Facebook als Tor zur Welt

Die Posts im Newsfeed: „Bitte teilen!“ (Es geht um eine Zimmermiete in einem „wunderschönen Altbau“). „Die Matratze deines Lebens“ (das ist Werbung), noch ein „cozy“ WG-Zimmer, „Wonderwoman – jetzt im Kino“. Danach ein Artikel: „Ist Wonderwoman feministisch?“ Das Bild, und das Bild – ich like beide. Ein Artikel über Anthony Scaramucci, Trumps neuen Kommunikationschef. Überhaupt, wie überall: Trump, Trump, Trump. Und noch ein Artikel über den G20-Gipfel in Hamburg: „Der Gipfel der Gewalt“ (Der Artikel ist natürlich gegen Gewalt). Die Ehe für alle und die Freude darüber und der Hinweis, dass es nur ein kleiner Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit ist und eine Diskussion darüber, ob das stimmt, und „Wonderwoman – jetzt im Kino“, und jemand schreibt: „Eine Zigarettenlänge Regen“, „This is so inspiring – need to watch this“. OK klar, das gilt nicht allgemein, Facebook ist unterschiedlich, je nach Likes, Friends und unbekannten Algorithmen. Wir schauen nicht den gleichen Sender. Aber wir sind viele: In Deutschland nutzen dreiundzwanzig Millionen Menschen Facebook täglich1, weltweit sind es eins Komma drei Milliarden.2

Unsere Friends sind nicht nur unsere Freunde, sondern auch entfernte Bekannte und der Typ, der mal gesagt hat: „Ey, are you on Facebook?“. Diese Menschen, aber auch die, mit denen man gar nicht Friends ist, die aber trotzdem viel von sich zeigen, kann man ziemlich einfach, ziemlich ungeniert beobachten. Was dann öffentlich gemeint ist oder privat, ist oft nicht mehr ganz klar. Wendy Hui Kyong Chun, Professorin für Modern Culture and Media, bezeichnet die neuen Medien ganz allgemein als „wonderfully creepy“. Sie bringen Gegensätze zusammen. „They are endlessly fascinating yet boring, addictive yet revolting, banal yet revolutionary.”3 Creepy eben, wonderfully creepy, wenn man so will.

In dem Flow aus irgendwas ist vieles kaum überraschend. Doch irgendwer der Friends oder deren Friends, die auch angezeigt werden, postet dann doch immer wieder etwas, was den Stream of Unconsciousness beim Runterscrollen unterbricht. Ein Bild, noch ein Bild, ein Text. Gerade kurz was nachschauen und jetzt wieder hier hoch und runterrutschen. Manchmal passiert es auch einfach und wird erst im Nachhinein bemerkt: Ich bin schon wieder auf Facebook! Das Resultat, zum Beispiel: nach zwanzig Minuten zehn offene Tabs mit Artikeln und Videos, die irgendwie interessant erscheinen (und es manchmal auch sind). Wir sind Friends: Wir liken uns, in unserer Bubble. Aber von den in letzter Zeit viel beschworenen Echochambers hallt es dann doch mitunter ungewohnt zurück. Was soll denn jetzt dieser Artikel? Findet sie den wirklich gut? Facebook spült immer wieder überraschend andere Lebensrealitäten in den Fluss des eigenen Newsfeeds.

Denn selbst Friends (ja, auch die Freunde) posten doch häufiger Sachen, denen ich nicht zustimme und die mich mehr irritieren, als ich das im Heartland4 meiner eigenen, sich anscheinend ständig bestärkenden Filterblase5 vermutet hätte. Meistens postet man die Sachen, die dann irritierend sein können, wahrscheinlich in Erwartung eines zustimmenden Publikums – und manchmal sicher auch, um zu provozieren. Wenn ein Post eine Reaktion hervorruft, ist er aufmerksamkeitsökonomisch erfolgreich. Und zwar egal, ob ich es nun interessant finde oder ob es mich – wie bewusst auch immer – Love, Ha Ha, wow, traurig oder wütend klicken lässt.6 Das kann das neue Bild meiner guten Freund_in sein, der neue super lange Post von Danilo Scholz,7 sogar Werbung. Oder Mehmets Bilder kaputtgebombter Kurdischer Dörfer. Oder auch James, der einzige meiner Friends, der von Donald Trump überzeugt ist und das auch immer wieder schreibt. Zum Beispiel so: „Trump is delivering on his campaign promises, something I have not seen any other presidential candidate do in my lifetime. […] That is fantastic news. The dominoes are starting to fall on the globalist world government agenda. Hooray.“

