns von heute aus gesehen unglaublich vorkommt, was die so ganz normal mitgeteilt haben. Und dass wir nichts dazu gesagt haben, weil es uns eben ganz normal vorkam. Also, ich hatte nicht den Eindruck, dass sich bei mir mal Männer beliebt machen wollten, indem sie freundlich über Frauen geredet haben, im Gegenteil. Ich hab eher den Eindruck, dass es zugenommen hat, dass Leute sich Mühe geben. Dass sie zumindest versuchen zu vermeiden, den allergrößten Schrott abzusondern.

K: Ja, ok. Stimmt. Du hast Recht.

H: Ich finde gerade diese Sache auch extrem schwer über eine längere Dauer von zwanzig oder dreißig Jahren – ok, dreißig ergibt in meinem Fall überhaupt keinen Sinn – zu betrachten, weil sich die Umstände die ganze Zeit so stark ändern, dass man ein Verhalten von vor zwanzig Jahren gar nicht sinnvoll mit einem Verhalten von heute vergleichen kann … Ich meine, das ist wirklich eine interessante Frage: Wie kann man die Veränderung der eigenen Einstellung überhaupt beschreiben und beobachten über einen längeren Zeitraum?

K: Wie meinst du das mit den veränderten Umständen? Dass vor zwanzig Jahren alle viel misogyner waren als jetzt und man an das Verhalten von damals deshalb keine Maßstäbe von heute anlegen kann?

H: Ja, so ungefähr – wobei das zu allgemein formuliert ist. Ich weiß natürlich nicht, ob alle misogyner waren, ich weiß nicht mal, ob das für alle gilt, die ich kenne. Und ich kann auch nicht von mir auf andere schließen – beziehungsweise kann ich das schon, aber das kommt mir falsch vor. Man vergisst viel und weiß auch oft nicht genau genug Bescheid, wie aufgeklärt bestimmte Leute zu bestimmten Zeiten eben wirklich waren. Neulich habe ich eine Commencement Address [14. www.youtube.com/watch?v=DVCfFBlKpN8.] von Nora Ephron aus dem Jahr 1996 gesehen, in der sie sehr deutlich die Misogynie beschrieben hat, die sie zunächst ahnungslos in ihrer Collegezeit in den 1960er Jahren erlebt hat – 1996 ist jetzt 24 Jahre her, 1960 liegt 60 Jahre zurück. Vielleicht geht diese Entdeckung von Misogynie und Feminismus jede Generation einfach wieder neu los, nur dass die Startblöcke dafür jedes Mal ein bisschen weiter nach vorn verschoben sind. Oder so.