Pop! Goes the DFG. Die neue Zeitschrift „Pop. Kultur & Kritik“

Wenn es bei Pop um die Gegenwart geht (mit Eckhard Schumacher ums „Gerade Eben Jetzt“), dann hat die halbjährlich – jeweils im September und im März – erscheinende neue Zeitschrift Pop. Kultur & Kritik ein kleines Abstandsproblem: Zwischen dem Verfassen der Texte und ihrem Erscheinen liegt mindestens ein halbes Jahr,  also hechelt man der aktualistisch gesinnten Popgegenwart hinterher. Was kein Nachteil sein muss, denn Pop ist dann eben nicht Pop, sondern Wissenschaft, und es sind durchaus analytische Distanzgewinne zu erhoffen, wenn die Eule der Lady Gaga  ihren Flug in der Dämmerung der verhandelten Ereignisse beginnt. Andererseits dämmert es aber auch noch nicht richtig, denn für Wissenschaft ist Pop. Kultur & Kritik doch wieder verdammt schnell: Viele der Gegenstände, die die Zeitschrift verhandelt, sind von Hypnagogic Pop bis eben Lady Gaga noch brandheiß. 

Auf das Problem, dass ein stilistisch gänzlich popfernes Schreiben über Pop schwer vorstellbar ist, antwortet die Zeitschrift auf ihrerseits nicht ganz unproblematische Weise: Sie teilt sich nämlich auf in drei recht unterschiedliche Teile. Im ersten geht es unter der Überschrift „Zur Zeit“ in Form schneller und der Intention nach recht aktueller Interventionen zur Sache. Das ist die konzeptionell beliebigste Sektion, denn was hier versammelt ist, könnte zum größeren Teil anderswo – mal in der FAZ, mal in der Spex – genauso stehen, wäre da aber noch als direkte Reaktion auf den aktuellen Gegenstand lesbar. Arg spät und eher lieblos klappert etwa Georg Seesslen dem Riesenerfolg Ziemlich beste Freunde etwas zum Thema „Feelgood Movie“ hinterher. Auch Thomas Heckens kurzer Kommentar zu den Bildern des Libyen-Kriegs bleibt zwischen Baum und Borke: Man hätte ihn „damals“ gerne gelesen, jetzt überwiegt der Wunsch nach Vertiefung.

Das soll nicht heißen, dass es nicht auch viel Lesenswertes gäbe in der ersten Sektion: Urs Stäheli beschreibt den Occupy-Aktivismus sympathetisch als „Radikalisierung … eines Populismus, der keine Führer und keine Forderungen kennt und sich so der Leitwährung des Politischen – dem Prozessieren von Forderungen – entzieht“. Bleibt, wie vergleichbar bei den Piraten, die Frage offen, ob sich ein solcher Entzug im Politischen „instituieren“ oder jedenfalls wirksam machen lässt, ob daraus also doch eine Form (oder: eine Veränderung des Betriebssystems, wie die Piraten gern sagen) fürs Politische zu gewinnen wäre, oder ob das ganze nicht gerade eben der von Stäheli beschriebenen Logik wegen folgenlos bleibt.

Bernhard Pörksen fordert – als Reaktion auf Bologna – die Geisteswissenschaften dazu auf, „ein Relevanzkonzept zu entwickeln, das wissenschaftsintern eigenständig und reputationsfähig, extern vermittelbar und öffentlich anschlussfähig erscheint“. Dafür aber müssen sich, so Pörksen, die Kollegen und die aus den einschlägigen Studiengängen Hervorgehenden aus dem Elfenbeinturm in die Medien begeben und dort „den Eros einer nie endenden Erkenntnissuche mit journalistischem Tempo, verbindlichen Deadlines und sprachlicher Klarheit kombinieren“. Ganz gut gebrüllt, aber angesichts der wissenschaftsinternen Zumutungen wie Drittmitteleinwerbung, Bolognabürokratiezuarbeit, interne Disziplinenverunsicherung und interfakultäre Defensivposition wohl nicht sehr realistisch.

Auch einer der besten Texte im Heft steht in der Sektion „Zur Zeit“: Jochen Venus gelingt es, mit seiner Beobachtung sogenannter „Let’s Play“-Videos  eine allgemeinere und erfreulich kontraintuitive Analyse des Videospielens zu verbinden: Zur Figur, die man ist/spielt und zum Spiel entwickeln viele Spieler sehr wohl eine selbst wiederum spielerische Distanz. Dies lässt sich im „Let’s Play“-Metagenre der ironisch kommentierten Walkthroughs schön beobachten. (Hier für den Anfang rund tausend Beispiele.)

