„Das Buch heißt Männerphantasien und es ruft ja geradezu danach, dass eine Frau darüber schreibt.“
.Gespräch mit Gisela Stelly Augstein über Klaus Theweleits Männerphantasien
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Philipp Goll: Sie haben 1977 die erste Rezension über Männerphantasien von Klaus Theweleit in der Wochenzeitung Die Zeit geschrieben. Bis heute wird aber immer nur die Rezension Ihres Mannes Rudolf Augstein aus dem Spiegel zitiert. Ich habe in meinen Nachforschungen zur Rezeptionsgeschichte von Männerphantasien gehört, Sie hätten Ihren Mann überhaupt erst auf das Buch aufmerksam gemacht. Es heißt, Sie hätten das Buch von dem ehemaligen Zeit- und konkret-Journalisten, Musikproduzenten und damaligen Herausgeber der Zeitschrift Die Republik Uwe Nettelbeck bekommen und dann auf den Nachttisch Ihres Mannes gelegt. Und nur so sei es zu der achtseitigen Besprechung des Buchs im Spiegel gekommen, in der das Buch als „die vielleicht aufregendste deutschsprachige Publikation dieses Jahres“ bezeichnet wird, und die zum Kultstatus von Männerphantasien sicherlich beitrug. Ist da was dran?
Gisela Stelly Augstein: Diese Geschichte würde ich differenzierter erzählen.
G: Wie denn?
S: Also, wir waren wieder einmal bei einem unserer Freundschaftsabende bei den Nettelbecks, bei Petra und Uwe Nettelbeck in Luhmühlen. Und da hat Uwe dem Rudolf Männerphantasien sozusagen in die Hand gedrückt. Sicherlich gab Uwe Rudolf das Buch mit der Idee, dass es im Spiegel besprochen wird. Und sicher auch mit der Idee, dass Rudolf es bespricht.
G: Dann geht diese seitenlange Rezension Rudolf Augsteins im Spiegel also auf Uwe Nettelbeck zurück?
S: Es war so, dass Rudolf sich das Buch gar nicht angeschaut hat, das lag einfach so rum. Ich habe es immer aus dem Augenwinkel auf seinem Nachttisch liegen sehen. Er wollte sich das wohl irgendwann mal angucken. Aber es passierte nichts. Und dann habe ich es mir genommen.
G: Und dann?
S: Ich habe darin rumgeblättert und gedacht, oh Gott!, das ist ja genau das, was mich seit Jahren bewegt, nämlich die Frage, wie ist die Gewalt des Faschismus zu erklären, die für mich so undurchschaubar schien, weil das Thema immer auf einer Politikerebene behandelt wurde, so wie das eben Joachim Fest oder so Leute gemacht haben. Theweleit analysiert ja die Literatur der Freikorpssoldaten der 1920er Jahre sowie Texte und Bilder auch aus dem Nationalsozialismus und entwirft eine Art Kulturgeschichte männlicher Gewalt. Überhaupt die Bilder in Männerphantasien. Das war herausragend! Mir fiel sofort ins Auge, dass das etwas ganz anderes war, als man so kannte als Buch damals. Theweleit hat mit dem Buch tatsächlich etwas Verborgenes sichtbar gemacht.
G: Wie meinen Sie das?
S: Mir ist es beim Lesen so gegangen, dass ich einerseits viel über Männer, vor allem eben über die Gewaltphantasien der Männer gelernt habe. Es leuchteten bei der Lektüre dann hinter diesen Männern aber plötzlich Frauen auf. Das war ungewöhnlich für mich. Diese Präsenz der Frau war mir zu dem Zeitpunkt damals überhaupt nicht bewusst. Ich habe das beim Lesen als eine Art Überblendung erfahren. Ich habe Theweleits Schreiben zwar nicht unbedingt als filmisch empfunden, aber bei mir als Leserin ergab sich dieser Effekt, dass hinter der männlichen Schöpfung das verdrängte ausgeschlossene Weibliche zum Vorschein kam.
G: Ah ja. Und dann haben Sie der Zeit vor lauter Begeisterung eine Rezension angeboten?
