Immer Ärger mit Otto. Kino, Rassismus, Diversität

In „Lucky Loser“, der Komödie von Nico Sommer, treibt Mike (Peter Trabner) einen Wohnwagen auf und fährt mit seiner fünfzehnjährigen Tochter Hannah (Emma Bading) auf einen Campingplatz in Brandenburg. Dort lotst sie auch ihren Freund hin, Otto (Elvis Clausen). Irgendwann steht Otto in der Tür des Wohnwagens. Und für diesen kurzen Moment dachte ich – nice.

Otto, ein Deutscher mit einem der deutschesten Namen, die man sich vorstellen kann, ist nämlich, sofern das in diesem Moment überhaupt eine Rolle spielt – schwarz. Großartig. Die Sache wird gar nicht weiter kommentiert, fließt nur beiläufig mit ein. So dass man sich sagt, dass einem der Moment nur auffiel, um sofort wieder vergessen zu werden, markierte er doch nur die Normalität einer Diversität, die ohnehin immer schon augenscheinlich war und aus sich heraus gar nicht die Notwendigkeit hatte, noch ausgestellt werden zu müssen. Das Kriterium der Hautfarbe wird an jenen Platz gerückt, der ihm zusteht: Es ist schlicht eines unter zahllosen anderen Kriterien, um Unterschiede zwischen Menschen zu bestimmen. Und wenn diese sich auch weiterhin nicht immer lieb haben, dann wenigstens aus anderen Gründen. Mike mag Otto erst mal nicht besonders – weil Otto dreißig, Hannah fünfzehn und Mike selbst viel älter ist; weil Otto Muskeln und Mike ’ne Wampe hat. Mike ist eifersüchtig auf einen Typen, der dabei ist, ihm seine pubertierende Tochter wegzuangeln. Ansonsten hat er kein Problem mit ihm.

Der Zauber hält nicht lange. Otto sei, bemerkt Mike, doppelt so alt wie Hannah – und doppelt so dunkel, ergänzt Hannah. Oh no. Von da an gibt es quasi keine Szene mehr, in der Otto nicht als Schwarzer adressiert wird. Vermutlich dachte man: Damit Otto aus allen anderen Gründen als seiner Hautfarbe als Problem wahrgenommen werden kann, muss die Hautfarbe dann doch immer wieder angesprochen werden (damit man merkt, dass sie für Mike kein Problem ist). Oder aber man sah das Potential, die Sache bis ins politisch Unkorrekte auszureizen. Immerhin ist der Film eine Komödie, und da Otto ohnehin „akzeptiert“ ist, kann der Rassismus ungestört herauspurzeln, stereotype Klischees noch und nöcher bedient werden – lachend, es ist ja nicht bös’ gemeint, im Gegenteil, alle lieben Otto.

Otto „rettet“ Mike vor einem Brandenburgischen Dorf-Nazi, indem er ihn als „seinen Nigger“ bezeichnet, von dem der andere die Finger zu lassen habe. Otto spielt mit; danach ziehen sie gemeinsam fröhlich von dannen. Als später Mikes Ehefrau (Hannahs Mutter) auf den Campingplatz kommt, darf sie aus irgendwelchen Gründen nicht mitkriegen, dass Hannah einen Freund hat, und um Ottos Anwesenheit zu erklären (also um ihn erneut zu schützen), wird Otto als „Flüchtling“ ausgegeben, der sich auf dem Campingplatz verdingt. Die Managerin der Anlage wiederum ruft ihm grinsend ein „Yes, we can“ zu.