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten mit Posts umzugehen, deren Aussagen man überhaupt nicht zustimmt. Man kann sich entscheiden: „James Posts ignorieren“, „James unfrienden“, oder sich mit seinen Ansichten auseinandersetzten. Letzteres führt, wenn man will, von Referenz zu Referenz. James Posts verweisen auf Alex Jones‘ krasse, fies verschwörungstheoretische Hetzseite „Infowars“.8 Oder zur „The Deplorables“-Gruppe.9 Die wurde erstellt, nachdem Hillary Clinton während des US-Wahlkampfs sagte, die Hälfte der Trump-Unterstützer_innen sei für sie lediglich „a basket of Deplorables“ (ein Korb der Erbärmlichen). Anfangs waren dort drei Mitglieder, aber schon nach wenigen Wochen eine halbe Million. Die größte Pro-Trump Gruppe auf Facebook nennt sich „free speech, free fire zone“.

Dort wird Hillary Clinton gehasst und Donald Trump gefeiert, Barack Obama ist abwechselnd oder gleichzeitig Terrorist, Verräter, Muslim und sowieso kein richtiger Mann. Pamela Geller,10 eine der Admins der Gruppe, ist eine bekannte rechtsradikale Aktivistin, die sich auf einem perfiden Kreuzzug gegen den Islam befindet. Oft wird zu Vergleichen aufgerufen: Michelle Obama oder Melania Trump? You vote! Das Resultat: Melania gewinnt, weil Michelle als hässlich empfunden wird und für viele sowieso keine richtige Frau ist, verwiesen wird dann auf ihren Bizeps oder den Penis, den man anscheinend durch ihr Kleid sehen kann. Es postet auch schon mal jemand das Bild eines verschleierten Kindes, dem eine Träne übers Gesicht läuft. In weißer Schrift steht darauf: „Every time you post in this group, a muslim dies“. Die meisten Kommentare sind zustimmend.

 

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Eine der Stars der Gruppe ist die junge TV-Moderatorin Tomi Lahren.11 Die schreit in ihren kurzen #finalthoughts-Videos wütend gegen „snowflakes“ – das sind für sie verweichlichte Liberale, die weder die einfachen Leute noch die echte Welt verstehen. Tomi schafft es, die Black Lives Matter-Bewegung mit dem Ku-Klux-Klan zu vergleichen, #Blackgunsmatter zu schreiben und zu behaupten, sie sei nicht rassistisch. Die liberale Presse nennt sie „white power Barbie“, für ihre Fans ist sie „hot“ und „so true“. Feminismus findet sie gut, aber nicht den zeitgenössischen, der sei in Wahrheit nämlich nicht für – sondern gegen Frauen (und ja klar: gegen Männer sowieso). Nach eigenen Angaben12 war sie eine von Donald Trumps Social Media-Berater_innen.

Auf der Deplorables-Seite war ersichtlich, wie erfolgreich die Trump-Kampagne war, lange bevor deren Erfolg – für viele völlig überraschend – durch die Wahl dann offenkundig wurde.
Hier war und ist Trump ein charmanter Retter und Held, angetreten gegen die Weltordnung der „Libtards“,13 die das gemeine Volk verraten. Jeder Skandal des Präsidentschaftskandidaten wurde hier als Angriff der korrupten liberalen „Mainstream-Medien“ verstanden, die von den eigentlichen Problemen ablenken wollen. Hier wird der Hass gegen Obama und Clinton in seiner Monstrosität deutlich, und wie gut es funktioniert, rassistische und sexistische Motive mit dem allgemeinem Einverständnis der Gruppe hinter großen realpolitischen Begriffen zu verstecken. „Globalism“ meint viel mehr als die Kritik an Freihandelspolitik. Auf dieser Seite sah ich dabei zu, wie viel Hass so schnell mobilisiert wurde, in diesem anderen Amerika. Und ich merkte, wie Propaganda auch ganz plump über Menge und Dauer funktioniert: Je länger ich auf der Seite unterwegs war, desto geneigter war ich, auch abstruse Ansichten in Erwägung zu ziehen.