S: Ich habe das Buch gar nicht erst ganz durchgelesen, sondern bin sofort zum Telefon und habe Rolf Michaelis von der Zeit angerufen. Ich habe ihm gesagt, da gibt es ein Buch, Männerphantasien, das würde ich sehr gern besprechen. Michaelis sagte daraufhin, dass er das ja auch eine ganz gute Idee findet, wenn ich es besprechen würde, es tut ihm aber wahnsinnig leid, denn es ist schon an den Bazon Brock vergeben. Dann habe ich gesagt, ja, gut, aber das Buch heißt doch Männerphantasien und es ruft ja geradezu danach, dass eine Frau darüber schreibt. Und dann hat er gesagt, hm, ja, da hätte ich eigentlich nicht ganz Unrecht. Dann könnten wir es doch so machen, dass in derselben Ausgabe Bazon Brock als Mann und ich als Frau schreiben.
G: Und darauf sind die dann eingegangen?
S: Ja, obwohl ich ganz, ganz wenig Zeit hatte. Der Text von Brock war schon im Umbruch, und ich musste mich unheimlich beeilen. Ich habe das Buch dann in Windeseile durchgelesen und in einer einzigen Nacht den Text geschrieben, und als ich dann morgens ins Bett wollte, stand mein Mann Rudolf gerade auf, und ich habe ihn gefragt, ob er sich den Text mal anschauen kann. Wenn man die Nacht durchschreibt, kann man das ja nicht mehr so richtig beurteilen. Er las dann den Text und ich habe mich nochmal hingelegt.
G: Und, was hat er gesagt?
S: Er weckte mich dann nach zwei, drei Stunden und sagte, jetzt schreibst du ja schon besser als ich, das geht zu weit! Und dann begann wirklich ein irrer konkurrierender, fast rivalisierender Wettlauf. Das war bei uns hin und wieder so, dass ich über was schrieb, was ihn dann ansprach, und es daraufhin zu einem Wettlauf kam.
G: Er wollte einen besseren Text als Sie über Männerphantasien schreiben?
S: Nee, der war, wenn ich das so salopp sagen darf, so von den Socken wegen meines Textes und hat gesagt, also den besseren Text kann er sowieso nicht schreiben, so gut wie mein Text ist, aber seiner kann vor mir rauskommen (lacht). Er wollte mir sozusagen den Wind aus den Segeln nehmen. Er hat alles darangesetzt, die Rezension noch vor mir im Spiegel rauszubringen. Es hat aber nicht geklappt. Bazon Brock und ich waren die ersten.
G: Und dann hat er einfach einen längeren Artikel geschrieben?
S: Genau. Aber es war wirklich so, dass meine Besprechung, in der ich das Buch so elektrisiert vorgestellt hatte, sein Interesse geweckt hat. Denn das Buch lag ja vorher ziemlich lang unangeguckt herum. Jedenfalls kam es so dazu, dass mit einem Schlag zwei Texte in der Zeit und dann kurz danach noch im Spiegel die Rezension von Rudolf Augstein erschienen. Und hinter dem längsten Text von Rudolf Augstein im Spiegel steht diese doch sehr lustige, sehr private Geschichte. Uwe und Rudolf haben sich später noch oft darüber unterhalten, wie verblüfft sie über meine Besprechung sind. Das haben sie mir nicht zugetraut (lacht). Und trotzdem wurde damals natürlich überall Rudolf Augsteins Rezension zitiert.
G: Wie einflussreich die Rezension war, kann man sehr gut in der 1978 von Klaus Theweleit in Petra und Uwe Nettelbecks Zeitschrift Die Republik veröffentlichtem Zitatcollage „Alles muß man so machen, daß jeder, der es sieht, ausrufen kann, das kann ich auch, alles muß man so machen, daß jeder der es sieht ausrufen kann, das nicht“ nachlesen, in der die gesamte Rezeption dokumentiert und kommentiert ist (siehe Die Republik 18-26, 30.4.1978, hg. v. Petra und Uwe Nettelbeck, S. 464–603). Der Text zeigt, wie die Kritikerinnen und Kritiker sich vor allem gegeneinander lasen und kritisierten statt Theweleits Buch. Und da stand die Rezension Augsteins im Zentrum. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und wenn es heute um Männerphantasien geht, ob Neuauflage oder Buchvorstellung, wird Augstein zitiert.
