Umorientierungstasten

Warum die Tablet-Tastatur von Apple grafische Orientierungshöcker hat. Warum sie nüchtern betrachtet sinnlos sind. Und warum, wenn man genauer hinschaut, gerade nicht.

Das Tastatur-Blindschreiben nutzt implizites Wissen, das durch Bewegungslernen, also die häufige Benutzung der Griffwege, produziert wurde. Tippen, wenn es reibungslos funktioniert, passiert (von frz. passer – vorübergehen) zum Großteil unbewusst. Kaum einmal denkt ein geübter Tipper daran, was seine Finger gerade tatsächlich machen. Manches Mal, wenn „W-e-r-t“ oder ein anderes stark rhythmisiertes Wort getippt wird, schiebt sich überhaupt nur eine Ahnung vom Vorgang ein, so auch, wenn der automatisierte Schreibfluss durch Vertippen unterbrochen wird. Die Tastaturhaftigkeit, d.h. die Art und Weise, wie eine Tastatur gemacht ist, wird jedoch auch bei misslingender Benutzung kaum spürbar, das Interface bleibt unsichtbar. Mancher Tipper denkt jedoch heute öfter nach, wenn er zwischen PC- und Mac-Tastaturen wechselt und ihn die unterschiedliche Belegung der Funktionstasten, des @ und einiger Klammern aus der Automatisierung reißen.

Um diese eigentlich seltene Spürbarkeit des Daseins der Tastatur wird es im Folgenden gehen.

Tastaturtippen ist eine enorme Kulturtechnik. Zum einen wegen seines unermesslichen rein praktischen Wertes: Es machte ohne große Druckmaschinen schon vor der Einführung des Kopierers die Vervielfältigung von Bürokratieschreiben möglich, Bücher, universitäre Arbeiten werden seitdem getippt, wie Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, ebenso wie fast alle längeren Texte im Internet. Als Symbol des Technifizierungszeitalters wurde die Tastatur als Antagonist der „natürlichen“ Schreibfeder zum kulturtragenden Statusobjekt. Ein Naturalist wie Arno Holz sagt demnach passend in seiner Poetik: „Wer Dichtung will, muss auch die Schreibmaschine wollen.“ Kafkas berühmt gewordene Oliver 5 steht für seine ambivalente Begeisterung für alles Technifizierende. Ein schreibender Thomas Mann hingegen ließ sich nur mit Stift fotografieren. Manches Mal wurde die Schreibmaschine selber zum literarischen Motiv der Erschreibung von Selbst und Welt in einer technifizierten Zeit, wie die Hermes Baby im Homo Faber.* Aber auch heute machen Schriftsteller ein symbolisch höchst aufgeladenes Statement, wenn sie angeben, dass sie entweder einen Moleskine oder einen Laptop immer dabei haben, damit keine spontanen Eingebungen verloren gehen. Auf dem heutigen Markt ist eine Vielzahl preisgünstiger Tablet-Computer von großem Wert erhältlich, deren Preis von hochwertigen, budgetfreundlichen Modellen bis hin zu hochwertigen Spitzenprodukten reicht, die bis zu Hunderte von Dollar kosten können .

Interessant ist dabei, dass das Tastatur-Interface sich von der ersten Schreibmaschine bis zum heutigen MacBook Pro kaum geändert hat, all ihren Symbolwert bis heute mitschleppend.

Kulturtechniken, besonders die unterbewussten (die meisten sind es), werden von der bildgebenden Neurowissenschaft gerne angeführt, um ihre materialistische Grundannahme zu stützen: Wir sind, was die Umwelt und unser Umgang mit ihr aus uns macht. Nietzsche schrieb: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken“. Die Hirnregion geübter SMS-Schreiber, die für den Daumen zuständig ist, ist vergrößert und „feuert“ beim Simsen vergleichsweise stark, sagt die Neurowissenschaft, auch das Gehirn einer Typistin änderte sich mit dem Gebrauch, das wussten schon die frühen Psychoanalytiker.