Down the dark rabbit hole in die rechtsradikalen Echochambers von Murica14 kommt man schneller, als man denkt. Aber auch auf Facebook, wo Inhalte im Newsfeed scheinbar einfach auftauchen, muss man sich natürlich noch immer dafür interessieren, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Wie überall und auch offline, wo es ja auch Filterblasen und Echokammern gibt, in Vereinen, an Küchen- oder Stammtischen. Wenn das Interesse vorhanden ist, hilft es auch, Sachen zu followen, die man explizit nicht unterstützt (The Deplorables sind dafür ein Beispiel). Die Frage, warum man das tun sollte, ist bei einem generellen Interesse für politische Entwicklungen sehr platt damit beantwortet, dass es diese Sachen gibt und sie sehr einflussreich sein könn(t)en. Trump und The Deplorables sagten „We will make America great again“, lange bevor sie groß waren. Hype und Realität sind jedoch immer schwer zu unterscheiden, wenn sich in einer geschlossenen Gruppe viele Menschen gegenseitig zustimmen.

Die Folgefrage, ob Facebooks Architektur (und die anderer sozialer Medien) (rechts-)populistische Politik begünstigt, ist weniger leicht zu klären. Neben verschiedenen Texten15 über den Einfluss von Echochambers gibt es eine Studie16 von 2015, die nahelegt, dass soziale Medien politische Polarisierung sogar reduzieren, weil die User tendenziell auch mit ungewohnten und irritierenden Ansichten konfrontiert werden. Facebook ist jedenfalls eine Plattform, die mehr Pluralität zulässt, als gemeinhin besprochen wird, wobei die Grenzen vage bleiben. Trotz dem allgegenwärtigen Buzz werden auch die klugen und ruhigen Posts der Essayistin Rebecca Solnit17 von hunderttausend Followern abonniert.

Außerdem wird Polarisierung und (rechte) Agenda-Setzung ja auch erfolgreich in traditionellen Medien betrieben. Auf dem TV-Sender Fox News gab und gibt es Verleumdung und Hass, der noch expliziter und lauter über zahlreiche Radiostationen gesendet wird. Und in England war es maßgeblich die Tageszeitung Sun,18die erfolgreich für den Austritt Englands aus der EU warb. Auf den verschiedenen Social Media-Kanälen sind auch überhaupt nicht nur die neuen Rechten erfolgreich. „Occupy Democrats“, gewissermaßen das liberale Pendant zu The Deplorables, hat sechseinhalb Millionen Mitglieder. Bernie Sanders wurde online massiv unterstützt und Jean-Luc Mélenchon, linker Präsidentschaftskandidat in Frankreich, hat die sozialen Medien vermutlich besser genutzt als alle anderen Kandidat_innen.19

Es stimmt natürlich, Facebook ist perfider „Plattformkapitalismus“,20 aber es bietet eben auch denjenigen, die unwillkommen und ungehört sind, eine Bühne, wenn sie es schaffen, auf sich aufmerksam zu machen. In England haben Facebookseiten wie „Another Angry Voice“21 und „The Canary“22 die einseitige Berichterstattung über Jeremy Corbyn aufgebrochen. Sie haben es geschafft, linke Themen publik zu machen, die bis dahin im politischen Spektrum kaum vorkamen.23 Dass Corbyn, entgegen der allgemeinen Meinung, mit einem tatsächlich sozialdemokratischen Programm erfolgreich sein konnte, lag wahrscheinlich auch an der ungewohnten Berichterstattung und der Möglichkeit, viele Menschen mit Facebook kostengünstig zu mobilisieren.