S: Das ist ja völlig klar, dass jeder Verlag sich mit einer Rezension des bundesweit bekannten Namens Rudolf Augstein, Spiegel-Gründer und Heldenfigur der 1960er Jahre, schmücken möchte. Natürlich hatte der Name Augstein eine ganz andere Wirkungsmacht als meiner. Aber vielleicht war auch der Männerblick Rudolf Augsteins für die männlichen Rezensenten, es waren ja meist männliche, viel verständlicher als meiner.
G: Was war das für ein Männerblick?
S: Der zeigt sich im Bestehen auf einer Theorie, wo eigentlich keine ist. Bazon Brock wollte zum Beispiel ein Theoriesystem wieder in Theweleits Argumentation einziehen. Das nimmt dem Ganzen ja wieder die Dynamik. Deswegen fand ich seine Rezension relativ uninspiriert.
G: Augstein bemängelt in seiner Rezension wiederum das Fehlen von theoretischem Überbau beziehungsweise ganz allgemein eine Leseorientierung. Angesichts der „entgrenzten“ Materialpräsentation und des „Vermischens“ von unterschiedlichsten Ansätzen beschrieb er das Gefühl der „Ohnmacht“ und wünschte sich einen „Fingerzeig“ des Autors.
S: Diese hier als eine Art Flut empfundene Menge von gedanklichen, theoretischen Ansätzen war ja gerade das tolle an dem Buch (lacht)! Theweleits komplexer schweifender Blick, der nicht irgendwie starr auf eine Linie ausgerichtet war, war ja gegen ein autoritäres Prinzip des Rechthabens.
G: Was macht denn Theweleits Blick genau aus?
S: Das entsprach dem damals von Gilles Deleuze und Felix Guattari als Verfahren gepriesenen rhizomatischen Denken. Es ging darum, ein verzweigtes Denken zu entwickeln. Damit kam eine ganz andere Form der Wahrnehmung, nämlich des Geflechts, des Flechtwerks, und der Verknüpfung ins Bewusstsein. Das überschnitt sich auch mit den Überlegungen zum weiblichen, eher assoziativen Denken, das von Theoretikerinnen der Frauenbewegung beschrieben wurde, die gerade Fahrt aufnahm. Das Flechten, Knüpfen, Verknüpfen und so weiter sind ja schon immer weibliche Formen des Produzierens gewesen.
G: Und das kam bei den männlichen Rezensenten nicht an?
S: Das wurde als bedrohlich empfunden! In einem Kapitel analysiert Theweleit ja die Angst vor Dammbrüchen, vor Strömen, kurz die Angst des soldatischen Mannes, in einer chaotischen Masse unterzugehen. Dagegen wird über Jahrhunderte in der bürgerlichen Kultur ein Körperpanzer herausgebildet, der Stabilität verspricht, ein Körperpanzer gegen alles mit dem Weiblichen assoziierte. Und was die von Augstein in seiner Rezension befürchtete „Ohnmacht“ angesichts der Materialflut betrifft: Ich denke, Theweleit wendet sich von abstrahierenden, kontrollierenden Darstellungsformen ab, denn er wollte sich ja von der beschriebenen Art der Machtausübung absetzen. Und das hat manchen Angst gemacht.
G: Wenn ich mich richtig erinnere, ist das Gegenmodell zur undefinierten niederen Masse der „hochstehende Einzelne“. Theweleit sieht in dieser phallischen Metaphorik einen wesentlichen Zug der faschistischen Überheblichkeitsideologie.
S: Und das betrifft natürlich auch die Geschlechterverhältnisse. Ein weiteres wichtiges Thema Theweleits ist die Idee des männlichen Schöpfers, der Zeugen und Gebären in sich vereint. Damit wird weibliche Produktivität ausgeschaltet. Die Frau wird als Konkurrentin in der Schöpfung der Gesellschaft, der Kultur et cetera aufgefasst und soll ausgeschlossen werden.
G: Ohne Ihnen jetzt nahetreten zu wollen, aber das männliche Konkurrenzverhalten, um die Frau auszuschalten, das Sie im Anschluss an Theweleit jetzt beschreiben, das steckte ja dann eigentlich auch im Verhalten Ihres Mannes Ihnen gegenüber, wenn schon nicht besser oder schneller als Sie zu sein, zumindest den längeren Text als Sie zu schreiben.