Klar: Der Film verfolgt, genauso wie Mike, der sich immer mehr mit Otto anfreundet, die besten Absichten. Aber ist es cool, wenn man zeigt, wie ein Weißer einen Schwarzen rettet, in dem er ihn als „Neger“ bezeichnet? Als könnte man Rassismus nur mit noch viel mehr Rassismus bekämpfen? Oder wenn man Dinge miteinander vermischt, die nicht zusammengehören? Was hat die Situation von Otto mit der eines „Flüchtlings“ zu tun, der aus einem afrikanischen Land nach Europa migriert? Und was mit einem Afro-Amerikaner? Ottos Eltern kommen, wie wir erfahren, aus Ghana. Die Probleme der Menschen in Ghana, der ghanaischen Community in Deutschland, der Afro-Amerikaner und der afrikanischen Migranten auf dem Weg nach Europa sind aber allesamt sehr verschieden. So wird Otto zur reinen Projektionsfläche für alle möglichen Zuschreibungen, wobei er unter die falsche Überkategorie „des Schwarzen“ subsumiert wird. Der habe, wie Otto Mike gegenüber einmal betont, überall auf der Welt Probleme. Stimmt – nur wird auf diese Weise unterschlagen, dass global betrachtet die Tatsache, einen „schwarzen“ Körper zu haben, einerseits ziemlich normal ist und es andererseits sehr viele verschiedene davon gibt. Es gibt verdammt viele Ottos, von denen keiner ist wie der andere.

 

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Problematisch wird’s immer, wenn nicht-weiße Körper dort, wo sie sein sollten, eskamotiert, oder dort, wo sie vorkommen, unnötig hervorgehoben werden. Dass Sofia Coppola in ihrer Neuauflage von Don Siegels Südstaatendrama „The Beguiled“ zwei schwarze Figuren gestrichen hat, ist ebenso schwerwiegend wie die Tatsache, dass in Christopher Nolans Weltkriegsfilm „Dunkirk“ in den Reihen der britischen Soldaten am Strand von Dünkirchen keine nicht-weißen Soldaten zu finden sind. „Lucky Loser“ hat das andere Problem – ihm mangelt es in der Darstellung von Otto an Beiläufigkeit. Die Komödie ist weniger improvisiert als Sommers ersten beiden Filme, „Silvi“ und „Familienfieber“. Als sei diese Abkehr von der Improvisation und die Hinwendung zu einem vorgefertigten Drehbuch notwendig, um deutlich zu machen, dass die Figuren nie nur „irgendetwas“ ausdrücken. Otto drückt etwas bestimmtes, nämlich vor allem sein Schwarzsein aus, das wie ein Alarmsignal wirkt; als müsse ein solcher Körper zwangsläufig, ja natürlicherweise als solcher bemerkt werden oder gar rassistische Reaktionen auslösen.

Warum aber das Weißsein mit Normalität gleichsetzen und nicht-weiße Personen mit identitären Zuschreibungen dauerkonfrontieren? Man mag dies so begründen: Das Kino muss die Welt zeigen, wie sie ist. Und die ist eben nun mal oft weiß und rassistisch. Außerdem kann man nie die ganze Welt filmen, immer nur einen Ausschnitt aus ihr, und in bestimmten Teilen der Welt (auf einem deutschen Campingplatz) ist Schwarzsein eben eher die Ausnahme als in, sagen wir, Nigeria, was sich dann auch in den Filmen niederschlägt, die an diesem oder jenem Ort entstehen.

Sicher. Nur: Filme zeigen nicht nur die Welt, wie sie ist – sondern immer auch, wie sie sein kann oder sein sollte. Sie zeigen nicht nur Rassismus und Diversität, sie stellen sie immer auch her. Kein Film ist in dieser Hinsicht unschuldig oder unvermögend. Und wenn man die Welt nur ausschnittsweise filmen kann, dann darf man nicht vergessen, dass die Welt jenseits dieses Ausschnitts weitergeht und damit in jedem Film implizit bleibt. Diese Welt aber ist divers – wo auch immer auf ihr man eine Kamera aufstellt. Alle Filme tragen ein Vermögen für die Herstellung von Diversität in sich, in dessen Entfaltung eine der größten Aufgaben des Kinos von heute besteht.

Philipp Stadelmaier ist freier Filmkritiker (Süddeutsche Zeitung, Filmbulletin) und promoviert zu Jean-Luc Godard und dem Filmkritiker Serge Daney. Im Verbrecher Verlag erschien 2016 sein Tagebuch-Essay „Die mittleren Regionen. Über Terror und Meinung“.