Filterblasen auf Facebook gibt es, aber sie sind nicht hermetisch und viel durchlässiger als an anderen Orten. Dass wir nur noch sehen, was wir sowieso gut finden oder schon wissen, stimmt jedenfalls nicht. Die Comfort Zone der eigenen Meinungen verlässt man hier schneller als erwartet. Inwieweit wir uns mit Sachen konfrontieren wollen, die wir ablehnen, bleibt uns überlassen, aber zunächst nicht ganz. Denn: Die Frage stellt sich tendenziell erst, wenn die Sachen schon da sind – wenn wir schon irritiert wurden. Die überraschende und nur teilweise kontrollierbare Konfrontation mit anderen Menschen (und Maschinen) bezeichnet Wendy Chun generell als das demokratische Potential der Neuen Medien.24 Trotz aller wichtigen und richtigen Kritik an Facebook: Der Untergang der eigenen Meinungsbildung ist es nicht. Sondern eben eine „wundervoll unheimliche Welt“, in der so manche althergebrachten Grenzen verwischen. For better or worse – das scheint nicht ausgemacht. Und das ist vielleicht Grund genug, den Irritationen nachzugehen und zu schauen, was geht. Erkennen und lernen kann man dabei mehr, als man vermuten würde.

FUSSNOTEN & QUELLENANGABEN

  1. https://de.newsroom.fb.com/company-info
  2. https://s21.q4cdn.com/399680738/files/doc_financials/2017/Q2/FB-Q2’17-Earnings-Release.pdf
  3. Wendy Hui Kyong Chun, Update to Remain the Same (2016), ix.
  4. Der Politikwissenschafter Paul Taggart verwendet den Begriff „Heartland“ in seinen Aufsatz Populism and Representative Politics in Contemporary Europe, in: Journal of Political Ideologies (2004), um die Entstehung von Populismus zu erklären. Jan Rohgalf vertritt die These, dieses Heartland sei auf Facebook et al. die eigene Filterblase (Coding Populism? Populismus und Soziale Medien (2016), online unter https://www.theorieblog.de/index.php/2016/05/coding-populism-populismus-und-soziale-medien/)
  5. Der Begriff „Filterbubble“ geht auf den Internetaktivisten Eli Pariser zurück. Er beschreibt das Phänomen in seinem Buch The Filter Bubble (2011).
  6. Das sind die fünf Facebook-„Reactions“.
  7. https://www.facebook.com/danilo.scholz
  8. https://www.infowars.com
  9. https://www.facebook.com/groups/TheOriginalDeplorables
  10. https://en.wikipedia.org/wiki/Pamela_Geller
  11. https://www.facebook.com/TomiLahren
  12. https://www.nytimes.com/2016/12/04/business/media/tomi-lahren-young-vocal-and-the-rights-rising-media-star.html
  13. Schachtelwort aus Liberal und Retard. Mehr auf: https://www.urbandictionary.com/define.php?term=Libtard
  14. Umgangssprachlicher Ausdruck für USA, der vor allem von Konservativen gebraucht wird: https://www.urbandictionary.com/define.php?term=murica
  15. Jan Rohgalf zum Beispiel vertritt die These, dass soziale Medien rechtspopulistische Tendenzen verstärken, und bezieht sich auf Texte von Cass Sunstein, Eli Pariser und Paul Taggart: https://www.theorieblog.de/index.php/2016/05/coding-populism-populismus-und-soziale-medien
  16. Die empirische Forschung Pablo Barberas bezieht sich allerdings auf Twitter. http://pablobarbera.com/static/barbera_polarization_APSA.pdf
  17. https://www.facebook.com/rebecca.solnit
  18. https://nytimes.com/2017/05/02/world/europe/london-tabloids-brexit.html
  19. Er hatte sogar ein eigenes Meme-Archiv: https://melenshack.fr
  20. Geert Lovink in Lettre (4, 2016).
  21. https://www.facebook.com/Another-Angry-Voice-185180654855189
  22. https://www.facebook.com/TheCanarySays
  23. Dieser Artikel gibt einen guten Überblick, wenn auch die Bezeichnung „alt left“ für das Phänomen meines Erachtens irreführend ist: https://www.buzzfeed.com/jimwaterson/the-rise-of-the-alt-left?utm_term=.shMeDgyRg#.ljWV4NZxN
  24. https://mitpress.mit.edu/books/control-and-freedom