S: Absolut! Das war zwar scheinbar spielerisch, aber es war dieses konkurrierende Übertrumpfen-Wollen, ganz klar. 8 Seiten im Spiegel, das ist ja schon ganz schön lang (lacht).
G: Hatte Männerphantasien eigentlich damals einen hohen Gebrauchswert? Wurde in Diskussionen über Geschlechterverhältnisse oft auf Männerphantasien verwiesen?
S: Nein. Es wurde eigentlich auch nur wenig darüber diskutiert. Das Buch wurde eher beargwöhnt.
G: Sie haben im Gegensatz zu Rudolf Augstein und fast als einzige auch den später erschienenen zweiten Band in der Zeit besprochen
S: Ja, ich habe dann auch im Anschluss an das darin angesprochene Thema des „Nicht-zu-Ende-Geboren-Seins“ eine lange Recherchearbeit gemacht. Ich erinnere mich, dass ich in der Zeit den Text Die hautlose Zeit (Die Zeit, Nr. 42/1983) veröffentlicht habe, in dem ich versuche, das Konzept zu erklären. Und später habe ich das nochmal in meinem Film WARTEN AUF MARIE (1987) aufgegriffen.
G: Was hat es mit dem „Nicht-zu-Ende-geboren-Sein“ auf sich?
S: Der Begriff taucht im zweiten Band der Männerphantasien auf. Theweleit interessiert sich ja dafür, wie die männliche Gewalt entsteht, die den Faschismus auszeichnet. Und ganz zentral dabei ist fehlende Berührung in den ersten Lebensjahren. In den ersten zwei Jahren ist die Haut das bedeutendste Wahrnehmungsorgan des Menschen. Über die Berührung der Haut kommt es zu hormonellen Ausschüttungen im Gehirn. Das ist ganz fantastisch, quasi die Möglichkeit zu einer Art Bewusstseinserweiterung, mit der wir geboren werden. Erst durch Berührung wird der Mensch zu Ende geboren, erst damit wird er lebendig. Aber wenn die Haut des Neugeborenen in den ersten Jahren nicht berührt wird, dann werden bestimmte Hirnzellen nicht aktiviert. Also die sind zwar da, aber die werden in einen endlosen Schlaf versetzt. Schlimmer noch, wenn geschlagen wird, was tiefgreifend verletzend ist. Das ist die Basis der Verwahrlosung und Brutalisierung, eben der Erstarrung im Körper, die Theweleit aufzeigt und die dann zur Panzerung, zum „Körperpanzer“ führt. Deshalb bezeichnet Theweleit den Faschismus als einen Körperzustand und nicht als eine Ideologie. Kurz gesagt, wenn die Lebendigwerdung ausbleibt, entsteht Angst, und aus Angst entsteht Aggression. Es hat sich mittlerweile in der Beziehung einiges geändert. Frauen gebären anders, ihnen wird das Kind nicht gleich weggenommen, und damit sozusagen unberührbar gemacht. Väter haben jetzt auch Kinder im Gegensatz zu früher. Meine Mutter hat mir erzählt, dass mein Vater das peinlich fand, den Kinderwagen zu schieben. Das war unmännlich. Theweleit kommt auf die Bedeutung der Berührung jetzt auch nochmal im Nachwort der Neuauflage von Männerphantasien zurück.
G: Auf welche Weise?
S: Theweleit kritisiert, dass der Schutz menschlichen Lebens nicht in solchen Luftblasen-Formeln wie „Würde“, „Respekt“ oder „Unantastbarkeit“ ausgedrückt werden soll, sondern durch etwas Konkretes ersetzt werde muss. Er schreibt, dass in den Präambeln ein Menschenrecht ganz konkret für die Unversehrtheit der „Haut“ gegenüber unerwünschten Eingriffen eingefordert werden solle, aber eben Haut, die berührbar ist, wenn es gewünscht ist. Wenn er hier auf die Haut zu sprechen kommt, dann kann man das eigentlich nur verstehen, wenn man weiß, dass er sich auf das „zu-Ende-Geboren-Sein“ durch Berührung bezieht.