Damit die Funktion eines Interfaces ungestört von Reflexion, also ganz automatisch, abgeht, ist es notwendig, dass es sich und seine hemmende Materialität zum Verschwinden bringt (das gilt auch für die Maus, das Touchpad, für die Bedienung von Autos, sogar für die Hitzeregulierung am Herd). Wenn sich auch Aufschreibesysteme historisch grundlegend und rasant wandeln, sie müssen in jedem Fall dazu geeignet sein, sich unsicht- und ‑fühlbar zu machen.

Der Wettstreit zwischen PC und Mac ist zentral auch einer der Unsichtbarmachung: Apples Erfolg begann mit der Kriegserklärung gegen die unmenschliche Technik des PCs und dem Versprechen auf intuitive Benutzung. „Intuition“ stammt vom von lat. intueri, „angeschaut werden“ ab; die passivische Form verrät es schon: Es ist kein aktives Erfassen/Angreifen notwendig – das Interface soll mich erfassen/begreifen.**

Mit der Einführung erst des Smartphones und dann des Tablets durch Apple hat sich an der grundlegenden Funktionsweise der Interface-Tastatur nichts geändert, auch vorher gab es schon ganz flache, sogar per Laser projizierte Tastaturen. Nur die Größe der Tastaturen variiert: Auf dem iPhone wurde darauf geachtet, dass der Aktionsradius des Daumens nicht überschritten wurde (außer man dreht es waagerecht), damit man es mit nur einer Hand bedienen kann, Umlaute und Sonderzeichen mussten weichen und werden über eine Funktionstaste oder Gesten aktiviert). Dies wurde als erster Schritt weg von einer plötzlich als unpraktisch empfundenen 10-Zahlen-Tastatur des Handys mit ihrer mehrfachen Buchstabenbelegung hin zu einem „neuen Zeitalter“ des Hybrids aus Telefon und PC gefeiert. Auf dem iPad musste hingegen darauf geachtet werden, dass die Tastatur groß genug ist, um auch im Zehnfingersystem benutzt werden zu können.

Für ein gelungenes Apple-Marketing ist es jedoch unumgänglich, dass jede Neulancierung auch eine Revolution ist. Doch eigentlich ist die Reintegration der archaischen Tastatur auf dem Tablet nichts weniger als eine Kapitulation der Innovation vor dem Altbewährten. Die Televangelism-Rhetorik der Produkteinführungen kann daran nichts ändern, das Wasser nicht zu Wein machen. Der Apple-Mythos schafft hier keine Naturalisierung des Produkts, schafft es nicht, es unsichtbar, nur gefühlt, als weitere Revolution der intuitiven Bedienung erscheinen zu lassen.

Daher muss ein Meta-Mythos helfen – wieder einmal durch die Hintertür des Unscheinbaren. Auf den Tasten f und j ist auf der iPad-Tastatur die kleine Erhebung der „Orientierungstasten“ klassischer Tastaturen zu sehen. Diese dient üblicherweise dazu, die Grundstellung des Zehnfingertippens auch ohne Hinsehen zu erfühlen, die Zeigefinger müssen auf ihnen zu liegen kommen.

Wir haben es hier mit einer unmotivierten, weil unnützen Grafik zu tun. An diesen kleinen, nur wenige Pixel großen Grafiken stellt sich die iPad-Tastatur als Tastatur aus, besteht auf ihrer Materialität. Doch das würde dem eingeforderten Revolutionspotential zuwiderlaufen. Zeigt sie damit nicht gerade auf eines ihrer Mankos, nämlich auf die Unmöglichkeit, mit ihr tatsächlich blind und intuitiv zu tippen? Sind diese tablettflachen Erhebungen nicht eigentlich ein Eingeständnis der Unoriginalität? Die Antwort ist, wie bei jedem Meta-Mythos, zugleich ja und nein. Als Teil des Marketing-Mythos aufgefasst widerspricht die grafische Erhebung dem Anspruch Apples auf Intuition, steht dem passiven Begriffenwerden durch das Interface entgegen und untergräbt die Naturalisierung. Als Meta-Mythos jedoch (und ihre evidente Dysfunktionalität begünstigt diesen Blick auf die Meta-Ebene) leisten sie die Kaschierung des Mankos.

