Geheime Spuren

Dass sich Technikgeschichte vor allem für das Entstehen neuer Technologien interessiert, muss man ihr nicht zum Vorwurf machen – schließlich führt die Frage nach der Technikgenese fast zwangsläufig auch zur viel unbequemeren Frage, was denn vom Neuen verdrängt worden ist. Die Produktion von technischen Einrichtungen ist auf fatale Weise an das mehr oder weniger sanfte Verschwinden von Geräten und vertrauten Verfahren gekoppelt. Ob das auch für Apparaturen des Geheimen gilt?

(Dieser Text ist im Maiheft 2023, Merkur # 888, erschienen.)

Auskunft über geheime Maschinen zu erhalten, ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Wer mit ihnen arbeitet und sie versteht, wird sich hüten, darüber zu berichten. Das trifft auch zu für die zehntausend britischen Geheimdienstmitarbeiterinnen, die im Zweiten Weltkrieg in Bletchley Park unter höchster Konzentration an der Entschlüsselung deutscher Geheimnachrichten arbeiteten. Sie hatten weder die Erlaubnis noch die Zeit, darüber nachzudenken, woher ihre Maschinen kamen, wie sie funktionierten und wohin sie nach dem Krieg verschwunden sind. Mit großer kollektiver Anstrengung und äußerst disziplinierten Verfahren hatten sie gelernt, britische Nachrichten zu verschlüsseln und aus den Funksprüchen, die von deutschen Enigma-Maschinen verhackstückt worden waren, fristgerecht englischen Klartext zu machen. Damit kamen sie gut voran, ohne dass man es bei der Wehrmacht gemerkt hätte.

Manchmal blieben in den Netzen der Abhördienste auch Funksprüche hängen, mit denen »Bletchley Park« gar nichts anzufangen wusste. Da war offensichtlich eine andere Maschine am Werk. Dem britischen Geheimdienst blieb nichts anderes übrig, als eine unbekannte Maschine aufgrund ihres komplett unverständlichen Outputs zu rekonstruieren. Man begann, knappes, aus Patentschriften abgeleitetes kryptologisches Wissen mit neuen mathematischen Überlegungen zu verknüpfen und zog mutige Schlüsse aus linguistischen Regeln und auffälligen Häufungen einzelner Buchstaben in den abgefangenen Nachrichten.

Einige dieser Schlüsse erwiesen sich nach wochenlangem Testen als falsch, andere bestätigten die Vermutung, dass die unbekannte Maschine mit zwölf Schlüsselrädern eine Periode von mehr als 1019 organisierte. Vieles deutete darauf hin, dass die Räder in drei Gruppen hintereinandergeschaltet waren. Die mittlere Gruppe wurde nach einem nicht wirklich zufälligen Zufallsprinzip entweder verwendet oder weggelassen. Das war ein Konstruktionsfehler, mit dem »Bletchley Park« arbeiten konnte.

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