Im zweiten, dem „Essay“-Teil, finden sich nur vier Texte, vorne dran der sehr grundsätzlich klingende und definitorisch gemeinte Pop-Konzepte der Gegenwart von Mitherausgeber (und wohl auch Chefredakteur) Thomas Hecken. In der Absicht, „Pop schärfer und präziser als üblich von Populärkultur und Massenkultur zu trennen“, entwirft Hecken eine sehr diskussionswürdige, sieben Punkte umfassende Bestimmung dessen, was Pop ausmacht. Diese sieben Punkte sind „Oberflächlichkeit, Funktionalismus, Konsumismus, Äußerlichkeit, Immanenz, Künstlichkeit, Stilverbund“. Deutlich abgegrenzt wird Pop damit vom bloß Populären – was nur logisch ist, wenn man die avantgardistischen Formen von Pop (die Hecken schon länger „Avant-Pop“ nennt) ausdrücklich mit unter den definitorischen Schirm nehmen will.

Eine Abgrenzung anderer Art nimmt Nadja Geer (ebenfalls Mitherausgeberin) vor: Sie umreißt deutsche Popdiskurse der letzten Jahrzehnte unter der Zwischenüberschrift „Pop, Kritik und Narzissmus“ als hohe, aber oft auch mit unangenehmen Exklusionsgesten verbundene Kunst der Übertreibung kleinster Unterschiede: „Der Humus dieses Denkens war ein elitäres Bewusstsein, sein ‚Narzissmus der kleinen Differenzen‘ (Sigmund Freud) drückte sich in einem gebrochenen, anspielungsreichen und ironischen Schreibstil aus, der vorrangig auf der Ebene des lustbesetzten Vorzeigens des eigenen symbolischen Kapitals operierte“. Geer hält dieses Vorzeigen für eine vorwiegend von „Glamourboys“ betriebene Sache, leugnet die veritable „Sexyness“ dieser Diskurse aber so wenig, dass sie sich nicht auf genderpolitisch korrekte Kritik beschränkt, sondern Autorinnen zum Sophistication- und Poser-Self-Empowerment aufruft.

Die Bewegung des Hefts geht vom Quasi-Feuilleton über den Essay zum – dritter Teil – schweren wissenschaftlichen Gerät. Was unter der Überschrift „Forschungsbeiträge“ steht, ist durch Peer-Review-Prüfung gegangen. Eher unfreiwillig ist die Zeitschrift so auch die Probe aufs Exempel: Wie halten es die wissenschaftlichen Autorinnen und Autoren mit der Lesbarkeit ihrer Beiträge? Und leider muss man sagen: Während Ruth Mayer noch manchen, wenngleich oft sehr umständlich formulierten Aufschluss über Die Logik der Serie bietet, gleitet Christian Metz mit seinem Aufsatz über Lady Gagas digitale Intimität weit hinüber aufs Gebiet der wissenschaft(ssprach)lichen Selbstparodie. Der Text bewegt sich intellektuell und sprachlich kreuzbrav innerhalb der engsten Koordinaten eines Genderdiskurses, von dem außerhalb der einschlägigen Seminare niemand auch nur Bahnhof versteht.

Von hier führt kein pörksenscher Weg der Vermittlung mehr in irgendein Außen. Was schade ist, zumal man fürchten muss, dass gerade die auf drei Jahre angelegte DFG-Förderung des Projekts Pop sich der hier demonstrierten Idee von „Wissenschaftlichkeit“ verdankt: Zu der gehört neben Peer Reviewing und absurd umfangreichem Literaturapparat der Forschungsbeiträge auch ein einunddreißig(sic)köpfiger Beirat der Zeitschrift, in dem neben Experten von Diedrich Diederichsen bis Eckhard Schumacher manch einer sitzt, der in seinem Leben sicher nicht öfter als einmal halblaut „Pop“ gesagt hat.

Bei aller Kritik: Ich habe die Zeitschrift von vorne bis hinten gelesen, die Mehrzahl der Artikel durchaus mit Erkenntnisgewinn. Interessant ist auch, wie Pop sich auf der angeschlossenen Website bewegt. Hier wird im wagemutig schlicht-grauen Design nichts verdoppelt, sondern manches erweitert und aktualisiert und anderes hinzugefügt. Wo es um die schlüssige Verbindung von Print und Online geht, experimentieren wir alle: Der Webauftritt von Pop. Kultur & Kritik ist nicht schlecht. Er macht Appetit auf das Heft und ist auch für sich den gelegentlichen Besuch wert. Außerdem zeigt Thomas Hecken in einem Überblick über andere Zeitschriften, die den „Pop“ im Titel tragen, einen angemessenen Sinn für Selbstironie: „Dann gibt es noch eine mutige englische Zeitschriften-Neugründung ‚We Love Pop‘, Zielgruppe 13- bis 15-jährige Mädchen, wie der Verlag, Egmont Publishing, mitteilt. Viel Glück, sonst muss am Ende die Deutsche Forschungsgemeinschaft allein Pop retten.“ So weit sollte es dann doch nicht kommen.

 Pop. Kultur & Kritik. Heft 1. Herbst 2012. Transcript. 175 Seiten. 16,80 Euro. (Webauftritt)