Stellen wir uns einfach vor, die Erhebungen wären nicht dargestellt. Die Unbrauchbarkeit fürs intuitive Blindschreiben wäre dennoch offensichtlich gewesen, spätestens nach der ersten Benutzung hätte es jeder bemerkt. Doch diese Offensichtlichkeit wird grafisch noch einmal sichtbar gemacht. Man kennt diese Taktik aus dem Marketing: Einer Krise weicht man nicht passiv aus, gutes Kriseninterventionsmanagement reagiert nicht, es agiert. Es produziert sogar, wenn es anders nicht mehr möglich ist, kritische Meinungen, wenn sie nur wenigstens selber lanciert und damit lenkbar bleiben. Die Sichtbarmachung der Tastaturhaftigkeit ist eine solche Taktik.

Sie funktioniert als den inferioren Mythos überdeckender Meta-Mythos: Apple nutzt hier nämlich seinen Ruf als gewitzte Ideenschmiede, als stets augenzwinkernde Tüftler- und Bastlerwerkstatt, die durchaus nicht nur Blick hat für Ökonomisches (daher dürfen Apple-Produkte teurer sein als andere) und Praktisches, sondern auch für Ästhetisches. Hans Ulrich Gumbrecht hat in seinem Buch Unsere Breite Gegenwart erkannt, dass „neue technische Geräte und kulturelle Bräuche unabhängig von kollektiven Bedürfnissen ihrer Umgebung [auftauchen], und ob sie, wenn sie denn erst einmal erfunden sind, überhaupt von der Gesellschaft weitgehend angenommen werden oder eben auch nicht, hängt nie von ihrem praktischen Nutzen allein ab, sondern kann ebenso gut etwa von ihrem ästhetischen Reiz motiviert sein.“

Die „unnütze“ Grafik wird genutzt, um die Aufmerksamkeit der Apple-User von der akuten Unzulänglichkeit auf die chronische Innovationskraft von Apple-Bastlern mit Esprit umzulenken; der mangelnden Intuition werden zwei kleine imaginierte Balken entgegengesetzt. Vom Produkt wird der reflektierende Blick des Users um-orientiert auf die Produzenten, von der aktuellen Inferiorität auf die grundsätzliche Superiorität dieses und aller anderen Apple-Produkte. Hier wiederum, in einem imaginären Wunschraum, fühlt sich der User wohl – und vergisst ganz, dass er – mit Verlaub – verappelt wurde. Passiert zwar nicht mehr das intuitive Blindschreiben, so kann der User die Grenze zum Traum passieren.

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* Walter Fabers Todeskampf ist spätestens schon verloren, wenn er handschriftlich festhält: „18.00 Uhr 
Sie haben meine Hermes-Baby genommen.

** Siri, das Sprachinterface im iPhone 4S ist ein wunderbares Beispiel für die Notwendigkeit der Unfühlbarmachung (und ein Beispiel für einen von wenigen Misserfolgen auf diesem Gebiet von Apple): Sie wird eher als Gimmick wahrgenommen, behandelt wie ein witziger Roboter, dem man Scherzfragen stellt, denn als ernstzunehmendes Interface.

 

Stefan Schukowski, Dr., Wiss. Assistent am Lehrstuhl für Komparatistik des Departments Germanistik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Forschungsschwerpunkte: Literatur- und Kulturtheorie, Interkulturelle Literaturwissenschaft, Gender Studies. (Website)