G: Wie haben Sie das denn dann in ihrem Film WARTEN AUF MARIE aufgegriffen?
S: Nachdem ich diese Forschungsreise durch die ganze Literatur gemacht habe, die ich zum Teil bei Theweleit fand, zum Teil aber auch selber recherchieren musste, habe ich einen Essayfilm gemacht, in dem ich nochmal in einer anderen Form als in dem Zeit-Artikel versucht habe, die Idee des „Nicht-zu-Ende-Geboren-Seins“ zu vermitteln. Soweit ich weiß, erwähnte das Nicht-zu-Ende-Geboren-Seins zuallererst C.G. Jung. Und Samuel Beckett war angeblich mal in einer Vorlesung von Jung und hörte dort eben diesen Begriff des „Nicht-zu-Ende-Geboren-Seins“. Er soll dann aufgesprungen sein und gesagt haben, das ist der Missing Link, das ist das, was ich immer gespürt habe. Das „Nicht-zu-Ende-Geboren-Sein“ soll in sein Stück „Warten auf Godot“ Eingang gefunden haben, das ja von Wesen handelt, die mehr oder weniger in einem Larvenzustand verbleiben und nicht wirklich lebendig werden. Mein Film heißt deshalb „Warten auf Marie“. Allerdings wird hier auf eine weibliche Inspiration gewartet, nicht mehr auf eine männliche. All die Themen, die Theweleit anspricht, haben in mir geschlummert. Ich würde mal sagen, Männerphantasien hat einfach ganz viel gebündelt, was sowieso präsent war. Theweleit war wie ein Magnet, der das alles angezogen hat. Und durch seine rhizomatische Art hat das Buch für mich sehr anregend zum Weiterdenken geführt.
G: Ihre Besprechung von Band 2 von Männerphantasien ist mit drei Abbildungen aus dem Buch versehen, die Sie aber neu Anordnen. Wir sehen so einen Kobold, der auf die Erdkugel pinkelt. In der Mitte die Comiczeichnung einer aus dem Weltall betrachteten aufsteigenden Rakete aus Tim und Struppi. Und rechts ein Bild von einem Hippie, der die Erde penetriert. Die Bildunterzeile lautet: „make yourself happy, fuck the world“. Haben Sie die Auswahl der Bilder getroffen?
S: Ja, ich habe das mit dem Rolf Michaelis besprochen.
G: Was hat es mit der Auswahl auf sich?
S: Es war ja damals schon bekannt, dass die Erde durch Verschmutzung und Ausbeutung bedroht ist. In diesem Bewusstsein habe ich damals diese Abbildungen ausgesucht. Es ging mir darum, zu zeigen, wie mit der Erde umgegangen wird, dass sie als sexualisiertes Wesen vorgestellt und missbraucht wird. Ich habe in den Abbildungen eine Geste des Unterwerfens gesehen.
G: Die aufsteigende Rakete, die in der Mitte zwischen dem Kobold und dem Hippie zu sehen ist, warum haben Sie die ausgewählt?
S: Es gab so ein NASA-Plakat, auf dem war diese bekannte Bildfolge zu sehen, vom Affen zum Menschen, also, erst Affe, dann Affe-Mensch mit Keule, dann geht es langsam zu Mensch mit Aktentasche über, und dann wird es irgendwann dieser unglaubliche Forscher-Mensch, der in den Weltraum aufbricht. Dieses Plakat war zusätzlich mit einem Text versehen, in dem es hieß, es ist völlig klar, der Mensch muss die Erde verlassen und in den Weltraum gehen. Das fand ich schockierend und unglaublich trostlos.
G: Aber das ist ja eine sehr aktuelle Idee.
S: Genau, momentan glaubt man tatsächlich, dass man vielleicht doch den Mars besiedeln könnte. Das wird ja heute von Elon Musk oder Jeff Bezos vorgeführt, die schon mal einen kleinen Erkundungsflug machen.
G: Die Rakete, mit der Jeff Bezos kürzlich das Rennen zum Mond eröffnete, sah ja tatsächlich aus wie ein Phallus.
S: Ein Symbol für den männlichen Schöpfungsakt, der uns ans Ende der Welt bringt.
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